Mit Jakob Lenz hat Wolfgang Rihm eine Kammeroper, also ein zugespitztes und wendiges Format erschaffen, mit dem er die Lebenssituation des Protagonisten vor allem im Straßburger Umfeld darstellen kann. Das kleine Ensemble mit drei solistischen Sängern, Lenz, Kaufmann und Oberlin sowie Solistenchor und einem auf zwölf Instrumentalisten fokussierten Orchester schafft eine dichte Atmosphäre.
Die Handlung, oder sollte man eher von Seelenbeschreibung sprechen, zeigt Lenz, von Stimmen und Erscheinungen verfolgt, der durch Berg und Tal eilt und schließlich in das Haus des Philanthropen Oberlin gelangt, wo er verweilen darf. Lenz findet keinen Schlaf, weil Trugbilder, darunter das seiner geliebten Friederike, ihn keinen Frieden finden lassen. Am nächsten Morgen sind die bösen Geister verschwunden. Nach einen Spaziergang trifft er im Hause Oberlin seinen ehemaligen Freund Kaufmann, den die Familie ausgesandt hat, um den kranken Sohn heimzuholen. Er begegnet ihm aber mit Misstrauen. Lenz erfährt, dass Friederike endgültig für ihn verloren ist. Oberlin kann den Kranken nicht beruhigen, seine Fragen nicht beantworten. Wieder hat Lenz Erscheinungen, er sieht den Leichenzug eines kleinen Mädchens und glaubt, Friederike zu erkennen. Als er das Mädchen nicht mehr zum Leben erwecken kann, läuft er fort, irrt ziellos durchs Land und bricht kraftlos zusammen. Kaufmann hat den Freund gefunden und zurückgebracht. Alle Versuche, ihn zur Besinnung zu bringen, scheitern. Lenz nimmt seine Umgebung nicht mehr wahr, hört nur noch Stimmen und hat Erscheinungen; er ist körperlich und seelisch am Ende. Dieses Geschehen wird in 13 Stationen, wie bei einem Kreuzweg, verfolgt.
Entsprechend der Gesamtstruktur ist das Bühnenbild auf einen flachen Spielraum fokussiert, der dafür mit einigen markante Zeichen setzenden Utensilien belegt wird. So etwa einem Setzkasten, in dem der sich gar nicht einordnen könnende oder wollende Lenz eingequetscht ist. Oder am Ende mit dem Bettgestell, wie man es sich für Irrenanstalten früher nicht besser vorstellen kann. Dazu gesellen sich die Stimmen in Form des aus sechs Personen zusammen gesetzten Solistenchores. Die immer neuen und beklemmenden Bühnenbilder hat Martin Zehetgruber ersonnen.
Die Hauptrolle liegt natürlich bei Lenz, hier verkörpert von Georg Nigl. Dieser Sänger hat sich diese Person des Jakob Lenz so zu Eigen gemacht, dass der Zuschauer die seelischen und auch die körperlichen Qualen des Protagonisten so direkt miterleidet, als ob er selber auf der Bühne agiert. Seine über lange Strecken auf eine Unterhose reduzierte Bekleidung gibt den Blick auf die ganze Person frei. Diese Blöße nutzt Nigl, um neben der Stimme, die er singend, stöhnend, klirrend und immer intensiv führt, noch mit Körperposen potenziert wird. So erreicht er eine ungemein verdichtete Darstellung des Zusammenbrechens. Bereits dieser Auftritt verdient höchstes Lob.
Die beiden Darsteller von Oberlin und Kaufmann fallen automatisch demgegenüber ab. Allerdings darf man zu ihrer Ehrenrettung sagen, dass es das nur scheinbar so ist. Ihre von der Oper kleiner vorgegebenen Rollen und neben einem solchen Lenz verblassenden Anteile lassen keinen Raum für den großen Auftritt. Aber Henry Waddington als Oberlin und John Graham-Hall, als tenoraler Kaufmann eine der wenigen hohen Stimmen im gesamten Gefüge, können ihr Bestreben, helfen zu wollen und nicht zu können, überzeugend entwickeln. Die Stimmen, die Lenz hört, können ergänzend zum beängstigenden Gesang mit sich aufdrängenden Bewegungen punkten. Weitere Bildpunkte setzen in stummen Rollen Martin Bukovsek als Lenz-Double, Aliénor Guillaume als Friederike und sechs Kinder setzen weitere beklemmende Bildpunkte.
Das Kammerorchester aus zwölf Instrumentalisten, allesamt mit tiefen Instrumenten, entfesselt die so dezent und trotzdem so intensiv zwingende Musik. Franck Ollu sieht immer das Ganze und kann trotzdem die unterschiedlichsten Details entwickeln und Klangkörnchen platzen lassen. Auch wenn alle Beteiligten viel Schmerzliches zum Ausdruck bringen müssen und können, so entsteht dabei nichts Wehleidiges oder Weinerliches.
Die Bildregie dieser DVD entfaltet sich zwischen Totalen wie bei den Zwischenspielen und Ausschnitten bis hin zu mikroskopisch ausgerichteten Nahpunkten.
Keine eineinhalb Stunden dauert diese Oper, es kommt einem noch viel kürzer vor wegen der intensiven Bilder und auch viel länger wegen des Leidens.