Sie arbeiten bereits seit 2011 unter dem Schlagwort BRUCKNER2024 daran, erstmals einen Bruckner-Symphonien-Zyklus anhand sämtlicher verschiedener Werkfassungen zu erarbeiten, zu interpretieren und einzuspielen. Während die eingeschworenen Bruckner-Fans jubeln, fragen sich die ‘Klassik-Normalos’: Wozu ist dieser Aufwand eigentlich nötig? Unterscheiden sich die einzelnen Fassungen der Bruckner-Symphonien wirklich so stark voneinander?
Bei dem Projekt BRUCKNER2024 ging es mir nicht nur darum, alle neun Symphonien (die zudem sowieso eigentlich elf sind) einzuspielen, sondern die facettenreichen, unterschiedlichen Varianten und Fassungen aufzunehmen. Bruckner ist ein äußerst spannender Komponist, der uns dadurch, dass er uns verschiedene Fassungen hinterlassen hat, Einblick in seine Komponistenwerkstatt gibt. Das hat nicht jeder Komponist so gemacht. Viele waren vielleicht zu klug und haben ihre ersten Werkentwürfe vernichtet, während diese von Bruckner meistens überliefert sind – nicht von allen, aber doch von vielen Symphonien. Das Spezifische und Spannende dabei ist nun, dass unser Projekt einerseits eine einheitliche künstlerische Handschrift aufweist – nämlich die von der Philharmonie Festiva und mir an zwei verschiedenen Aufnahmeorten, den historischen Räumlichkeiten der Abteikirche des ehemaligen Zisterzienserklosters Ebrach und den Regentenbau in Bad Kissingen – und andererseits, dass es darum geht, nicht nur die gängigen Fassungen einzuspielen, sondern auch sehr spannende Zwischenvarianten.
Das Projekt soll 2024, zum großen Bruckner-Geburtstag, fertiggestellt sein. Werden Sie auch nach diesem Jubiläum Bruckner treu bleiben oder werden Sie sich dann auf etwas ganz anderes konzentrieren?
Bruckner begleitet mich seit der frühesten Jugend, und in den letzten Jahrzehnten sehr intensiv. Und ich habe festgestellt, dass er so viele Facetten aufweist und so viel zu sagen hat, dass mit dem Bruckner-Jubiläumsjahr 2024, was mich anbetrifft, sicher nicht Schluss sein wird. Mir ist es ja wichtig, nicht nur ein Jubiläumsjahr zu feiern, sondern den Fokus auf den Komponisten zu lenken und beizubehalten.
Wie kam es bei Ihnen zu dieser großen Vorliebe für das Werk Anton Bruckners?
Da könnte ich nun natürlich verschiedene verstandesmäßige Erklärungen anbringen. Da spielen die hohe Komplexität seiner Partituren, seine Modernität bei gleichzeitiger Archaik, die tiefe Emotionalität und Spiritualität alle eine Rolle. Im Endeffekt glaube ich aber, dass es ein großes Geheimnis ist, warum uns Musik eines bestimmten Komponisten besonders anspricht. Ich denke, das kommt ganz tief aus dem Inneren und ist fast so etwas wie ein Mysterium, was wiederum gut zum Komponisten Bruckner passt.
Ihr Orchester ist die Philharmonie Festiva, welche Sie 2008 ins Leben gerufen haben. Auf der Website des Orchesters heißt es: ‘bestehend aus ausgewählten, herausragenden Musikern deutscher Spitzenklangkörper.’ Was bedeutet das denn konkret?
Mir war es wichtig, für das besondere Projekt einen besonderen Ort mit einem besonderen Orchester zu haben. Ich glaube, dass dies am besten zu realisieren ist, indem man ein Festspielorchester hat. Und dieser Festspielgedanke: Ein Ort, abseits der großen Städte mit hervorragenden Musikern sich zusammen zu treffen, um dort ein gemeinsames, größeres Ziel zu verfolgen, das ist es, was mich so besonders reizt. Natürlich bin ich auch mit anderen Orchestern eng verbunden, und das macht mir auch nach wie vor große Freude. Aber so gibt es doch die Einmaligkeit einer Situation, die man fast schon als Klausur bezeichnen kann, in die man sich gemeinsam begibt, um einmal fernab vom Repertoirebetrieb und vom Musikbusiness – so möchte ich das einmal sagen – an einer gemeinsamen Sache musikalisch zu bauen.
Haben Sie seinerzeit die Philharmonie Festiva schon als Bruckner-Orchester konzipiert oder ging es da erst einmal um etwas anderes?
