Uwe Krusch – Das erste gemeinsame Album der Geigerin Rachel Podger, die hier auch als Leiterin vom Konzertmeisterstuhl aus fungiert, mit dem kanadischen Barockorchester Tafelmusik, beschäftigt sich mit den Symphonien Nr. 43 und Nr. 49 von Haydn.
Das Orchester Tafelmusik steht seit mehr als vier Jahrzehnten als Synonym für dynamische und mitreißende Aufführungen, die die Musik des 17. bis 19. Jahrhunderts in Stilen und mit Instrumenten aufführt, die der jeweiligen Epoche angemessen sind.
Hört man sich die gut drei Jahrzehnte alte Aufnahme des Orchesters unter der Leitung von Bruno Weil mit der Symphonie Nr. 43 an, so überzeugt diese mit einem ebenso eleganten wie tragenden Interpretationsansatz. Zurückhaltender Bläsereinsatz kennzeichnet das Stück als Kammersymphonie. Im langsamen Satz geben die Bläser den rhapsodischen Charakter mit einer Färbung des zarten Klanggewebes in Pastelltönen wieder. Das Menuett bietet wie ein robuster Volkstanz einen Gegensatz zum gedankenvollen Trio. Diese Schichtungen und Elemente macht diese alte Aufnahme in inspirierter Weise mit einer nuancenreichen und frischen, natürlich fließenden Interpretation deutlich, die das Werk wie erblüht hören lässt.
Die neue Einspielung bietet im vorgenannten Sinne ebenfalls viele schöne Ansätze. Doch entsteht im Unterschied ein anderer Gesamteindruck. Hier wirkt einiges bewusster akzentuiert und entbehrt damit der Natürlichkeit der älteren Aufnahme. Akkorde werden schroffer gesetzt und auch sonst werden Gestaltungen gemacht und scheinen nicht aus sich selbst heraus zu wachsen. In der Welt der Wirtschaft würde man das heutzutage, weder deutsch noch richtig, als ‚proaktiv‘ bezeichnen und damit ausdrücken wollen, dass die Beteiligten die Initiative ergriffen haben. Sich einer Aufgabe anzunehmen ist sicherlich auch positiv zu sehen. Aber Planung und zielgerichtetes Handeln machen nur einen Teil der Musikgestaltung aus.
Immerhin bleiben die Interpreten auch in der Symphonie Nr. 49 ihrem Ansatz treu, so dass man von einem einheitlichen Stil sprechen darf. Das als düster, vielleicht sogar tragisch hörbare Stück, in der Form der Kirchensymphonie gehalten, zeigt im Schusssatz den Stil des Sturm und Drang, mit dem Haydn experimentierte. Die Stimmungen werden vom Orchester und der Konzertmeisterin Rachel Podger gut eingefangen.
The first joint album by violinist Rachel Podger, who also acts as conductor from the concertmaster’s chair, and the Canadian baroque orchestra Tafelmusik, deals with Haydn’s Symphonies No. 43 “Mercury” and No. 49 “La Passione”.
For more than four decades, the Tafelmusik Orchestra has been synonymous with dynamic and captivating performances, performing music from the 17th to 19th centuries in styles and with instruments appropriate to the period.
Listening to the recording of Symphony No. 43 by the orchestra under the direction of Bruno Weil, which is a good three decades old, is convincing with an interpretation that is as elegant as it is supporting. The restrained use of wind instruments characterizes the piece as a chamber symphony. In the slow movement, the winds reflect the rhapsodic character by coloring the delicate sound texture in pastel tones. The minuet, like a robust folk dance, offers a contrast to the thoughtful trio. This old recording makes these layers and elements clear in an inspired way with a nuanced and fresh, naturally flowing interpretation that makes the work sound as if it has blossomed.
The new recording also offers many beautiful approaches in the aforementioned sense. However, the overall impression is different. Here, some things seem more deliberately accentuated and thus lack the naturalness of the older recording. Chords are placed more abruptly and other arrangements are also made and do not seem to grow out of themselves. In the world of business today, this would be called “proactive”, and would express the fact that those involved have taken the initiative. Taking on a task is certainly also a positive thing. But planning and purposeful action are only part of creating music.
Nevertheless, the performers remain true to their approach in Symphony No. 49, so that one can speak of a uniform style. The piece, which can be heard as gloomy, perhaps even tragic, in the form of a church symphony, shows the Sturm und Drang style with which Haydn experimented in the final movement. The moods are well captured by the orchestra and concertmaster Rachel Podger.
Alain Steffen – Symphonische Orchester verarbeiten immer öfters die Erkenntnisse der historischen Aufführungspraxis, wenn sie Werke von Haydn, Mozart oder Bach spielen. Ensembles, die auf historischen Instrumenten spielen, habe eine traditionelle Spielweise oft abgelehnt, es finden sich aber immer häufiger Ansätze, die die historisch informierte Aufführungspraxis mit einem, sagen wir, eher klassischem Empfinden, zu vereinen versuchen. So wie das Ensemble Tafelmusik es hier bei den rezenten Einspielungen der Symphonien Nr. 43 und 49 von Josef Haydn tut.
Die Basis der Interpretation beruht natürlich auf der historisch informierten Aufführungspraxis, die Ausführung ist aber lange nicht mehr so extrem, wie das noch vor Jahren der Fall war. Unter Leitung der Konzertmeisterin Rachel Podger gibt es Annäherungsversuche, die sich besonders in den langsamen Sätzen der beiden Symphonien bemerkbar machen. Hier lässt Podger ihre Musiker von Tafelmusik dann sehr expressiv aufspielen, die Tempi sind wirkliche Adagio und das Ensemble zögert nicht, romantische Gefühle zuzulassen.
Kombiniert mit einer recht spannenden historischen Interpretation klingt das sehr verlockend und die Homogenität wird trotz dieser Annäherungsversuche gegensätzlicher Aspekte in keiner Weise beeinträchtigt. Zudem wird sehr gekonnt musiziert und das natürliche, offene und dynamische Klangbild setzt die Vorzüge dieser Interpretationen ins beste Licht.
Alain Steffen – Symphony orchestras are increasingly incorporating the findings of historically informed performance practice when they play works by Haydn, Mozart, or Bach. Ensembles playing period instruments have often rejected traditional performance practice, but there are more and more approaches that try to combine historically informed performance practice with, let’s say, a more classical sensibility. This is exactly what the Ensemble Tafelmusik is doing with its recent recordings of Haydn’s Symphonies No. 43 and 49.
The basis of the interpretation is, of course, historically informed performance practice, but the execution is not as extreme as it was years ago. Under the direction of concertmaster Rachel Podger, there are attempts at rapprochement, especially in the slow movements of the two symphonies. Here, Podger allows her Tafelmusik musicians to play very expressively, the tempi are truly adagio, and the ensemble does not hesitate to allow romantic feelings to emerge.
Combined with a rather exciting historical interpretation, this sounds very tempting, and the homogeneity is in no way compromised despite these attempts to bring opposing aspects together. In addition, the playing is very skillful and the natural, open and dynamic sound brings out the best in these interpretations.