Quatuor Danel
(c) Oliver Killig

Im Juli des Jahres 1960 kam Dmitri Shostakovich das erste Mal zu einem Erholungsaufenthalt nach Gohrisch in der Sächsischen Schweiz. Hier komponierte er u. a. sein 8. Streichquartett. 50 Jahre später hatte Tobias Niederschlag, ehemaliger Konzertdramaturg der Staatskapelle Dresden, die Idee, an diesem authentischen Ort ein Shostakovich-Festival ins Leben zu rufen. Soeben ist die 15. Ausgabe der Shostakovich-Tage in Gohrisch zu Ende gegangen. Michael Oehme berichtet.

Die Shostakovich-Tage sind aus dem internationalen Festspielkalender nicht mehr wegzudenken sind. 3500 Besucher aus aller Welt füllten an vier Tagen eine alljährlich zu einem Konzertsaal umgebaute Scheune mit erstaunlich guter Akustik.

Am Vortag gab es, wie gewohnt, ein großes Orchesterkonzert mit der Sächsischen Staatskapelle im Dresdner Kulturpalast. Auf dem Programm stand diesmal die Siebente, die Leningrader Symphonie von Shostakovich. Eingesprungen für Tugan Sokhiev hatte der junge aus Weißrussland stammende Dirigent Vitali Alekseenok sein Debüt bei den Dresdnern. Der künftige Chefdirigent der Deutschen Oper am Rhein in Düsseldorf führte souverän durch das gewaltige Werk. Mit ungeheurer Spannung baute er den Kopfsatz, die so genannte Invasion auf. Geradezu räumlich ließ sich das erleben. Die Mittelsätze boten Gelegenheit für herrliche Bläsersoli (Sabine Kittel, Flöte, Céline Moinet, Oboe, Joachim Hans, Fagott), die menschliche Dimension dieser Sinfonie unterstreichend. Schließlich das immer wieder bewunderte Potential der Kapelle (Blechbläser, Schlagwerk) mit Steigerungsmöglichkeiten ohne Grenzen. Nach dem Schlussakkord im dreifachen Fortissimo hätte man sich gern noch einige Sekunden die Frage nach Sieg oder Niederlage gestellt. Leider störten unsensibles Klatschen und Grölen noch in die Musik hinein.

In Gohrisch begann es mit zwei für Shostakovich typisch konzisen kurzen Stücken für Streichoktett, gespielt vom Fritz Busch Quartett der Staatskapelle und dem Quatuor Danel. Letzteres, das kürzlich eine neue Gesamteinspielung der Quartette von Shostakovich vorgelegt hat, fungierte quasi als Residenzensemble beim diesjährigen Festival. Die Interpretation des 9. Quartetts in Es-Dur durch die vier Musiker aus Belgien gehörte für mich zu den Höhepunkten der Tage in Gohrisch. Geradezu schwebend aus dem Nichts kam die Musik, um immer diesseitiger und unerbittlicher in der Gegenwart zu landen. Riesiger Beifall beim Publikum.

Matthias Goerne und Alexander Schmalcz steuerten einen Liederabend mit Wunderhorn-Liedern von Gustav Mahler und der Michelangelo-Suite von Shostakovich bei. Sehr sinnreich hatte Goerne die beiden Werkgruppen ineinander verschränkt. Tief berührend war das, nicht zuletzt, wenn er uns beim gleichnamigen Lied am Schluss fast körperlos in die ‘Unsterblichkeit’ entließ. Stimmlich bleiben allerdings einige Fragen offen. Das Grummeln vor allem in der Tiefe ging doch sehr zu Lasten der Textverständlichkeit.

Mit Höhepunkten geradezu gespickt war die Aufführungsmatinee mit der in größerer Kammerorchesterbesetzung musizierenden Sächsischen Staatskapelle unter der Leitung von Dmitri Jurowski. Dimitri ist der jüngste Sohn von Michail Jurowski, der mit Shostakovich noch in enger Verbindung stand. Den Auftakt bildete als europäische Erstaufführung ein äußerst klangschön musiziertes ‘Bel canto’ für Viola, Streichorchester und Tempelgong von Alexander Raskatov. Solistin war Anya Dambeck. Dann folgte als Uraufführung ein Werk in der Bearbeitung von Dmitri Jurowski: die Lieder und Tänze des Todes von Modest Mussorgsky in der Fassung mit Streichorchester und Schlagzeug. Grandios dabei der aus Athen stammende Bass Alexandros Stavrakakis. Bildhaft wandelbar, mit mächtiger und zarter Stimme traf er genau die Urgewalt der Musik. Riesenjubel in der Konzertscheune in Gohrisch. Dann mit der brillanten Pianistin Julia Zilberquit ihre eigene Bearbeitung von Shostakovichs Concertino op. 94, einem Stück mit viel Motorik und hintergründigem Witz. Schließlich als Uraufführung von Dmitri Jurowski die Konzertfassung von Shostakovichs Musik zum Theaterstück Die Wanze nach Waldimir Majakowski, einer Groteske, die nicht zu überbieten ist. Jurowski hatte dabei die Zwischentexte selbst gesprochen. Die Spielfreude der von Balalaika, Gitarre und Saxophon unterstützten Kapellmusiker schäumte geradezu über und übertrug sich selbstverständlich aufs Publikum.

Gidon Kremer & Kremerata Baltica
(c) Oliver Killig

Wie aus obigen Zeilen ersichtlich bedeutet Gohrisch nicht Shostakovich allein. Jedes Mal werden zusätzlich Komponisten vorgestellt, die von Shostakovich beeinflusst waren oder zumindest in Bezug zu ihm stehen. In diesem Jahr waren das der für Shostakovich immer wichtig gewesene Modest Mussorgsky (Martin Helmchen spielte dessen Bilder einer Ausstellung) und der 1953 in Moskau geborene Alexander Raskatov. Von ihm gab es u. a. die Uraufführung von Liedern nach Gedichten von Ossip Mandelstam, leider nicht ganz unproblematisch durch den doch sehr indifferenten Gesang oder fast Nicht-Gesang von Elena Vassiljeva. Über Shostakovich hinaus ging auch ein Programm mit Gidon Kremer und seiner Kremerata Baltica. Vorwiegend minimalistische, meditative und esoterische Musik von baltischen und russischen Komponisten enthielt es und wirkte doch ziemlich eintönig. Die Uraufführung einer nachgelassenen Romanze für Bass und Klavier von Dmitri Shostakovich musste auf das nächste Jahr verschoben werden. Neu in Gohrisch aber waren die Satiren für Sopran und Klavier von Shostakovich, d. h. in Gohrisch kommt es immer wieder zu Neuentdeckungen und Erstaufführungen, zum Teil aus dem Nachlass des Komponisten. Zu verdanken ist das in vielen Fällen der Witwe Shostakovichs, Irina Antonowna Shostakovich, die ihr ganzes Leben dem Werk ihres Mannes gewidmet hat. Ihr wurde in diesem Jahr der Internationale Schostakowitsch Preis zugeeignet. Irina Antonowna, die in Moskau und Paris lebt und noch in diesem Jahr 90 Jahre alt wird, hatte die Absicht, nach Gohrisch zu kommen. Gesundheitliche Gründe und die gegenwärtigen Schwierigkeiten einer solchen Reise haben das verhindert. icht zuletzt durch die bewegende Laudatio des polnischen Komponisten Krzysztof Meyer, dem Shostakovich-Preisträger des vergangenen Jahres, war sie in Gohrisch im Geiste anwesend.

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