Profil legt immer wieder Sammlungen von Archivaufnahmen vor, die einem Künstler oder Thema gewidmet sind. Hier geht es um den Pianisten Chura Cherkassky, der sowohl in Klavierkonzerten wie auch in Solowerken vorgestellt wird. Das Beiheft listet die gespielten Werke, Satzbezeichnungen, Spielzeiten und die Interpreten auf. Der ergänzende Text ist kurz.
Cherkassky wird mitunter als letzter Romantiker angesehen. Dabei agiert er aber oft mit fast septischer Ausdrucksnüchternheit und zieht sich in die ironische Reserviertheit erlesenen Spiels zurück. Wenn es aber darauf ankommt, den Charakter eines Themas zu entwickeln, kann ihm so schnell keiner das Wasser reichen. Die ganze Welt dieses Künstlers ist in dieser Kollektion sehr schön erfahrbar. Die technische Aufbereitung ist makellos gelungen, so dass man den Aufnahmen, mit Ausnahme der letzten als historische bezeichneten Aufzeichnungen, ihr Alter nicht anmerkt. Mindestens für Freunde des Künstlers und auch des Klaviers bietet sich hier eine lohnende Sammlung.
Die erste CD eröffnet mit beiden Bereichen. Liszt wird mit der ungarischen Fantasie zusammen mit Orchester und dann in zwei Opernparaphrasen nur für den Pianisten an den Anfang gestellt. Bereits hier kann man das facettenreiche Spiel bestaunen, dass aber davon Abstand nimmt, glatte virtuose Welten zu präsentieren.
Auf der zweiten Scheibe steht nochmals Liszt im Mittelpunkt. Das erste Konzert leidet unter der im Philharmonia Orchester gelegentlich eingetrübten Intonation. Das Spiel des Solisten ist geradlinig und verzichtet auf unzeitgemäße Rubati. Die letzte Viertelstunde der CD gehört kleinen Stücken, die wohl in als Zugaben gefasst werden können. Sie erfahren gut durchleuchtete Darstellungen.
Bei den ersten beiden Konzerten von Tchaikovsky fällt eine geringfügig andere Proportion der Tempi als üblich auf. Vor allem im Kopfsatz des ersten wirken die langsameren Teile sehr entspannt entfaltet und bei den schnelleren Passagen wird stärker beschleunigt. Beide Aufzeichnungen mit den Philharmonikern aus Berlin zeugen von guter Abstimmung und Einvernehmen der Beteiligten. Ein filigranes bezauberndes kammermusikalisches Netz entfaltet sich im Mittelsatz des zweiten Konzerts.
Mit nur einer nicht prall gefüllten CD ist der Anteil an Solowerken von Chopin begrenzt.
Danach folgt eine spannende Scheibe, die die ‘Bilder einer Ausstellung’ mit dem zweiten Prokofiev-Konzert zusammen führt. Ein Werk wie das von Mussorgsky kommt dem viele Facetten aufzeigenden Spiel dieses Künstlers entgegen. Hier kann er die ganze Palette seiner Fingerfertigkeit und Anschlagstechnik ausspielen. Der sonst so sensibel Aufspielende muss hier auch mal richtig zulangen. Insofern passt auch das Prokofiev-Konzert dazu.
Auf der sechsten CD gibt es gemischte Musik. Neben dem Shostakovich-Konzert, in dem neben Cherkassky der Trompeter Harald Jackson zum Gelingen beiträgt, ist wiederum, diesmal in überzeugender Weise, das Philharmonia Orchestra mit von der Partie. Über Barbers Ausflüge und die Sonate von Alban Berg gelangt der Solist dann zu Stravinsky mit drei Sätzen aus Petrouchka und der Zirkuspolka für einen kleinen Elefanten. Die einsätzige Sonate erfährt bei Cherkassky eine fast lyrische Behandlung. Bei seinem russischen Landsmann Strawinsky gewinnt man den Eindruck, dass er bei diesem Idiom frei und gelöst aufspielen kann. Ebenso wie bei dem lebensbejahenden Barber könnte man fast meinen, ein Augenzwinkern zu bemerken.
Die folgende CD ist ein Klassiker der Zusammenstellung, es erklingen die Konzerte von Grieg und Schumann. Beide werden vom Philharmonischen Orchester aus London unter Sir Adrain Boult begleitet. Wer hier ungeahnte neue Perspektiven erwartet, wird enttäuscht. Wer sich einfach auf eine großartige klassisch orientierte Interpretation freut, die kraftvoll, aber auch stilistisch feinnervig ist, wird glücklich, auch mit der aufmerksamen Begleitung.
Mehr Schumann folgt mit der C-Dur Fantasie und der inhaltlich und formal nahe stehenden ersten Sonate. Cherkassky vermeidet es, romantisch überschwänglich zu werden. Und obwohl er sich und seinem Stil damit treu bleibt und nicht eine einzige Sekunde über die Stränge schlägt, kann er die poetische Welt dieser Musikwelt beeindruckend vermitteln.
Es schließen sich die Paganini Variationen von Brahms sowie zwei kleine Sätze von Mendelssohn und die C-Dur Sonate KV 330 von Mozart aus den frühen Wiener Jahren an. Die Variationen gehören mit dem umfangreichen Spektrum pianistischer Techniken zu den schwersten Aufgabenstellungen romantischer Pianoliteratur. Von diesen Herausforderungen merkt man in Cherkasskys Spiel nichts. Vielmehr ergötzt der Pianist mit seinem leichtfüßigen Spiel à la Paganini, wobei er anfangs manche Töne sehr abrupt abreißt.
Den Abschluss bildet eine Sammlung historischer Aufnahmen aus den Jahren vor 1935, die vom Barock bis zu Rachmaninov reichen und ein eigenes Werk des Pianisten einschließen. Der Hinweis auf das Alter der Aufnahmen ist gut, da man noch die Laufgeräusche der Nadel in der Rille und einen etwas matten Ton hören kann. Den Abschluss bildet die Sonate für Violoncello und Klavier von Rachmaninov, die er zusammen mit Marcel Hubert eingespielt hat. Im ersten Satz zeigen sie den Komponisten neuer musikalischer Entwicklungen, der oft durch den spätromantischen Gestus, der auch mit ihm verbunden ist, verborgen bleibt und auch in den anderen Sätzen den Vorrang hat. So schließt diese weitreichende, das ganze Spektrum des Pianisten zeigende Sammlung mit der Kammermusik, die sonst nicht vorkommt.
Werktreue war für Cherkasscy zumindest nicht das einzige Motto. Er hat Auftritte bevorzugt, deshalb auch sammelt diese Ausgabe Mitschnitte ein, und hat es verstanden, energievolle Konzerte zu präsentieren.