Frühjahrszeit ist auch Festspielzeit. Unser Mitarbeiter Alain Steffen hat das Luzerner Frühlingsfest für Pizzicato besucht.
Drei Konzerte waren vorgesehen, davon zwei Orchesterkonzerte mit dem Lucerne Festival Orchestra und ein Kammermusikkonzert mit Musikern dieses einmaligen Symphonieorchesters. Auf dem Programm der Orchesterkonzerte standen die Corolian-Ouvertüre sowie die 1. und 2. Symphonie von Ludwig van Beethoven. Dirigiert wurde das Konzert vom Chefdirigenten Riccardo Chailly.
Pablo Heras Casado stand dann am Pult für das Violinkonzert und die 7. Symphonie, ebenfalls von Beethoven. Die Gegenüberstellung dieser beiden grundverschiedenen Dirigententypen erwies sich als sehr interessant.
Der eher klassisch geprägte Riccardo Chailly, zeigte, dass er sehr wohl mit den Ansätzen der historischen Aufführungspraxis vertraut ist und sie, wie in diesem Konzert, gerne in seine Interpretationen miteinfließen lässt. Bereits die Corolian-Ouvertüre begeisterte durch einen enorm frischen und packenden Zugriff. Die Musiker spielten auf der Kante, und Chailly, den wir in so vielen nur routinierten Konzerten gehört haben, wirkte an diesem Abend äußerst motiviert und kommunikationsfreudig, was auch kein Wunder ist, denn dieses Orchester ist ein Ensemble, mit den allerbesten Musikern aus den europäischen Orchestern. Viele von ihnen sind auch solistisch unterwegs. Dieses ‘Orchester der Freunde’, wie es 2003 unter Claudio Abbado und Intendant Michael Haefliger zusammengestellt wurde, ist in der Tat ein außergewöhnlicher Klangkörper, der schon in seinen Anfangsjahren zum Besten gehörte, was man an Klangkultur im Konzertsaal erleben konnte. Heute, gut 20 Jahre später, hat sich das LFO als eines der besten Orchester der Welt etabliert, mit dem großen Plus, dass es ein Projektorchester ist, das keine Routine sondern nur intensivstes Musizieren kennt. Dementsprechend hochkarätig waren dann auch die Aufführungen von Beethovens ersten beiden Symphonien. Die Erste, unter Chaillys kluge Leitung mehr nur als ein Jugendwerk, das durch Sturm und Drang begeistert, besaß dann schon alles, was auch den späteren Beethoven ausmachen sollte. Chailly dirigierte mit klaren Gesten und zügigen Tempi. Die Akzente wurden im Sinne der Historischen Aufführungspraxis relativ markant und hart gesetzt, die Melodienführung bleib dagegen sehr weich, aber immer klar in der Linie. Kein Zweifel, mit seiner 2. Symphonie hat Beethoven ein revolutionäres Werk geschrieben, das die Regeln der klassischen Symphonie auf die Probe stellt und sie auch gerne bricht. Riccardo Chailly machte sofort klar, dass er dieses Werk für wichtig hält und verhalf der Symphonie mit viel Verve zu ihrem Recht. Den Musikern passte das, denn sie folgten ihrem Dirigenten mit Hingabe, Virtuosität und einer Präzision, bei der selbst die Berliner und Wiener Philharmoniker einmal schlucken müssten. Alle Solopulte waren natürlich erstklassig besetzt, so dass dieser erste Beethoven-Abend trotz der nicht so geliebten frühen Symphonien zu einem großartigen Erlebnis wurde. Leider wurde bei der Aufführung sowohl von der 1. wie auch von der 2. Symphonie nach jedem Satz geklatscht. Tja, auch in Luzern kommt man an einem geladenen und unvorbereiteten Publikum nicht vorbei. Aber störend war es trotzdem.
