Das Cuarteto Casals beginnt seine auf drei Jahre angelegte Einspielung aller Streichquartette von Shostakovich mit den ersten fünf Werken. Dass das Quartett auf höchstem Niveau ausgefeilte Ensemblekunst pflegt und auf das engste sein Zusammenspiel harmonisiert hat, kann als gesetzt vorausgesetzt werden. Alle Elemente der Werke bereiten sie mit exzellent artikuliert durchhörbarer Abstimmung untereinander aus. Also was die spieltechnische Seite angeht, darf man sich auf beste Umsetzung freuen.
Doch gelingt auch die Shostakovich immanent gestellte Frage, wie die tiefen Schichtungen im Hintergrund abgebildet werden? Dazu seien beispielhaft die Quartette in F-Dur und in B-Dur herangezogen.
Beim dritten Quartett gelang es dem Belcea Quartet, mit ihrem Einsatz, der die Balance aus Virtuosität, Unaffektiertheit, Ausdruckstiefe, emotionellem Einsatz und klarer Analyse hielt, jauchzende, neoklassizistische und gleichzeitig beklemmende Klangerlebnisse zu erzeugen. Etwa wenn die Belceas im ersten Satz eine fast frei schwebende, tänzerisch wendige Kultur schaffen. Das Cuarteto Casals geht hier handfester zu werke, wenn sie auch eine lockere Leichtigkeit nicht verleugnen. Im zweiten Satz nehmen beide Ensembles das ‘con moto’ sehr ernst. Und beiden zeigen die komplexen rhythmischen Figuren in faszinierender Art und Weise, wobei die Casals wieder markanter und straffer im Ton agieren. Dadurch nehmen sie sich teilweise selber die Möglichkeit, das darunter wartende Grauen deutlicher heraus zu kitzeln, da ihr Spiel zu direkt wirkt. Auch im rhythmisch prägnanten dritten Satz zeigt die neue Aufnahme eine formell großartige erbarmungslose Jagd, man hört sie aufmerksam, aber man fühlt sich nicht selbst verfolgt. In den abschließenden Sätzen, Adagio und Moderato, bleibt der Eindruck ungebrochen. Zwar üben die Casals mit viel Druck auf den Bogen etwa Intensität aus, aber wieder dringt die Musik nicht ungeschminkt auf die emotionale Ebene vor.
Das Artemis Quartett zeigt das Quartett in B-Dur packend balanciert, um Emotionen und Empathie zu verdeutlichen, ohne zu verzerren. Das Tänzerische gelingt mit der Portion Arsen in der Suppe, die zeigt, dass hier nie etwas unbekümmert daherkommt. Beim Cuarteto Casals gibt es kleine Hervorhebungen, die aufhorchen lassen, aber dadurch auch die Entwicklung unruhiger und weniger als Einheit zeigen und mehr den Moment als die Gesamtheit betonen.
Eindrucksvoll gelingt Artemis auch der leise zweite Satz. Man kann sich als Zuhörer diesem Sog nicht entziehen. Beim Casals erklingen schöne und dicht gefügte Formulierungen, die die Strukturen wunderbar freilegen. Im dritten Satz wird vom Cuarteto Casals nach dem zurückhaltend und klangschön geformten Anfang eine heftig und dissonant klingende Seite gezeigt, bevor wieder im ruhigeren Duktus Ausdruckswelten evoziert werden. Im Vergleich dazu bleibt das Artemis Quartett weniger explosiv in der Darstellung und weiß die Dissonanzen weniger krass darzustellen. Und trotzdem oder gerade deswegen wirkt das Spiel geheimnisvoller und intensiver.
Insgesamt bleibt der Eindruck, dass das Cuarteto Casals die Folie, die Shostakovich über die Werke spannte, um die die wahren Absichten und Gedanken zu verschleiern, so gekonnt transportiert, dass die dahinter liegenden Schicht nicht klar zum Vorschein kommt. Als ob die Folie weitgehend undurchsichtig ist. Ich möchte nicht behaupten, dass die Durchdringung intellektuell nicht gelungen ist. Allein, ich kann sie nicht besonders gut nachvollziehen. Es packt mich beim Zuhören leider nicht.
The Cuarteto begins its three-year recording of all of Shostakovich’s string quartets with the first five works. It can be taken for granted that the quartet cultivates sophisticated ensemble playing at the highest level and has harmonized its interplay to the closest possible degree. They prepare all elements of the works with excellent articulation and audible coordination. So as far as the technical side of the playing is concerned, one can look forward to the best realization.
But does Shostakovich’s inherent question of how to depict the deep layers in the background also succeed? The quartets in F major and B flat major are examples of this.
In the third quartet, the Belcea Quartet succeeded in creating exultant, neoclassical and at the same time oppressive sound experiences with their commitment, which maintained a balance between virtuosity, unaffectedness, depth of expression, emotional commitment and clear analysis. For example, when the Belceas create an almost free-floating, dance-like, agile culture in the first movement. The Cuarteto Casals takes a more hands-on approach here, although they do not deny a relaxed lightness. In the second movement, both ensembles take the ‘con moto’ very seriously. And both show the complex rhythmic figures in a fascinating way, whereby the Casals are again more striking and tighter in tone. In doing so, they partly deprive themselves of the opportunity to tease out the underlying horror more clearly, as their playing seems too direct. In the rhythmically concise third movement, too, the new recording shows a formally magnificent merciless chase; you hear it attentively, but you don’t feel yourself being chased. In the final movements, Adagio and Moderato, the impression remains unbroken. Although the Casals exert intensity with a lot of pressure on the bow, the music again does not penetrate the emotional level unadorned.
The Artemis Quartet performs the Quartet in B flat major in a grippingly balanced manner in order to emphasize emotions and empathy without distorting them. The dancing succeeds with a portion of arsenic in the soup, which shows that nothing here ever comes across as carefree. In the Cuarteto Casals, there are small accentuations that make you sit up and take notice, but they also make the development more restless and less unified, emphasizing the moment rather than the whole.
Artemis also succeeds impressively in the quiet second movement. As a listener, it is impossible to escape this pull. Casals produces beautiful and densely structured formulations that reveal the structures wonderfully. In the third movement, after the restrained and beautifully shaped opening, the Cuarteto Casals shows a fierce and dissonant side before evoking worlds of expression in a calmer style. In comparison, the Artemis Quartet remains less explosive in its performance and knows how to present the dissonances less blatantly. And yet, or perhaps precisely because of this, the playing seems more mysterious and intense.
Overall, the impression remains that the Cuarteto Casals conveys the foil that Shostakovich stretched over the works in order to conceal the true intentions and thoughts so skillfully that the layer behind it does not emerge clearly. As if the film is largely opaque. I don’t want to claim that the penetration is intellectually unsuccessful. It’s just that I can’t understand it very well. Unfortunately, it doesn’t grab me when I listen to it.