Bohuslav Martinus ‘Gilgamesh-Epos’, ein groß angelegtes Oratorium für vier Solisten, Chor und Orchester, wurde 1955 nach der Rückkehr des Komponisten aus den USA in Südfrankreich komponiert. Uraufgeführt wurde das Stück in deutscher Sprache 1958 in Basel, unter der Leitung von Paul Sacher. Das Original ist jedoch in Englisch und folgt einer Übersetzung von Reginald Campbell Thompson nach den Worten des alten assyrischen Epos, in dem der sumerische König Gilgamesh gefeiert wird.
Gilgamesh, der um 2700 v. Chr. den Stadtstaat Uruk beherrschte, wird von Enkidu herausgefordert, einem sehr starken Mann, den die Götter zu diesem Zweck geschaffen haben. Nach erbitterten Kämpfen schmieden beide ein Band der Freundschaft, das Gilgamesh dazu bringt, nach dem tragischen Tod seines Freundes (zweiter Teil des Oratoriums) seine eigene Sterblichkeit und Verletzlichkeit zu erkennen.
Die Musik ist im Grunde neoklassisch, mit viel drängender Rhythmik und vielen Farben, die den Einfluss der traditionellen tschechischen Musik zeigen. Die Chöre sind neben dem Orchester das wichtigste Element in dem dreiteiligen Werk.
Für die Prager Aufführung, die dieser Liveeinspielung zugrunde liegt, verwendete Manfred Honeck nicht nur den originalen englischen Text, sondern auch die neue kritische Edition der Partitur.
Die vier Solisten werden ihrer Aufgabe sehr gut gerecht: der Tenor Andrew Staples als Enkidu, der australische Bariton Derek Welton als Gilgamesh, der prächtige Bass Jan Martinik und die Sopranistin Lucy Crowe mit ihrer leuchtenden Stimme. Der renommierte Schauspieler Simon Callow sorgt mit seiner prägnanten Stimme für die Narration.
Absolut hinreißend ist die Leistung des Tschechischen Philharmonischen Chors, dessen Gesangsdynamik und klangliche Kohärenz das Oratorium zum großartigen Erlebnis werden lassen. Der Chor wird bestens unterstützt von der Tschechischen Philharmonie, deren Farbpotenzial Manfred Honeck perfekt ausschöpft. Der Klang wird dabei so gut differenziert und balanciert, dass die Sänger nicht verdeckt werden.
Die völlige Abkehr von Pathos und von jeder Feierlichkeit sind weitere Merkmale dieser spannungsvollen Interpretation, in welcher der Hörer vollauf in den Genuss des musikalischen Reichtums der Komposition kommt.