Wenn ein Künstler vom Publikum mit einer minutenlangen Standing Ovation begrüßt wird, noch ehe er einen Ton gesungen hat, ist ein ganz besonderes Ereignis angesagt. Es ist das ‘Vienna Comeback’, das erste Konzert von José Carreras nach seiner Genesung von der Leukämie, im Jahre 1988. Carreras kam damals nicht mit einem Orchester, nicht mit Opernarien, sondern mit Vincenzo Scalera am Klavier und zeigte im schwierigsten Auftritt überhaupt, dass die Krankheit der Stimme nichts angetan hatte, dass sie genau dieselben Stärken (wie Schwächen) zeigte wie davor. Dass Carreras, dessen Stimme nie eine extreme klanglicher Reinheit besaß, gerade mit einem Rezital sein Comeback feierte, zeugt aber von einem hohen Anspruch. Kommen dann noch die Sinnlichkeit des Gesangs und die künstlerische Ausstrahlung hinzu, hört man gerne über die Mängel hinweg. Freilich hätten die Tontechniker mit einer etwas weniger direkten Aufnahme und etwas mehr Hall auch manches überspielen und entschärfen können. Dennoch behaupte ich, dass viele Möchtegern-Tenöre von heute mit einem Programm, wie es Carreras hier singt (Lieder von Massenet, Fauré, Hahn, Liszt, Puccini, Tosti u.a.) kläglich untergehen würden.
Die zweite Blu-ray dieser Edition enthält das Konzert, das José Carreras und Monserrat Caballé 1989 im Moskauer Bolschoi-Theater gaben. In Arien, Liedern und Duetten liefern die beiden Sänger einzeln und zusammen beeindruckende Beispiele ihrer Kunst, wobei Carreras, wie immer, der Caballé um einiges an Emotionalität voraus ist und Caballé ihn technisch überbietet. Seele mit Kraftsingen gegen unterkühlten Wohllaut, das ist der Wettstreit, den sich die beiden Sänger hier liefern
Schön, dass auch die zutiefst bewegende Aufführung der ‘Misa Criolla’ von Ariel Ramirez in dieser Box enthalten ist, die 1990 live in der Mission Dolores in San Francisco aufgezeichnet wurde. Carreras, der die ‘Misa Criolla’ schon vor seiner Krankheit aufgenommen hatte, kehrt hier zu diesem wunderbaren Stück zurück und hebt in Begleitung des ‘Coro de la Basilica de Socorro’ aus Argentinien und des ‘Cuartito Andino’ zu einem phänomenalen, spirituellen Höhenflug ab. Schade, dass die Dokumentation, die dem Film in der Philips-VHS-Veröffentlichung von 1996 vorausging, nicht mit übernommen wurde. Platz genug wäre auf der Silberscheibe gewesen, auch wenn diese den Vorteil hat, noch einige Canciones anzubieten, die Carreras im ersten Teil des Konzerts sang und die Philips 1996 wiederum nicht mitlieferte.
Die drei in dieser Box vereinten Film stellen eine ausgezeichnete Hommage an den Sänger José Carreras dar, der jetzt endlich und eigentlich viel zu spät entschieden hat, seine Karriere zu beenden, allerdings nach einer fast zweijährigen Abschiedstournee, 2018.