Grigory Sokolov ist ein Pianist, der immer wieder gut ist für Überraschungen. Konzerte sind für ihn kein Ablauf von gleichbleibenden Schemen, sondern Zeugnisse der Augenblicklichkeit, die sich nie wiederholt. Das zeigen diese Mitschnitte eines Konzerts aus der Philharmonie in Warschau und eines aus dem Salzburger Festspielhaus.
Überraschung Nr. 1 sind die Schubert-Impromptus D. 899: Sokolov hat sie, wie Frau Holle, mal gut ausgeschüttelt, die Daunen gelüftet und das Bettzeug mit einem Color-Waschmittel aufgefrischt. Er zeigt Schubert als kühnen Koloristen, voller glasklar gewordener Details und mit vielen neuen Akzenten und Rhythmen. Nicht mehr in Poesie badend, sondern vom Klangreichtum entzückt hört man Sokolov zu.
Nicht weniger verblüffend ist Beethovens große ‘Sonate für das Hammerklavier’ op. 106. Gut, an Extreme ist man in diesem Werk gewöhnt. Michael Korstick benötigt dafür 51 Minuten, davon 28’42 allein für das Adagio, die meisten Interpretationen liegen zwischen 43 (Pollini) und 45 Minuten, Wilhelm Kempf spielte sie in knappen 39, Gulda gar in 37 mit nur knapp 14 Minuten für das Adagio. Sokolov schlägt Gilels (49) sowie Korstick und braucht satte 52′ und 44 Sekunden, wobei sein Adagio mit einundzwanzigeinhalb nicht so gedehnt ist wie bei Korstick. Doch wie Mr. Beethoven gelingt es Sokolov, den ganz großen Bogen zu spannen, bedächtig voranschreitend, sich immer, die Architektur im Auge, dem Detail widmend. Dabei bleibt die Musik nie stehen, sie fließt je nach Konfiguration mal langsamer, mal schneller, mit oft überraschenden Akzenten, die immer logisch und nie aufgesetzt klingen.
Und nach dieser Hammerklavier-Besteigung erfrischt uns der Meister mit seinen Salzburger Zugaben, kleinen Rameau-Perlen und dem Brahms Intermezzo op. 117/2.