Eine der größten Sängerinnen des XX. Jahrhunderts, die Amerikanerin Marilyn Horne, feiert am heutigen 16. Januar ihren 80. Geburtstag. 1934 in Pennsylvania geboren, begann sie ihre Karriere wohl in den USA, aber ihr erstes festes Engagement hatte sie am Stadttheater Gelsenkirchen, wo sie innerhalb von drei Jahren das Handwerk lernte… und ihre Stimme ausbaute, vom Sopran zum Mezzo, was sie denn auch auszeichnete. Doch waren es nicht nur diese Bandbreite, die technische Agilität, das ungemein klare Artikulieren, die gestochen scharfen Koloraturen, die ihre Weltkarriere begründeten: Marilyn Horne hatte eine gewaltige Stimme mit einem klaren und hochdramatischen Timbre in Verbindung mit einer Vortragstiefe, die eine absolut fesselnde Wirkung hatte.
Ich habe die Belcanto-Diva mehrmals in Paris erlebt, als sie auf dem Höhepunkt ihrer Karriere war. Ich ging mehrmals, wie andere Opernfreunde auch, heiser aus dem Theater, weil wir uns die Kehlen wund Bravo geschrieen hatten. Und ich habe immer noch, wenn ich an diese Abende zurückdenke, eine Gänsehaut. Marilyn Hornes Gesang hatte etwas derart Zwingendes, Hypnotisches, dass er auch ohne jenes dramatische Element, das eine Callas auszeichnete, ohne das Spirituelle, das eine Schwarzkopf hatte, eine Intensität kreiert, die einen aus dem Häuschen bringen konnte.
Charakteristisch für Marilyn Horne sind ein absolut perfektes Belcanto, ein total souveränes Singen ohne jede Fehl, ohne falsche oder abrupte Akzente, ohne Unterbelichten, ohne Manierismen. Mustergültig sind die Souplesse der Stimme, die Sorgfalt der Vokallinie, die Färbung, die Stilsicherheit…. Alles, was zur sängerischen Kunstfertigkeit gehört, hat Marilyn in ihrem Singen angewandt. Eine Königin des Gesangs, edel in der Zurückhaltung, großartig in der Hingabe.
Wer Rossini-Arien wie ‘Murai felici’, ‘Cruda sorte’ oder ‘Tanti affetti’ mit Marilyn Horne gehört hat, wird diese Interpretationen zeitlebens nicht vergessen.
Man hat Marilyn Horne vorgeworden, ihr Gesang sei etwas kühl gewesen. In einigen Rollen mag dieser Vorwurf nicht ganz falsch sein – die Leonore im Fidelio etwa – aber die Sängerin wusste schon recht gut, was ihr lag, und was nicht. Sei es in Opernarien aus Italien und Franbkreich, in französischen und spanischen Melodien, in Liedern von Richard Strauss, Hugo Wolf und Schumann, in Wagners Wesendonck-Liedern oder in Mahler-Liedern, überall packte uns die Sängerin mit einer intensiven Gestaltung und einem ausgeprägten Sinn für düstere Dramatik. Und genau hier trennen sich dann die Geister. Wo die einen sagen, der Vortrag sei zu zurückhaltend gewesen, behaupte ich, dass er gerade in dieser fast vornehmen Zurückhaltung durch seine Intensität die Seele sehr wohl traf.
Faszinierend war Horne besonders dann, wenn die Dimension des Ernsten, des Tragischen vorhanden war, den sie wie keine andere Sängerin, die Callas ausgenommen, so genial zum Ausdruck bringen konnte.
CD-Empfehlung:
Marilyn Horne: The Complete Decca Recitals; Marilyn Horne, Mezzosopran, Martin Katz, Klavier, Chor des Grand Théâtre de Genève, Ambrosian Opera Chorus, Orchestre de la Suisse Romande, Vienna Cantata Orchestra, Orchestra of the Royal Opera House, Covent Garden, Royal Philharmonic Orchestra, Vienna Opera Orchestra, Los Angeles Philharmonic Orchestra, English Chamber Orchestra, Henry Lewis, Zubin Mehta, Carl Davis; 11 CDs Decca 4780165; 1964-1986 (ca 555′)
La Donna del Lago (Murai felici):