Wie viele Dinge im menschlichen Leben eben passieren, hat sich auch das ergeben. Das sollte man nun nicht so missverstehen, dass das alles Zufall war, der einem so zugeflogen wäre. Natürlich gab es von Beginn an die Fokussierung darauf, etwas Außergewöhnliches zu machen. Das was ich sagen möchte ist: Es ist entstanden und gewachsen. Als Bruckner-Orchester war es also nicht geplant und bis heute spielen wir ein vielfältiges Repertoire, unter anderem zum Beispiel auch Haydn, Mozart, Beethoven, Mendelssohn und vieles andere. Aber durch den Festspielcharakter ergibt sich natürlich immer der Fokus auf Anton Bruckner ganz besonders stark.
Die Frage war meinerseits auch in Hinblick auf die Besetzung gestellt: Hatten Sie von Anfang an vor, die großen Symphonien mit dem Orchester bestreiten zu können?
Am Anfang ging es erst einmal um kleinere Projekte und ist seitdem gewachsen. Und die Philharmonie Festiva ist kein Klangkörper, der immer aus einer bestimmten Anzahl an Musikern besteht, sondern die Besetzungsstärke richtet sich immer nach den Anforderungen der jeweiligen Stücke.
Eine gewisse Gemeinsamkeit mit den permanenten Orchestern ist aber, dass es einen gewissen Stamm an Musikern gibt, die sozusagen den ‘inneren Kern’ der Philharmonie Festiva bilden. Und das ist gut. Man kennt sich einfach mit der Zeit, und das ist ganz wichtig.
Sie nehmen Ihren Bruckner-Zyklus in der Abteikirche der ehemaligen Zisterzienserabtei Ebrach auf. Warum ausgerechnet dort?
Manche Aufnahmen finden auch im Regentenbau Bad Kissingen statt, aber der Hauptteil der Aufnahmen erfolgt tatsächlich in Ebrach in der Abteikirche. Und das machen wir nicht nur, weil es da so idyllisch ist und weil der Kirchenbau wunderschön ist und noch aus der Frühgotik stammt (innen allerdings barockisiert), sondern weil dieses Kirchenschiff einen besonderen Klangraum darstellt, geradezu eine Klangkathedrale. Das sollte man nun aber nicht missverstehen: ich meine damit nicht einfach nur einen großen Raum mit viel Hall – das hätte ich nicht angestrebt. Vielmehr bietet sich hier ein Raum, der auch die Feinheiten zulässt und der es möglich macht, dass die Transparenz einer Partitur zum Tragen kommt.
Dieser Raum vereint also beides: Einerseits die klangliche Opulenz, die das Werk Anton Bruckners auch erfordert und andererseits, dass man die Feingliedrigkeit der Musik zum Ausdruck kommen lassen kann. Und gerade das ist das Interessante. Bruckner ist nicht nur der mächtige Volltöner, der monumentale Symphoniker. Man sieht in seiner Musik auch so viel Kammermusikalisches, was leider viel zu häufig auf der Strecke bleibt.
Bei Bruckner denken ja viele stets an gewaltige Orchester und viel Hall. Nicht zuletzt ist auch immer wieder die Begründung zu hören, dass Bruckner selbst an seiner Wirkungsstätte St Florian einen Raum hatte, in dem Hall ein ganz bestimmendes Element ist. Wie stehen Sie zu dieser These?
Natürlich ist Bruckner in sakralen Räumen groß geworden und dies prägte insbesondere seine Anfänge als Komponist. Man sollte aber auch nicht vergessen: Dazu gehörten auch die kleine Dorfkirche von Ansfelden, wo er aufwuchs, später das Augustiner Chorherrenstift, wo er als Knabe einzog und später Organist wurde, auch der alte Dom in Linz sowie in Wien die Hofburgkapelle, die wieder einen eher kleineren Raum darstellt. Die Basilika St. Florian ist also nur einer von vielen Bruckner-Orten.
Seine Symphonien passen für mich vor allem aufgrund ihrer Spiritualität in einen Kirchenraum, man sollte das aber bei Bruckner nicht überbewerten. Man sollte nie sagen: Bruckner ist gleichbedeutend mit ‘sakral’. Wir müssen unterscheiden zwischen dem Symphoniker und dem Komponisten, der Messen, Motetten und sakrale Werke komponiert hat. Das sind die beiden großen Genres, auf die er sich konzentrierte. Es gibt kein Solowerk von ihm und nur wenig Kammermusik. Die sakrale Musik ist in der Kirche zu Hause, die Symphonien sind hingegen primär für den Konzertsaal geschrieben. Durch die Aufführung der Symphonien in einem Kirchenraum kann aber eine andere geistige Ebene hinzukommen. Das muss aber die Akustik auch hergeben, sodass man nicht nur große, wabernde Wellen hervorruft, sondern dass das Ganze auch deutlich klanglich transparent und durchhörbar wird. Und genau das ist in Ebrach der Fall.
