Manche Rezensionen kann man einfach und kurz abhandeln, bei anderen könnte man ganze Romane verfassen. Diese DVD gehört zu letzter Sorte. Na, vielleicht wird es auch eine Kurzgeschichte.
Monteverdi ist am Übergang der Renaissance- zur Barockmusik Mitbegründer der Oper, wie wir sie heute kennen. Der Inhalt ist wohl bekannt, aber zu Sicherheit in Kürze: Penelope wartet auf ihren Gatten Ulisse, also Odysseus. Ulisse ist nach jahrelangen Irrfahrten in der Heimat Ithaka verkleidet als Bettler gelandet. Im Palast versucht Melanto Penelope zu überreden, einen der Freier zu heiraten. Telemach, der Sohn von Ulisse und Pénélope, kehrt auch zurück und Ulysse gibt sich ihm zu erkennen. Penelope verlangt, um Zeit zu gewinnen, dass die Freier den Bogen des Ulisse spannen. Zuletzt greift auch der alte Bettler nach dem Bogen, spannt ihn als einziger ohne Mühe und erschießt die Freier. Erst als Ulisse Einzelheiten aus ihrem früheren Leben erzählt, glaubt Penelope daran, dass sie auch ihren Gemahl wiedergefunden hat.
Die Regie schafft verschiedene Ebenen bei Bühnenbild, Kleidung und mit den Gimmicks. Das Bühnenbild ist streng und einfach als getäfelter Raum mit verschiebbaren Elementen, Stufen rechts und links, auf der sich die Menschen bewegen, gegliedert. Darüber wird hin und wieder eine Bühne auf der Bühne gezeigt, die den Blick in eine Spelunke freigibt. Das ist der Olymp, wo die Götter ihre Ränke schmieden, so dass die Menschen unter der Macht der Launen mehr oder weniger gelangweilter Götter leiden. Dazu kommt eine Hirtenlandschaft.
Da die Erstaufführung in Venedig, wie auch diese Produktion in Paris, zu Karneval stattfand und fürs Volk komponiert wurde, kann man die lustigen Einschübe im Text und heutzutage auch die Exkurse beim Bühnenbild verstehen. Mariame Clément nutzt dazu Pop-Art sowie Spruchbänder à la Roy Lichtenstein, die die Handlung unterstreichen, oder aufblasbare Strandutensilien. Später versinnbildlicht ein Riesen-Cheeseburger für den verfressenen Iro das Schlaraffenland, dass er sich als dickwanstiger Tourist in Sandalen, Shorts und T-Shirt lebt.
Auch die Kostüme passen sich den jeweiligen Personen an. Sie sind entweder im Stil des klassischen Altertums gehalten, wie bei Minerva, bei Penelope in langen Kleidern, bei Ulisse mit langem Bart als minoischer Greis. Andere Kostüme sind modern, Smoking für die Freier, drei Nymphen in aquamarinfarbenen Schleiern und mit Straußenfedern auf den Kopf, die Götter eher rustikal bzw. wie aus dem Milieu.
Doch auch die Sängerriege ist natürlich einer Erwähnung wert, wobei es nicht ganz einfach ist, eine Qualitätsfolge zu erstellen. Bewundernswert Magdalena Kozena, die kraftvoll, aber nuanciert und klangvoll den Bogen spannt, der von der langen, ergreifenden ersten Szene über tragische Momente bis zum erlösenden Wiederfinden mit dem Gatten reicht. Ihr gegenüber ist Rolando Villazon mit tiefer Tenorstimme ein vorsichtiger Ulisse. Sehr stimmungsvoll sein Terzett mit den beiden sehr guten Tenören Kresimir Spicer (Eumete) und Mathias Vidal (Telemaco). Als Barocktenor ist er kaum bekannt, aber man sollte diesen Wandel, den er da vollzieht, durchaus nicht geringschätzen.
Die lange Liste kleinerer und dennoch wichtiger Rollen ist rundum gut besetzt. Anne-Catherine Gillet ist die graziöse, aber tatkräftige Minerva, vielleicht der heimliche Star. Das Paar Isabelle Druet (Melanto) und Emiliano Gonzales Toro (Eurimaco) gibt sich lüstern-verspielt und agiert stimmlich erfreulich. Als treue Ericlea überzeugt Mary-Ellen Nesi mit servilem, aber selbstbewusstem Auftritt. Der Kontratenor Maarten Engeltjes mit klarer Stimmführung, Callum Thorpe mit gediegenem echtem tiefen Baß und der Tenor Lothar Odinius überzeugen sängerisch und mit ihren Brautgeschenken, Architektenmodellen von aufmerksamkeitsheischenden Bauten wie dem Burj al Arab. Den Clown des Abends darf Jürg Schneider als der fettleibige, ewig fressende Iro geben. Katharine Watson hätte eine ausgiebigere Rolle als die der Juno verdient. Jean Teitgen ist mit vollem Baß der rachsüchtige Neptun, der als Tiefkühlkostseebär brummelt.
Emannuelle Haïm leitet mit der bei ihr üblichen eleganten Sicherheit die Solisten und das für diese frühe Oper zwar klangvoll, aber sehr spärlich besetzte Orchester. Es spielt ausgezeichnet, aber auch nicht einzigartig. Die Regie ist bis in die kleinste Nebenrolle durchdacht und lockert mit kleinen stummen Zusatzauftritten die langen Monologe oder Ensembleszenen auf. Vielleicht ist diese Produktion nicht perfekt und es gibt diskussionswürdige Regieideen. Aber insgesamt gelingt eine wunderbar unterhaltsame und phantastische Ensembleleistung.