Ein fulminanter erster Satz, ein zwischen düsteren und lieblichen Gedanken alternierender 2. Satz, ein spannendes und mit einer guten Portion Phantastik gespieltes Scherzo und ein grandioser Finalsatz: die Bruckner-Box der Berliner Philharmoniker beginnt mit einer äußerst spannenden und packenden Darbietung der Ersten Symphonie in der originalen Linzer Fassung von 1866 unter der Leitung des Japaners Seiji Ozawa. Dies ist die älteste Aufnahme in diesem Set, sie wurde 2009 gemacht.
Paavo Järvi dirigiert die Zweite in der Fassung von 1877, also der revidierten zweiten Version der Symphonie. Die Aufnahme entstand im Mai 2019. Den schwierigen ersten Satz hält er bei aller Flexibilität des Musizierens sehr gut zusammen. Doch das ist noch nichts gegen die Art, wie er den
langsamen Satz gestaltet, voller Poesie und Mystik, wunderbar ausdrucksvoll und stellenweise von atemberaubender Spannung. Ein rhythmisch pointiertes Scherzo und ein großartiges Finale beschließen diese spannende Aufnahme.
Dass der im Dezember 2017 entstandene Mitschnitt von Herbert Blomstedts Dritter großartig sein würde, war vorauszusehen. Eine perfekte Kontrolle allen Klanggeschehens, eine nicht weniger perfekte Beherrschung der Strukturen und der Proportionen, ein ständig wacher Atem, und als Antwort von den Berliner Philharmonikern eine phänomenale Umsetzung von Blomstedts Dirigieren.
Haitinks Version der Vierten (Version 1878–1880, Aufnahme 2014) ist sozusagen das Gegenstück des fulminanten Klangereignisses mit demselben Orchester unter Karajan: Haitink geht einerseits emotionaler, aber auch reflektiver vor, oft direkt liebevoll und behutsam. Das Adagio ist von unwiderstehlichem Charme. Auch in den anderen Sätzen scheinen es vor allem die leisen Stellen zu sein, die Haitink am meisten interessieren.
Die Fünfte (2011 aufgenommen) durchdringt derselbe Dirigent spirituell wunderbar, mit betonten Kontrasten zwischen dem Hymnischen, dem Alerten und dem Vergeistigten. Auch in dieser Symphonie faszinieren die Berliner Philharmoniker mit einem ganz herausragenden Spiel.
Bruckners Keckste wird vom kürzlich verstorbenen Mariss Jansons dirigiert. Die Sechste ist eine der apartesten und abstraktesten Bruckner-Symphonien überhaupt, deren stupende Modernität Jansons im ersten Satz sehr gut zur Geltung bringt. Nach dem vertieft dirigierten Adagio gestaltet der Dirigent das kühne Scherzo sehr verspielt, und auch das stolze und durchaus heitere Finale erlangt bei ihm eine großartige Wirkung. Die Aufnahme ist aus dem Jahre 2018.
Christian Thielemann dirigiert die Siebte in der Fassung von 1885. Es ist ein in allen Hinsichten interessanter Mitschnitt vom Dezember 2016. Thielemanns Interpretation siedelt sich fernab jeder intellektuellen Strenge in einem eher emotional gesteuerten Bereich an, mit viel packender Innenspannung und viel Poesie. Selten hört man bei Bruckner so viele prägnant herausgearbeitete Nebenmotive.
Zubin Mehta hat zwar erst im November 2019 die Achte Bruckner mit den Berliner aufgeführt, aber der Mitschnitt, der in diesem Set enthalten ist, stammt aus dem Jahre 2012. Er dirigiert die Nowak-Fassung von 1890, die heute wohl zunehmend an Bedeutung verliert, aber letztlich die meist aufgenommene Fassung ist. Sie ist sicher die opulenteste Version, und das spielt Mehta in seinem Dirigat aus, das sehr atmosphärisch, unerwartet gut und klanglich hervorragend ist.
Simon Rattles Interpretation der Neunten wurde im Mai 2018 von den Mikrophonen eingefangen. Er dirigiert nicht nur die drei Sätze, sondern auch die vervollständigte Fassung des 4. Satzes in der 2010 revidierten Fassung von Samale-Philips-Cohrs-Mazzuca. Rattles Tempi sind auf der langsamen Seite , er setzt auf großartige Steigerungen, einen vollen, aber letztlich doch sehr transparenten und inner-dynamischen Sound ohne jede Schwere und erreicht mit den Berlinern ein ungemein vitales und spontanes Musizieren. Da ist Elektrizität drin!
Und so muss man am Ende feststellen, dass diese Box die Bruckner-Symphonien in der Sicht von acht zum Teils sehr unterschiedlichen Dirigenten präsentiert, und wenn es daher auch abgesehen vom durchwegs herausragenden Spiel des Orchesters keine interpretatorische Einheit gibt, so ist gerade die Abwechslung eine Bereicherung und das nicht zuletzt weil nicht eine einzige der Interpretationen enttäuscht.