Opernhaus Chemnitz
(c) Nasser Hashemi

Seit Mitte Januar ist Chemnitz europäische Kulturhauptstadt 2025. Neben ganz Eigenem aus der einstigen sächsischen Industriemetropole punktet die Stadt mit internationalen Beiträgen, gerade eben mit Gustave Charpentiers O

per Louise als Neuproduktion am Opernhaus. Michael Oehme berichtet.

Der Chemnitzer Theaterplatz mit Kunstsammlungen und Opernhaus von Richard Möbius aus den Jahren 1906/09, der neogotischen Kirche St. Petri und dem Hotel Chemnitzer Hof im Stil der Neuen Sachlichkeit gehört zu den schönsten Stadtensembles in Deutschland. Das Opernhaus wurde von 1988 bis 1992 aufwendig saniert und umgebaut, besitzt über europaweit modernste Bühnentechnik und macht bis heute einen edlen Eindruck, der beim Besuch einfach Freude macht. Jetzt also Gustave Charpentiers Louise in der Inszenierung von Rahel Thiel.

Am Pult stand der in Chemnitz geborene noch ganz junge Dirigent und Komponist Maximilian Otto, Jahrgang 1998, der das hier allen unbekannte anspruchsvolle, ja komplizierte Werk souverän einstudiert haben muss, sodass es am Premierenabend zu einem solch glänzenden Erfolg werden konnte.

Louise – Charpentier nennt die Oper Roman musical – beginnt damit, dass sich die Hauptfigur in ihrem strengen Elternhaus auf dem Land nach Freiheit und Verwirklichung der Liebe zu Julien, einem Bohémien sehnt. Die feste Bindung, die von dem elterlichen Haus ausgeht, besteht aus einem zunächst liebevollen, dann in die Tochter zunehmend vernarrten Vater und einer doch recht bösartigen, eifersüchtigen Mutter. Sehnsuchtsort für Louise ist Paris. Es gelingt ihr, dorthin zu fliehen.

Louise wurde uraufgeführt in der Opéra Comique im Jahr 1900 (übrigens am 2. Februar, also nur wenige Tage und 125 Jahre vor der Aufführung jetzt in Chemnitz – somit einer Zeit des noch unverfälschten, touristisch nicht verdorbenen Pariser Lebens, speziell auf Montmartre mit den einfachen Leuten und armen Künstlern.

Das spiegelt Charpentiers Oper auf wunderbare Weise wider und erklärt die Begeisterung der Franzosen für dieses Stück, das bis zu Charpentiers Tod im Jahr 1956 zu bis zu 1000 Vorstellungen führte.

Elisabeth Dopheide, Ensemble
© Nasser Hashemi

Im Bühnenbild von Volker Thiele ist die Stadt der Liebe mit einem wunderschönen Stadtbild präsent, keiner fotografischen Reproduktion, sondern meisterlich gemalt von den Werkstätten des Chemnitzer Theaters. Die milieuechten Kostüme von Rebekka Dornhege Reyes tun ihr Übriges. Der dritte Akt spielt vor dem glitzernden Vorhang eines Varietés. Es ist zunächst das Liebesduett zwischen Louise und Julien, das in Umfang und Großartigkeit keinen Vergleich mit dem aus dem 2. Akt in Richard Wagners Tristan scheuen muss. Überhaupt: In Charpentiers Louise ist mehr Wagnerisme als Verismo, herb-analytisch im ersten, dem Elternhaus-Akt, üppig-überschäumend in den Paris-Bildern im zweiten und wie gesagt sinnlich sich verzehrend und sich steigernd im dritten Akt. Dann stürmen die Massen das Theater und feiern Louise als Muse der Bohème. Man wird an die Festwiese der Meistersinger erinnert. So gewaltig sind die Chortableaus, die vom Chemnitzer Opernchor überwältigend kraft- und stilvoll gesungen werden. Louise nimmt die Auszeichnung jedoch nur verstört entgegen, zumal die Mutter eintrifft und sie unter dem vorgetäuschten Vorwand, dass es dem Vater sehr schlecht geht, nach Hause holt. So kann das Psychodrama seinen weiteren Verlauf und das Nichtloslassen der Eltern von ihrer Tochter immer bizarrere Züge annehmen. Louises letzte Ausrufe lauten zwar ‘Paris!’, ich deute das Stückende in dieser Inszenierung jedoch als Selbstmord. Louise in Chemnitz in der Inszenierung von Rahel Thiel ist weniger ein Spiegelbild von Paris als ein Generationendrama von ungebrochener Aktualität.

Dargestellt und durchweg ausgezeichnet gesungen wird es an erster Stelle von Elisabeth Dopheide in der Titelrolle, mit zwar dramatischem, aber immer schön klingendem Sopran und entsprechend der Zuspitzung der Handlung immer größerer Strahlkraft. Eine große Sopranpartie, diese Louise!

Julien, ihren Geliebten verkörpert Daniel Pataky. Mühelos und leuchtend bewältigt er die immens vielen Spitzentöne, die in dieser Rolle gefordert sind. Vielleicht gewinnt Patakys Tenor noch etwas an Stimmvolumen hinzu. Paula Meisingers schöner, ausdrucksintensiver wirklicher Mezzo bildet den richtigen klanglichen Gegensatz zu Louise. Eine absolut adäquate Besetzung der Rolle der Mutter! Thomas Essls nobler und zugleich dramatischer Bariton kann sowohl die liebevollen als auch die aufbrausenden Seiten des Vaters von Louise erfassen. Und dann sind es noch 25 mittlere und kleinere Partien, die in Chemnitz ausschließlich aus dem eigenen Ensemble bzw. dem Opernstudio besetzt und durchweg gut gesungen werden. Man möge mir verzeihen, dass ich sie nicht im Einzelnen aufzählen und zuordnen kann.

Gelobt werden muss auch der Kinderchor und natürlich die Robert-Schumann-Philharmonie mit dem schon erwähnten jungen Maximilian Otto. Unter seiner Leitung steuert das technisch und musikalisch hochversierte Orchester makellos durch diese anspruchsvolle, opulente und mit immer neuen Überraschungen aufwartende Partitur. Es kommt zu betörenden Klangfarben und Klangausbrüchen. Deutlich wird auch die von Wagner angeregte, aber von Charpentier nicht statuarisch verfolgte Leitmotivik, die diesem fast dreistündigen Opernabend Orientierung gibt.

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