Das Drama der Königin der Amazonen, Penthesilea, die sich vor Troja in den griechischen Krieger Achilles verliebt und ihn tötet, als er den Kampf fordert, um sich besiegen zu lassen, da das Gesetz der Amazonen nur den Mann als Samenspender zulässt, den sie besiegt haben, ist natürlich ein gutes Thema für jeden Komponisten von opernhaften Stoffen. Dusapin erschafft aus der Vorlage von Heinrich von Kleist in straffen 90 Minuten ein Werk, das die Konflikte auf den Punkt bringt und sich einbrennt. Die Aufnahme hat Folgeaufführungen der Uraufführung an der Brüsseler La Monnaie eingefangen.
Diese siebte Oper von Pascal Dusapin auf das Libretto von ihm und Beate Haeckl macht den deutschen Text mit elf Szenen musiktheaterfähig, umrahmt von Prolog und twitterkurzem Epilog. Dusapin konzentriert sich auf die Konfrontationen zwischen Penthesilea und Achilles. Penthesileas Freundin Prothoe, Odysseus, der Verbündete von Achilles und die amazonische Hohepriesterin sind weitere erkennbare Personen. Die Stimmen werden meist ebenso tief geführt wie die Orchesterschrift dunkel getönt ist, wobei Zimbalom und Sistrum den Klängen eine archaische Note verleihen. Im Allgemeinen ist das Tempo langsam, fast meditativ. Diese Beschränkung macht die Ausbrüche von Gewalt und vor allem die schreckliche Auflösung umso erklärlicher und schockierender.
Dusapin erkundet das menschliche, das animalische Begehren allen Lebens. Dazu vertieft er sich in die archaischen Schichten und beobachtet sehr genau, wie die Gefühle Anziehung und Abstoßung funktionieren. Er zeigt, wie wir getrieben werden zu dem anderen, ihm unter die Haut kriechen und ihn uns am liebsten einverleiben würden. Diese Hörversion liefert nicht das zentrale optisch Motiv, die Haut, mit. Diese Lust, eins zu werden, hat auch kannibalische Züge. Dusapin arbeite diese Sinnschicht radikal heraus. Unterwerfung, Eroberung, Beherrschung, Vereinigung gehören unmittelbar zusammen. Seine Oper lässt sich wie eine geheimnisvolle mentale Reise hören, die mit Entsetzen endet.
Im Instrumentalprolog blitzen die ersten Wassertropfen auf dem Planeten Erde in den kurzen Tönen der Harfe auf, und da hinein schleicht sich ein dunkles, raunendes Rumoren wie eine zähe Masse. Glühender Lava gleich bestimmen Kontrabässe und Bläser den Ablauf. Ein Magmafeld entlässt immer wieder gleißende Blitze. Eruptiv gefährliche Kraft hat die Musik, auch wenn sie kühl mit fast filmmusikalischen Mitteln und elektronischer Verfremdung spielt. Elektronik, soweit sie genutzt wird, ist rein funktional und fiktiv. So wirken die Kampfszenen, in denen Pfeil und Bogen hörbar gemacht werden, losgelöst wie Szenen aus Star Wars, im Konzept aber pfiffig in jedem Sinne des Wortes. Die raffinierte Kühnheit der Partitur, die vollständig in die Dramaturgie eingebettet ist, ist groß.
Die Stimmen sind oft vom Sprechgesang geprägt, explodieren aber auch in zerklüfteten Koloraturen. Sie alle lassen gut verständlich die Worte nicht nur ins Ohr, sondern unter die Haut dringen. Die Mezzosopranistin Natascha Petrinsky als Penthesilea singt ihren Part wie ihr eigenes Ich. Georg Nigl ist ein brutal angehauchter Achilles und Werner Van Mechelen ein plausibler Odysseus. Marisol Montalvo als Prothoe mag etwas weniger prägnant sein, andererseits hat sie auch eine unterwürfige Rolle, so dass es wieder passt. Überhaupt wirken die Beteiligten unter dem konzentrierten Dirigat von Franck Ollu auf schlafwandlerische Weise vertraut mit diesem komplexen und virtuosen Werk. Lediglich am Ende der zehnten Szene hat der Chor eine kurze Koordinationsschwäche, sei es drum. Zusammen schaffen sie alle Musiktheater pur.
Die Aufnahme von den Monnaie-Aufführungen ist wunderbar klar und geräumig. Jedes Detail im Orchester, der Elektronik und natürlich den Stimmen, kommt erkennbar ans Ohr. Selten finden die Einzelkünste der Oper auf so dynamische Weise zueinander wie bei diesem Meisterwerk.