Dass die voreilige Absage der Händel-Festspiele Halle wegen Überschwemmungen eine enorme politische Fehlentscheidung war, darüber ist man sich in Halle einig. Immerhin wurden die Spielstätten von der Flut nicht beschädigt. Durch die Absage geriet das Festival in Händels Geburtsstadt jedoch finanziell in ärgste Bedrängnis. Die Festspielleitung, die die Künstlerverträge trotz der Absage größtenteils honorieren musste, bat das Publikum auf die rechtlich natürlich mögliche Rückerstattung der Eintrittspreise zu verzichten und das Geld somit für die Festspiele zu spenden. Wie es mit den Festspielen weitergehen wird, wie die Edition 2014 aussehen wird, ist zur Zeit noch ungewiss.
Die kulturpolitische Diskussion, die in Halle und in Sachsen entbrannte, ging weit über den Rahmen der Händel-Festspiele hinaus. Von systematischem Kulturabbau, von Kulturignoranz war die Rede. Opernintendant Axel Köhler schrieb in einem offenen Brief:
« Es ist nachvollziehbar, dass die Händelfestspiele unter den gegebenen Umständen nicht unbedingt am 06.06. beginnen sollten.(…) Die generelle Absage bis einschließlich 16.06. in Verbindung mit der Absage aller städtischen Veranstaltungen halte ich aus verschiedenen Gründen allerdings für ein Desaster.
Die erwarteten Künstler und die Kulturliebenden, die aus der ganzen Welt angereist wären,hätten der Stadt Halle und den von der Flut betroffenen Menschen ein unvorstellbares Maß an Solidarität und Unterstützung beschert. Es hätte spontane Benefizveranstaltungen und Gagenverzichtserklärungen gegeben. Händel wäre vom Kulturbotschafter zum Solidaritätsbotschafter geworden und hätte die Anteilnahme in vielen Teilen der Welt auf Halle gerichtet und verstärkt.
Diese Chance ist durch die aus meiner Sicht übereilte Absage vertan worden. Es ist auch nie und nimmer im Sinne Händels, genau in solchen Situationen auf die Kraft und heilende Wirkung der Kultur zu verzichten. Er hat es uns anders vorgelebt.(…)
Was mich persönlich sehr sorgenvoll stimmt, ist das Verständnis oder besser formuliert das Missverständnis von Kultur. Wenn die Begründung der Absage lautet: ‘Die Stadt kann nicht feiern, wenn Menschen in Not sind’, dann wird die Kultur automatisch mit Volksbelustigung in Art einer Fanmeile auf eine Stufe gestellt, die jederzeit verzichtbar ist.
Das unterschwellige politische Signal der Absage der Händelfestspiele lautet deshalb: Wir können Kunst in dieser Situation nicht gebrauchen, wir wollen die Kunst und Kultur nur dann, wenn es uns gut genug dafür geht, als verzichtbares Sahnehäubchen also.
Aber zur Bespaßung sind wir Künstler nicht auf der Welt und genau die Funktion in der Gesellschaft, die Kunst und Kultur haben sollte, hätte in dieser Notsituationen zum Tragen kommen können und müssen und hätte eine enorme positive Energie entfaltet.
Aus meiner Sicht ist der Stadt und auch den Flutopfern durch die Absage der Händelfestspiele kein Nutzen entstanden, sondern es hat sich der materielle Schaden vergrößert, das Image ist beschädigt und die Chance auf ein Handeln im Sinne Georg Friedrich Händels vertan worden.
So etwas geschieht, wenn man das Grundvertrauen in das verloren hat, was den Menschen vom Tier unterscheidet: Die Kultur. »
Und Köhler brachte es schließlich sogar fertig, die Premiere der im Rahmen des Festivals geplanten Händel-Oper ‘Almira’ am 21. Juni nachzuholen. Es war ihm gelungen, alle nötigen Ensemblemitglieder und Gastsolisten für diesen Termin zu verpflichten. Die Aufführung wurde zum Triumph für alle Beteiligten und vor allem für Köhler.