Tchaikovskys ‘Pique Dame’ von ist ob ihres so tiefgründigen und auch rätselhaften Sujets eine seiner besten Opern. Eine konzertante Aufführung, die vor nunmehr schon beinahe dreißig Jahre stattfand, wird nun erstmals dem Archiv des russischen Labels Melodiya entrissen. Für diese Aufführung trafen erlesene Künstler zusammen, die teilweise bereits lange mit dem Werk vertraut waren und teilweise auch ihre erste oder wieder erste Befassung mit dem Werk zu einem herausragenden Ereignis machten.
Zu den mit der Rolle Vertrauten gehört der Sänger des Herman, Vitaly Tarashchenko. Ihm gelingt eine ausdrucksstarke und sängerisch makellose Leistung. Zu den Debütanten gehören Irina Arkhipova in der Rolle der Gräfin, die eine der bedeutendsten russischen Sängerinnen der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts war, und der vor zwei Jahren verstorbene Dmitri Hvorostovsky, der in dieser Aufführung erstmals den Fürsten Jelezki sang und das Publikum ebenso wie Arkhipova zu Beifallsstürmen animierte, zu Recht.
Und wenn ich alle anderen solistisch Singenden nicht einzeln aufführe, so bedeutet das keinesfalls eine Abqualifizierung. Es handelt sich um eine mehr als ausgewogene Besetzung, wie sie wohl nur für ein einmaliges konzertantes Ereignis erreicht wird.
Auch der Chor leistet einen großen Beitrag zu diesem großen Opernabend, wenn auch der erste Einsatz unklar und verschlafen klingt. Im weiteren Verlauf hat sich diese Unsicherheit aber gegeben, und das Ensemble kann prägnant partizipieren, ohne das manchmal sehr Vollvolumige mancher russischer Reisechöre zu strapazieren.
Ein weiterer Neuling ist Vladimir Fedoseyev. Er hatte damals das Orchester zwar schon mehr als fünfzehn Jahre geleitet und Tchaikovskys orchestrales Werk in allen Facetten durchdrungen, aber die Oper war für ihn in diesem Moment Neuland. Eine Unsicherheit oder gar Unkenntnis der Partitur ist aber keinesfalls anzumerken. Vielmehr hat man den Eindruck, dass die anderweitige Befassung mit dem Werk dieses Komponisten auch hier die Fügung der Beteiligten erleichtert, so wie ein Lotse einen Ozeanriesen durch Untiefen dirigiert. Das Orchester entfaltet unter dieser Leitung alle Möglichkeiten. Dazu gehören inniges, kammermusikalisch geprägtes Spiel mit liebevoll nuancierten Soli ebenso wie große Tuttipassagen, die, dem Livemoment geschuldet, einmal ein wenig ungeordnet und harsch geraten, ansonsten aber erlesene Spielkultur zeigen.
Ein großes Plus ist auch das russische Idiom, da die heimische Zunge von den Muttersprachlern fehlerfrei dargeboten werden kann, wodurch das Libretto von Tchaikovskys Bruder Modest auf die Erzählung von Pushkin eine überzeugende Einheit mit der Musik bildet. So wird auch der besondere russische Charakter stark vermittelt, wie etwa einerseits im Ensemble des Endes der ersten Szene und gleich danach in dem wohlgemerkt wunderschön triefenden Duett von Lisa und Pauline gleich zu Beginn der zweiten. Die Aufnahmequalität ist sicherlich damals auf der Höhe der Zeit gewesen, ist aber neuen Aufnahmen gegenüber technisch unterlegen. Dafür hat dieser Konzertmitschnitt das Feuer des Ereignisses und die Spannung mehrerer Debütanten, so dass hier ganz große Oper geboten wird, trotz kleinerer Einschränkungen.