Wenn ein Cellist Beethovens Cellosonaten aufnimmt, ist das ein besonderer Moment in seiner Karriere. Grund genug, um einmal bei Gabriel Schwabe nachzufragen, was für ihn der Grund war, um dieses musikgeschichtlich so wichtige Repertoire nun seiner bereits jetzt sehr beeindruckenden Diskografie hinzuzufügen. René Brinkmann hat für Pizzicato mit dem Cellisten gesprochen.

Gabriel Schwabe

Es gibt kaum prominenteres Kammermusikrepertoire für Cellisten als Beethoven. Können Sie sich noch erinnern, wann Sie sich das erste Mal an eine der Beethoven-Sonaten gewagt haben? War das zu einem ganz frühen Zeitpunkt, z.B. während des Studiums, oder ist das Musik, wo man erst ‘ans Werk geht‘, wenn man als Musiker eine gewisse Reife erlangt hat?
Das erste Werk von Beethoven, das ich als Teenager gelernt habe, waren die Es-Dur Variationen. Damals fiel es mir zunächst nicht leicht, eine emotionale Verbindung mit dieser Musik herzustellen und es war die grenzenlose Begeisterung meines damaligen Lehrers für diese Werke, die dazu führte, dass sie irgendwann auch auf mich übersprang. Als Abiturient spielte ich dann op. 69 als erste der Sonaten und fühlte mich in ihren langen Bögen und abrupten Kontrasten schon zu Hause. Die frühe Auseinandersetzung mit dieser Musik war für mich also sehr hilfreich und wichtig, denn es kann nur etwas reifen, das man in irgendeiner Form schon einmal angegangen ist.

Auf jeden Fall haben Sie sich nun dazu entschieden, dass die Zeit reif war, um dieses Repertoire nun einzuspielen. Warum gerade jetzt?
Für eine Aufnahme solcher Werke gibt es in dem Sinne keinen richtigen Zeitpunkt – es bleibt immer ein Wagnis und wenn man sich ganz sicher wäre, endgültig dafür bereit zu sein, wäre das vermutlich ein schlechtes Zeichen. Denn die Einspielung ist ja immer nur eine Momentaufnahme in einem nie abzuschließenden Prozess des Hinterfragens der eigenen Lesart. Nicholas und ich hatten das Gefühl, uns diesem Abenteuer jetzt mit Leidenschaft und Hingabe stellen zu wollen und es hat sich für uns in jedem Fall gelohnt!

Die Beethoven-Aufnahmen sind bereits ihre dritte Albumaufnahme mit dem Pianisten Nicholas Rimmer. Ihre erste gemeinsame CD erschien vor zehn Jahren. Das ist eine lange Zeit. Was macht Ihre künstlerische Zusammenarbeit aus?
Die wichtigste Grundlage unserer Zusammenarbeit ist, dass wir uns beim Spielen völlig wortlos verstehen, was uns auf der Bühne oder vor dem Mikrofon ein großes Maß an Freiheit ermöglicht. Gleichzeitig eröffnet uns diese Tatsache die Möglichkeit, in den Proben über viele musikalische Dinge ausgiebig sprechen zu können und dabei viele Ideen auszutauschen, auszuprobieren und dabei nach und nach unsere eigene Version der Dinge herauszuarbeiten. Dieser Prozess war vor allem in Vorbereitung auf diese Aufnahme sehr wichtig und bereichernd für uns. Hinzu kommt, dass wir zwei sehr unterschiedliche Künstlerpersönlichkeiten sind, die allerdings auf dem gleichen künstlerischen Wertefundament stehen, was den Austausch sehr fruchtbar macht.

Heutzutage muss man sich als Interpret manchmal rechtfertigen, wenn man sich an die Aufnahme des sogenannten Standardrepertoires begibt – sei es beim Label, das schon Aufnahmen dieser Stücke im Katalog hat, oder sei es bei der Musikkritik, die gern von der Fragestellung ausgeht: „Was bringt uns diese Neuaufnahme, was uns frühere Aufnahmen nicht gebracht haben?“ Finden Sie das eigentlich ungerecht? Immerhin käme kaum jemand auf die Idee, einige der typischen Referenz-Aufnahmen der Vergangenheit infrage zu stellen.
Diesen Gedanken über die Generationen-Ungerechtigkeit finde ich sehr interessant! Aber letztlich führt diese Betrachtungsweise in meinen Augen am Kern der Sache vorbei. Und das sage ich auch als jemand, der schöne alte Aufnahmen sehr zu schätzen weiß… Musik ist immer etwas Lebendiges, da der Text erst im Wechselspiel mit der Persönlichkeit des Interpreten zum Leben erwacht. Daher würde ich das Ganze eher folgendermaßen sehen: Jede Aufnahme birgt die Chance in sich, dem Hörer die Werke aus einem anderen Blickwinkel nahezubringen! Denn es gibt auch – und vor allem – in Werken des Standardrepertoires, die man bereits zu kennen glaubt, immer wieder Neues zu entdecken.

