(Remy Franck) – Der etwas grüne, raue Klang der Cappella Aquileia passt sehr gut zu Beethovens Violinkonzert, und wenn Lena Neudauer und Marcus Bosch dann auch noch die dynamischen Gestaltungsmittel zu den wichtigsten ihrer Interpretation küren und etwas Rubato hinzufügen, ist schon alles vorhanden, um eine spannende Aufführung zu garantieren. Die Interpreten erreichen in der Tat durch phantastische dynamische Abstufungen einen extrem hohen Grad an sensibler Musikalität, an Spannung und feinem Innenleben sowie einem letztlich betörenden Lyrismus.
Für die Kadenz aus dem ersten Satz benutzt Lena Neudauer Beethovens Original-Kadenz aus der Bearbeitung für Klavier in der Version von Wolfgang Schneiderhan, die sie aber selber nochmals überarbeitete. In dieser Kadenz erklingen neben der Violine auch noch Pauken.
Nach dem ersten Satz folgt eine höchst erfüllte, von größter Sensibilität getragene Interpretation des Larghettos. Pure Schönheit schafft hier Gefühl. Das Rondo, in dem nirgends Klangpauschalität auszumachen ist, lebt von einer feinen Charakterisierung der Themen, einem wirklichen Dialog zwischen Soloinstrument und Orchester (besonders den Holzbläsern) und viel beherzter Spontaneität. All das lässt diese frisch-kantige Version des Beethoven-Konzerts richtig aufregend werden.
Deutlich aufgewertet werden auch die beiden Romanzen, in denen sehr konzentriert und eloquent musiziert wird.
(Alain Steffen) – Kann man heute noch von Referenzaufnahmen sprechen? Im Falle der großen Werke der Klassik liegen mittlerweile oft über hundert ernstzunehmende Aufnahmen in glänzenden Interpretationen vor. Ob historisch informiert, klassisch, analytisch, experimentell, der Hörer findet alles, was er begehrt und lernt somit die verschiedensten Facetten eines Werkes ganz genau kennen. Im Falle von Beethovens Violinkonzert besitzen wir einige herausragende Einspielungen, die auch nach vielen Jahren als sogenannte Referenzaufnahmen angesehen werden: Menuhin/Furtwängler, Röhn/Furtwängler, Milstein/Abbado, Mutter/Masur, die Liste ließe sich noch weiterführen. Aber auch viele jüngere Violinisten wagen sich an dieses Ausnahmewerk und stellen sich der Konkurrenz. Eine Aufnahme, die ich ohne zu Zögern zu den Besten zähle, ist diese Neuaufnahme mit der Solistin Lena Neudauer. Zusammen mit Marcus Bosch und der Cappella Aquileia bringt sie es fertig, eine Interpretation vorzulegen, die sowohl der historisch informierten Praxis, wie auch dem klassisch romantischen Gestus oder einer modernen Leseart gerecht wird. Neudauers Spiel besitzt Kraft und Griffigkeit, ihr dunkler, manchmal sogar rauer Ton lassen die Ecken und Kanten des Werkes hervorragend zur Geltung zu kommen, um dann im nächsten Moment wieder mit einem sehr lyrischen, fast gesanglichen Spiel genau die Gegenseite von Beethovens Wesen zu beleuchten. Die Solistin interpretiert Beethoven als sanften Riesen, reibt sich an ihm auf und versöhnt sich zugleich wieder mit ihm. Das gibt ein enormes Spektrum an Expressivität, ohne dabei je in zu romantische, effektvolle Gefühlsregionen vorstoßen zu wollen. Kein Zweifel, Lena Neudauer ist eine persönlichkeitsstarke, technisch brillante Interpretin, die ganz im Sinne des Komponisten und seines Werkes arbeitet.
Dass diese Aufnahme aber zu den Besten gezählt werden muss, liegt auch an Markus Bosch, der in völligem Einvernehmen mit der Solistin seine Cappella Aquileia zu einer Höchstleistung anspornt. Das vom ihm gegründete Orchester zeigt, dass in ihm nicht nur sehr talentierte, sondern zudem auch hochmotivierte Musiker sitzen, die Bosch ohne Zögern folgen und so manches bedeutendere Orchester blass aussehen lassen.
Auf ähnlich hohem Niveau begeistern auch die beiden Romanzen, die von der Solistin und Bosch sehr intensiv und erstaunlich modern interpretiert werden. Dieser Beethoven ist eine Sternstunde und unbedingt zu empfehlen.
(Guy Engels) – Was wird uns das Beethoven-Jahr 2020 an überflüssigen Aufnahmen bescheren? Eine Frage, die man sich jetzt schon stellen darf, angesichts der wenig nachhaltigen Beethoven-Hudeleien, die es bereits gibt.
In dieser Reihe ist die jüngste Aufnahme des Violinkonzertes mit Lena Neudauer, der Cappella Aquileia und Marcus Bosch definitiv nicht zu sehen.
Gleich die ungewohnten Paukenschläge zu Beginn lassen aufhorchen. Marcus Bosch hält nichts von schwergewichtigen, leeren Interpretationen, mag auch dieses Beethoven-Konzert zu den Schwergewichten des Repertoires gehören. Dieser Beethoven ist schroff, kantig, ja fast ungehobelt. Und Lena Neudauer passt sich dieser Lektüre mit ihrem nicht immer feinst geschliffenen, trockenen und direkten Ton an.
Der Violinistin, dem Dirigenten und seinem Ensemble geht es nicht um eine episch-symphonische, schön polierte Interpretation von Beethovens Opus 61.
Die etwas raue Gangart ist ungemein kontrastreich, haucht der Partitur neues Leben ein, verleiht ihr Struktur und eine ungemeine Ausdruckskraft.
Sogar der lyrisch-intime zweite Satz verträgt diese unverblümte Lesart, ohne an poetischer Innigkeit einzubüßen. Der Dialog zwischen der Solistin und dem Orchester ist makellos. Hier begegnen sich zwei Partner auf Augenhöhe, genau wie es dem Komponisten vorschwebte.
Man kann Lena Neudauer nur zustimmen, wenn sie im Booklet schreibt: « Ich fühle mich in diesem Stück als Teil von etwas viel Größerem, was ein sehr erhebendes Gefühl ist. » So geht es dem Zuhörer auch.