Das letzte Bühnenwerk von Leonard Bernstein hat seit seiner Uraufführung 1986 eine wechselvolle Geschichte erfahren. Zunächst unter dem Einschluss der Oper ‘Trouble in Tahiti’ und für großes Orchester geschaffen, wurde das eingebettete Werk später wieder abgesondert und durch Teile aus ‘A Quiet Place’, die vorher entfallen waren, wieder aufgefüllt. Bernstein hatte später selber den Eindruck, mit einer reduzierten Fassung für ein Kammerensemble die Verständlichkeit der Aussage im wörtlichen und damit auch übertragenen Sinn steigern zu können. Diese Umarbeitung konnte er selber nicht mehr durchführen, was 2013 auf Anregung von Kent Nagano durch Garth Edwin Sunderland nachgeholt wurde.
Ursprünglich war das Orchester für 72 Musiker ausgelegt, darin enthalten Synthesizer, E-Gitarre und ein breitgefächertes Schlagwerk. Für die neue Fassung wurde die Instrumentation auf 18 akustische Musiker fokussiert. Außerdem wurden Seitenhandlungsstränge entfernt und wesentliche Passagen nach Originalmaterialien gestärkt.
Der Autounfall, bei dem die Mutter stirbt, ist der Ausgangspunkt. Die Mitglieder der Familie, Vater Sam und die erwachsenen Kinder, Sohn Junior und Tochter Dede, hatten sie verlassen und so schied sie aus dem Leben. Junior hatte eine Beziehung mit dem Franzosen François und ist immer noch zu ihm hingezogen, aber François ist mit Dede verheiratet. Sam ist sich seiner Fremdheit gegenüber den Kindern ebenso bewusst wie der fehlgeschlagenen Ehe, die lange durch Hass und Wut geprägt wurde. Der bei der Trauerfeier aufbrechende Konflikt wird durch einen aufgefundenen Brief der toten Mutter unterdrückt, in dem sie die Kinder um Liebe und Mitgefühl für den Vater bittet. Anfangs folgen die Kinder nur aus Pflichtgefühl. Aber nach einigen Gesprächen, die die Luft reinigen, gelingt es ihnen, einander näher zu kommen. Die Handlung zeichnet neben zeitspezifischen Kommentaren zur amerikanischen Gesellschaft auch universelle Themen nach, so dass ihre Aussage aktuell bleibt.
Bernstein zeigt sich als Komponist hier nochmals von einer neuen Seite mit einer ausgefeilten seriösen Tonsprache, die typisch Bernstein ist und doch auch ein gutes Stück von früheren Formen, wie West Side Story entfernt. Die vorliegende Version bietet trotz der Beschränkung den typischen Stil und vermittelt dadurch ein authentisches Klangbild. Das den Sängern ihr Part erleichtert wird, ist deutlich zu hören, wobei eine Aufnahme das natürlich auch technisch unterstützen könnte.
Dass der Gesang streckenweise eher ein Sprechgesang ist und nur teilweise gesungen wird, ist bei dieser noch zeitgenössischen Komposition nicht anders zu erwarten gewesen. Die Riege der Sänger und Sängerinnen füllt die Rollen mit großer Intensität und alle zeichnen sich durch gesangstechnisch makellose Vorträge aus.
Das trotz der Reduktion in orchestralen Partien symphonisch klingende Orchester aus Montréal gibt der Musik die mitreißende Färbung, die den Werken Bernsteins immanent ist.
Kent Nagano ist nicht nur ein hervorragender Dirigent, sondern hat über Seiji Ozawa auch viele Jahre, etwa auch bei der Uraufführung von ‘A Quiet Place’ in Wien, mit Bernstein eng zusammen gearbeitet, so dass man aus dieser Nähe auch eine intime Kenntnis der Partitur und der Absichten dahinter annehmen kann. Dieses war bei der Erarbeitung dieser Aufnahme sicher kein Nachteil.
Das Beiheft mit dem Titelbild der idyllischen US-Vorstadtstraße gibt weitere Informationen, im zweiten Buch wird das Libretto in Englisch und Französisch mitgegeben. Die Aufnahme ist ausgefeilt und vermittelt den Gesang klar und verständlich, ohne das einheitliche musikalische Gesamtbild zu beeinträchtigen.