Mucksmäuschenstill war es dann am Samstagabend beim Kammermusikkonzert der Musiker des LFO. Jacques Zoon, Flöte, Korbinian Altenberger, Violine, Shira Majoni, Bratsche und Iseut Chuat spielten Mozarts Flötenquartett D-Dur KV 285. Ihre Interpretation war natürlich ganz auf den Flötisten Zoon ausgerichtet, doch wirkte das Ensemble in jedem Moment präsent und klangschön. In der Tat gab es keine Kommunikationsprobleme, die vier Musiker reagierten instinktiv aufeinander und selbst der riesige weiße Saal des KKL mischte den Klang der vier Instrumente auf eine verblüffende Weise. Es folgte das wunderschöne Amerikanische Streichquartett F-Dur op. 96 von Antonin Dvorak. Der bereits bei Mozart angenehm aufgefallenen Violinist Korbinian Altenberger glänzte als Primarius mit einem ebenso klaren, wie sanften und runden Spiel. Seine Mitstreiter waren Irina Simon-Renes, Violine, Shira Majoni, Bratsche und Thomas Rufe, Cello. Hier wurden insbesondere die Einzelstimmen in den Vordergrund gestellt, was hinsichtlich der spieltechnischen Klasse der Musiker ein Genuss war. Obwohl sich jeder solistisch beweisen konnte, behielt man das große Ganze immer im Auge, so dass diese Dvorak-Interpretation dank der vier engagierten Musiker zu einem musikalischen Höhenflug wurde. Nach der Pause folgte Tchaikovskys beliebtes Streichsextett d-Moll op. 70 Souvenirs de Florence mit Raphael Christ und Manuel Kastl, Violinen, Wolfram Christ (der kurzfristig für Hermann Menninghaus eingesprungen war) und Julia Neher, Bratschen, sowie Mischa Meyer und Konstantin Pfiz, Celli. Es war der absolut homogene Klang mit seinen vielschichtigen Stimmen, seine solistischen Ausflügen und seiner interpretatorischen wie spielerischen Präsenz, der diese Tchaikovsky-Interpretation auszeichnete und die absolute Qualität dieser Top-Musiker unter Beweis stellte. Ein Konzert wie eine JAM-Session, bei der sich die Musik frei wie eine Improvisation entfalten konnte. Einen besseren, schöneren und mitreißenderen Kammermusikabend kann man sich nur schwerlich vorstellen.
Mit Pablo Heras Casado stand beim zweiten Orchesterkonzert ein Dirigent am Pult des LFO, der eigentlich von der historischen Aufführungspraxis herkommt, sich aber auch im klassischen Bereich nach und nach den Namen eines erstklassigen Interpreten macht. Wer seinen Parsifal im vorherigen Sommer bei den Bayreuther Festspielen gehört hatte, der weiß von der großen Kunst dieses Dirigenten. Und auch in Luzern wusste der temperamentvolle Heras-Casado, sein Publikum auf eine abenteuerliche Beethoven-Reise mitzunehmen. Zumindest was die 7. Symphonie betraf. Im Vorfeld erlang das Violinkonzert mit dem jungen Solisten Daniel Lozakovich, der sein Debut beim Lucerne Festival feierte. Lozakovich ist auf der einen Seite ein atemberaubender Techniker, auf der anderen ein hochexpressiver Violinist, der bei diesem Konzert allerdings etwas zu dick auftrat. Immer wieder stellte er sein unendlich schönes, aber irgendwie unbeteiligt und auf Dauer langweilig wirkendes Spiel in den Vordergrund und zeigte, wo er nur konnte, wie leise und zart er spielen konnte und wie er das Tempo quasi bis zur musikalischen Auflösung zu drosseln vermochte. Dies allerdings ging so weit, dass die Musik auseinanderzubrechen drohte. Das alles wirkte sehr publikumsorientiert und kalkuliert, von einer großen Gestaltungsfähigkeit und einer wirklichen Dynamik war jedoch recht wenig zu spüren.
Pablo Heras-Casado und das exzellent aufspielende LFO hatten das nötige Know-how, den Solisten bei seinen zerdehnten Tempi adäquat und klangschön zu begleiten. Nur manchmal vermochten der Dirigent und das Orchester wirklich spannende und schlüssige Akzente zu setzen. Dies holten sie dann bei der atemberaubend gespielten 7. Symphonie nach, die zu einem regelrechten Ereignis wurde. Heras-Casado wusste, die dunkeltimbrierten Streicher genussvoll in Szene zu setzen, seine Interpretation allerdings entwickelte er aus den omnipräsenten Holzbläsern heraus, was dann die Symphonie trotz vollem Sound wie beste symphonische Kammermusik erklingen ließ. Heras-Casado und das LFO bauten dann die Spannung ach konsequent von innen auf, wobei das Allegretto zu einem großartigen Wurf wurde. Das war temporeich, klug, ausgewogen, spieltechnisch brillant und absolut mitreißend. Mit dieser lautstark umjubelten 7. Symphonie ging dann das Luzerner Frühlingsfest 2024 hochkarätig zu Ende.