Die Übertragung von Bachs Cello-Solosuiten auf die Bratsche findet immer wieder dankbare Interpreten. Aktuell hat sich Tabea Zimmermann der dritten und vierten Sonate angenommen, nachdem sie vor zehn Jahren die ersten beiden aufgenommen hat. Im Unterschied zu den Solosonaten und Partiten für die Violine haben diese Suiten durchgehend die gleichen Satzstrukturen. Wenn man allerdings daraus auf eine Gleichförmigkeit schließen wollte, hat man das kompositorische Vermögen von Johann Sebastian Bach total verkannt.
Die Beherrschung ihrer Bratsche ist bei Tabea Zimmermann so selbstverständlich wie bei anderen Menschen das Atmen. Mit einem überwältigend schlichten und zugleich lebendigen Zugriff lässt sie die beiden Suiten rhetorisch aufleben. Mit zauberhaft leichtem Zugriff folgt sie ihrem eigenen Interpretationsansatz, der sicher jede Interpretationsschule kennt, aber keiner streng folgt.
Das Aufnahmeteam hat ihre Darbietungen mit einem deutlichen Hall wie in einer Kirche eingefangen. Das wirkt bei einem Soloinstrument aber eher befreiend und bringt die Musik zum Schweben, als dass es einen unangenehm dicken Eindruck hinterließe.
Der Vorteil der Bratsche gegenüber dem Cello ist die einerseits trotzdem noch sonore Färbung wie beim Cello und andererseits die größere Beweglichkeit. Während bei Cellisten oft noch Geräusche des Instruments mit zu hören sind, gelingt es Zimmermann, hier völlig frei von technischen Nebentönen zu agieren. Durch ausgeklügelte Artikulation, die von den Originalen kaum festgelegt ist und eine sensible Detailarbeit mit Blick auf musikalische Rhetorik bringt sie beide Kompositionen zum Sprechen. Ihre Darbietung zeigt die Werke beschwingt und geschmeidig, was sich auch in einer flexiblen Handhabung von Verzierungen und der Phrasierungen zeigt.
Bereits die Nacktheit dieser Suiten bedarf einer gedankenvollen Auseinandersetzung mit der Musik, die hier ohne Zweifel gelungen ist. Noch kürzer, in ihrer reduzierten Art prägnanter und damit in der Kürze der jeweiligen Stücke noch schwieriger zu gestalten sind die Zeichen, Spielen und Botschaften von Kurtag. Das fängt schon damit an, dass jeder Künstler zunächst festlegen muss, welche Auswahl er trifft, da Kurtag dies den Interpreten als Aufgabe mit auf den Weg gegeben hat. Zimmermann wählt sechs der 24 Stücke aus, die in ihrer Fokussierung dennoch ganz unterschiedliche Kosmen öffnen. Sie hat Klagendes Lied, Zank-Kromatisch, Doloroso, Im Volkston, ‘eine Blume für Tabea…’ und In Nomine – all’ongherese´ gewählt, deren tiefere Schichten sich schon in den Titeln andeuten.
Diese rhythmisch freien und dramatisch zugespitzten, ja eigentlich möchte man sie Splitter nennen, legt sie ebenso artikuliert und sensibel vor, obwohl sie gerade im Gegensatz zu der organisatorischen Strenge bei Bach zu stehen scheinen. Und doch, auch bei dem ihr gewidmeten ‘eine Blume für Tabea…’ gelingt es ihr, die Zuhörer zu bannen und vergessen zu lassen, dass diese seit 1989 entstandenen Werke von einem in seiner Singularität nicht eben zugänglichen Komponisten stammen. Diese Brücke zwischen den beiden Suiten kann man ohne Bedenken betreten.