Ein Mitschnitt vom jährlich stattfindenden Festival Donizetti Opera aus Bergamo macht uns mit Donizettis dritter Opernkomposition bekannt, der ersten, die aufgeführt wurde. Die Handlung von Enrico di Borgogna bewegt sich im üblichen Rahmen: Der jugendliche Enrico liebt Elisa, die aber vom bösen König Guido begehrt wird, der den Thron dem Vater des jungen Enrico entrissen hat. Enrico wurde von einem Hirten aufgezogen, der seine Identität erst offenbart, als er den Thron zurück erobern kann. Nach Irrungen und Rangeleien lebt das richtige Paar glücklich bis ans Ende seiner Tage.
Trotz dieser gewöhnlichen Handlung ist es ein Stück, das es wert ist, belebt zu werden. Davon zeugt die Gesamtanlage im Stile Donizettis, aber auch Rossini lässt grüßen. Besondere Beachtung verdienen einige großartige Nummern, wie die eröffnende Cavatina von Enrico, ein spannendes großes Ensemble-Finale im ersten Akt und eine mitreißende Nummer für Bariton und Chor zu Beginn von Akt 2. Auch ein grandios virtuoses Duett für die beiden Mezzi, Enrico und Elisa ist ein Highlight in diesem Akt. Es deutet vieles auf Donizettis zukünftige Entwicklungen hin, und dementsprechend hat das Stück eines 20-Jährigen auch noch Luft nach oben.
Die Inszenierung wurde der jungen italienischen Regisseurin Silvia Paoli anvertraut, die mit einer Drehbühne auf der Bühne arbeitet. Die Besetzung von Enrico bereitet sich auf eine Aufführung vor. Die Charaktere halten Karten mit ihren Namen auf, nur Enrico ist unbesetzt. Die Kostümnäherin wird in diese Titelrolle gedrängt. Donizetti selbst ist auch anwesend und versucht, die Dinge angesichts der vielen Schwierigkeiten zu retten, was in Abenteuern à la Marx Brothers kulminiert. Es folgt dann eine traditionelle Mantel und Degen-Inszenierung, die mit einigen großartigen Bühnenbildern und Kostümen und flinkem Agieren dennoch zu unserem Vergnügen aufgeht. Es sieht gut aus, ist flüssig einstudiert und komplexe schauspielerische Anforderungen werden umgesetzt. Die Kostüme von Valeria Donata Bettella sind sehr extravagant. So funktioniert es sehr gut und widersetzt sich gleichzeitig dem Drang zur Parodie.
Natürlich hängt die Belebung eines Stückes auch von starken musikalischen Darbietungen ab. Es ist deshalb eine Freude, die Academia Montis Regalis auf ihren historischen Instrumenten zu erleben. Klangvolle Darmsaiten der Streicher, das raue Messing im Blech und pikante Holzbläser zeigen alle Farben historisch informierter Lesart. Alessandro de Marchi leitete das Geschehen mit liebevoller Formulierung. Er zieht schnelle Tempi vor, was den Abend unterhaltsam beschleunigt. Diese konstante Energie bringt die Partitur mit tausend Lichtern zum Leuchten, ohne die die Sänger zu missachten oder gar zu strapazieren.
Es wird ebenfalls stark gesungen, wenn auch meist nicht mit allzu großer, hier aber passender Fülle. Anna Bonitatibus bringt ihren wunderbar saftigen Mezzo für die Rolle des Enrico ein. Sie singt mit herrlich fließendem Ton in der Eröffnungs-Cavatina und in der abschließenden Siegesarie zeigt sie stilistische Intelligenz, die sich in geschmackvollen Verzierungen ausdrückt. In dem grandios zubereiteten Duett mit Elisa vermischt sie sich wunderbar mit der Stimme von Sonia Ganassi. Beide spielen ganz entzückend in virtuosen Läufen miteinander, ein Höhepunkt des Abends! Die Rolle der Elisa ist schwieriger, da Gewicht und Koloraturfertigkeit verwoben werden müssen. Die Ganassi gestaltet ihre Rolle leidenschaftlich. Sie hat Gewicht und Gewandtheit, um es durchzuziehen. Ihr voller Mezzo kann etwas plump klingen und findet in der Höhe nicht immer mit dem Orchester zusammen. Aber definitiv kann sie die Rolle bezwingen. Die dritte Damenrolle, die der Geltrude, gesungen von Federica Vitali, becirct ebenso mit spielender Geste wie auch feinem Gesang.
Bei den Herrenstimmen singt Francesco Castoro eine Rolle, die die Fähigkeit erfordert, lang und fließend in Linien zu singen und sich nach oben zu kämpfen. Nach nervösem Beginn mit Ecken erwärmt er sich, um im zweiten Akt als ein anderer Sänger mit gesunden Klang obenauf zu sein. Levy Sekgapane bietet einige stratosphärische Acuti für Guido an, woran sich das Publikum ergötzt. Seine Stimme ist ein wenig schmal, eingeschränkt bei den Klangfarben, aber die Intonation und seine fließenden Linien sind beeindruckend. Luca Tittoto singt den Narren Gilberto und kann mit abgerundetem und warmem Bass gefallen. Lorenzo Barbieri bringt einen kompakten und gesunden Bariton in die Rolle des Brunone. Die Nebenrollen sind alle gut gespielt, mit einer besonderen Erwähnung für die elegante Nicola des Matteo Mezzaro.
Der jugendliche Chor, vorbereitet von Fabio Tartari, agiert und singt mit vollem, kräftigem Ton und hervorragender Mischung, so dass es eine wahre Freude ist. Er ist brillant und sonor und erreicht das gleiche Niveau wie das Orchester.
Es ist eine wahre Freude, dieses Werk in Donizettis eigener Stadt wiederzuentdecken, und das Festival hat die Oper mit Liebe und großer Sorgfalt vorbereitet. Die musikalischen und technischen Standards sind in der Tat hoch, was auch für die Videoaufnahme gilt.