Ihre Gesamtaufnahme haben Sie aber nicht nur als Album angelegt, sondern auch als Videoprojekt auf YouTube: Jede einzelne Sonate und auch die aufgenommenen Variationszyklen kann man sich also auch im Bild betrachten. Was war die Idee dabei?
Für uns war diese Konstellation sehr spannend, da sie der klassischen Studioaufnahme eine weitere Dimension hinzufügt. Zum einen wird die Aufnahmesituation für den Zuschauer im Video greifbarer, wenn man auch mit den Augen erfährt wie die Musik gemacht wird. Zum anderen war die Herangehensweise beim Video eine andere: Während wir für die Audio-CD sehr an den Details gefeilt haben, ist die Videoaufnahme eher wie ein Live-Mitschnitt, wodurch sie einen etwas anderen Charakter bekommt.

Ist die Aufnahmesituation, die wir im Video sehen genau die, die wir auf dem Album auch hören können?
Die Situation an sich ist dieselbe, mit dem kleinen Unterschied, dass wir die Sakkos beiseitegelegt haben, sobald die Kameras aus waren! Allerdings handelt es sich bei CD und Video um separate Aufnahmen, das heißt die Audiospur ist nicht identisch.

In den vergangenen zehn Jahren sind (wenn ich richtig gezählt habe) 13 Alben entstanden, bei denen Sie entweder der Hauptsolist waren oder bei denen Sie im Rahmen eines Kammermusikensembles genannt wurden. Das sind eine Menge Aufnahmen, vor allem, wenn man bedenkt, dass zwischendrin auch noch die Coronakrise war. Was macht das Thema Einspielungen für Sie so interessant, in einer Zeit, in der der Wert von Tonaufnahmen von vielen nicht mehr vorbehaltlos anerkannt wird, weil Musik durch Streaming usw. so inflationär verfügbar geworden ist?
Das spannendste Element an den Aufnahmen ist für mich, dass sie es mir ermöglichen, meine künstlerischen Aussagen mit einem sehr breiten und vielfältigen Publikum zu teilen. Dabei hat die Aufnahme für mich ihren eigenen Stellenwert als eigenständiges Kunstwerk, denn neben dem Spiel an sich fließt viel Energie in viele andere sehr praktische Überlegungen: Von der Programmzusammenstellung über die Klangeinstellung bis hin zum Cover und den Texten gibt es viel Gestaltungsspielraum, den ich gern nutze. So ist eine fertige CD immer etwas Besonderes, da ich mit ihrer Entstehung an vielen Stellen eng verwoben bin. Darüber hinaus ist es künstlerisch immer eine tolle Herausforderung, sich dem Mikrofon mit all seinen Vorzügen und Tücken zu stellen.

Wenn wir auf die letzten zehn Jahre zurückblicken, in denen Sie so viele Aufnahmen gemacht haben, gab es da auch Anekdoten, die Sie gern erzählen würden? Dinge, die bei Aufnahmesessions passiert sind, die Sie garantiert nicht vergessen werden?
So manche Aufnahmesession hat sowohl mich als auch verschiedenste Mitstreiter gelegentlich an unsere Grenzen geführt. So lernt man seine Partner bisweilen ganz neu kennen, und es ist wichtig, dass mindestens einer – im Zweifel der Tonmeister – dabei den Humor behält! Unvergessen ist mir beispielsweise wie meine Frau [die Violinistin Hellen Weiß, d. Red.] und ich während der Aufnahmen des Kodály-Duos beide mit einer ziemlich ausgewachsenen Grippe zu kämpfen hatten, was die Auseinandersetzung mit diesem ohnehin sehr fordernden Stück wirklich zur Grenzerfahrung machte. Zum Glück hatte unsere Produzentin Blätter mit Aloe Vera aus eigenem Anbau mitgebracht, mit dessen Aufgüssen sie uns in den Pausen liebevoll aufpäppelte…

Abschließend müsste man ja nun fragen: Was kommt nach Beethoven? Bach vielleicht?
Mit der Bach-Aufnahme ist es für mich wie mit einer Fahrt zum offenen Meer – es schimmert schon am Horizont, aber es ist unmöglich abzuschätzen, wie weit der Weg bis dahin wirklich noch ist…

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