Unter den Werken von Beethoven finden sich auch rund 600 für Singstimme/n. Deren Zahl und Bedeutung für die Entwicklung dieses Komponisten wird vor dem Hintergrund seiner Errungenschaften bei Symphonien und Streichquartetten wenig beachtet. Die Sopranistin Chen Reiss hat aus dieser reichhaltigen Auswahl die gewählt, in denen ein Orchester die Sängerin begleitet. So werden sowohl noch in Bonn als auch dann in Wien sowie auf Reisen entstandene Kompositionen vorgestellt, an denen sich unterschiedliche Gestaltungsweisen und Entwicklungsstufen feststellen lassen, wie etwa das quasi salonhafte ‘Es blüht eine Blume …’, während etwa die beiden Stücke aus Egmont die Entschlossenheit, in den Kampf zu ziehen und ‘Freudvoll und leidvoll’ himmlische Freude und irdisches Leid beleuchten und damit größere Themen dramatisieren.
Chen Reiss hat sich getraut, diese Werke aufzuführen. Das kann man insofern so sagen, als die menschliche Stimme für Beethoven eher ein weiteres als ein eigenes Instrument war. Deshalb hat er mitunter geradezu unüberwindbare Anforderungen gestellt. So muss sich ein Interpret mit großen Sprüngen, für seine Stimme ungünstigen Lagen oder anderen Aufgaben anfreunden, um diese Werke angemessen darstellen zu können. Man darf sagen, dass Chen Reiss diese Aufgabe mit viel Können und Intuition gelöst hat und so einen Blick auf Beethoven wirft, der diese Seite erfreulich ausleuchtet. Mit einer kräftigen, aber nie auftrumpfenden Stimme und guter Nuancierung gelingt ihr eine sehr erfreuliche Darstellung. Die Academy of Ancient Music, unter der Stabführung von Richard Egarr, ist dabei ein weitaus mehr als verlässlicher Partner, der das zu Spielende in das Licht der historischen Praxis taucht. Ein weiteres kleines Extra ist das Spiel der Harfe durch Oliver Wass bei ‘Es blüht eine Blume’, dass in gepflegter Manier den Charakter des Werkes hervorhebt.