Ihre Bruckner-Einspielungen klingen etwas anders, als man es gewohnt ist. Mein Eindruck: Die Holzbläser kommen viel mehr zum Tragen als in konventionellen Bruckner-Aufnahmen, insgesamt wirkt der Bruckner-Klang auf angenehme Art und Weise entschlackt. Es entsteht beinahe ein ‘Wiener klassischer’ Klang, vor allem, wenn man mit anderen Aufnahmen vergleicht, die das Blech sehr dominant erscheinen lassen. Wie erreichen Sie diesen Klang?
Das ist einfach der Klang, den die Partitur fordert. Das Blech ist ein großer Bestandteil dieser Musik, keine Frage, aber es gibt Momente, wo ganz stark die Holzbläser das Sagen haben. Das ist aber nichts, was ich besonders evoziere, sondern das ergibt sich aus der Partitur. Das ist eindeutig! Ich versuche ja nicht, irgendwas zu ‘machen’, zu interpretieren, sondern ich versuche, das zu realisieren, was die Partitur vorgibt. Und in der Partitur kommt nicht immer nur der plakative, monumentale Bruckner vor.
Was ist Ihnen als Dirigent besonders wichtig?
Das könnte ich auf die Formel bringen: Ich möchte möglichst wenig selbst hinzutun. Ich möchte die Wahrheit finden, so schwer das auch ist. Oder anders formuliert: Was ist der Geist, der in dieser Musik steckt? Das ist die leitende Frage.
Sie haben in ihrem Berufsleben einen anderen Weg als üblich eingeschlagen: Trotz ihrer Posten in Hannover, Braunschweig und Magdeburg haben Sie an einem bestimmten Punkt Ihrer Karriere einen Strich gezogen, haben Ihr eigenes Orchester gegründet und widmen sich – außer einigen Engagements als Gastdirigent in Deutschland und im europäischen Ausland – seitdem vor allem Ihrer Arbeit mit der Philharmonie Festiva. Wie kam es dazu und wie muss man sich diese Entscheidungsfindung vorstellen?
Das eine schließt das andere nicht aus: Ich bin sehr gern als Gastdirigent tätig und verfolge gern auch mit anderen Orchestern wertvolle musikalische Ziele. Das andere ist aber dieser Festspielcharakter, und das ist ja bei vielen anderen Dirigenten auch der Fall, die beide Pole verfolgen. Und auch in dieser Sache bin ich nur dem Weg gefolgt, wie er vorgegeben war. Ich glaube, dass es mit das wichtigste im Leben ist, die Wege, die sich auftun, richtig zu erkennen. Wir haben immer verschiedene Wege, denen wir folgen können. Den zu wählen, der sich für einen selbst als der beste erweist, das ist die Kunst.
Hatten Sie keine Angst, als ‘Sonderling’ abgestempelt zu werden, der sich vom normalen Klassikbetrieb abgenabelt hat und dann vielleicht von diesem auch kritisch betrachtet wird?
Was andere über mich denken oder wie sie mich beurteilen, kann ich weder beurteilen noch hat mich das jemals beeinflusst. Ich denke, dass ich, wie jeder andere Mensch auch, meinen eigenen Weg gehe. Das ist vielleicht sogar das Spannendste im menschlichen Leben überhaupt: Den eigenen Weg zu finden und diesen mit Hingabe zu gehen. Dass dies bisweilen über Umwege passiert, ist spannend und die eigentliche Herausforderung.
Was hat Ihnen der Schritt bis heute gebracht? Was würden Sie als die Hauptvorteile oder vielleicht auch Nachteile ansehen?
Auch hier sei eine etwas philosophische Antwort erlaubt: Ich sehe meinen Lebensweg und vielleicht auch meine Lebensaufgabe nicht im Sinne eines möglichen Profits oder einer Aufrechnung von Vor- und Nachteilen gegeneinander, sondern ich möchte den Menschen und mir mit der Musik Freude bereiten und zugleich ein wunderbares Reich der Töne erschließen. Gerade die Musik Anton Bruckners offenbart dabei eine einmalige Dimension. Sie erhebt uns und lässt uns etwas von der allumfassenden Liebe verspüren, die uns Menschen so wunderbar miteinander verbindet.