Frau Zimmermann, von der Bratsche sagen Violinisten manchmal, sie sei eine Diesel-Geige, und manchmal stimmt das sogar. Ihr Spiel jedoch zeichnet sich durch einen großen, üppigen und sehr rein schwingenden Ton aus. Was machen Sie anders als viele andere Bratscher?
Ich hatte das Glück, von Anfang an einen hervorragenden Lehrer zu haben, dessen Anspruch und Ideal es war, dass man die Schwierigkeiten des Instruments nicht bemerkt. Diese Idee habe ich etwas weiter entwickelt. Es gibt durchaus Dinge, die auch mir schwer fallen, wie z.B der Anspruch an einen vollen Klang mit sehr guter Artikulation. Das ist richtig schwer auf der Bratsche, schwieriger als auf der Geige. Man muss die schwereren, dicken Saiten zum Schwingen bringen und braucht dazu eine sehr hohe Geschwindigkeit in der Bogenhand und gleichzeitig auch ein gutes Gewicht, damit der Klang nicht nur kurz, sondern auch noch voll ist.
Was fasziniert Sie eigentlich am Bratschenklang?
Ich finde, die Bratsche ist eigentlich vielseitiger als die Geige. Man kann als Soloinstrument oberste Stimme sein, oder bei der Kammermusik in der Mitte, bei manchen Werken sogar als Bassinstrument fungieren. Das kann die Geige nicht. Es kommt natürlich immer darauf an, was man daraus macht, wie man sein Instrument hören möchte. Auch da gibt es bei der Bratsche eine große Bandbreite. Welchen Klang bevorzuge ich? Möchte ich lieber einen Sopranklang oder neige ich eher zum Bass oder mehr zu einer ausgeglichenen Mitte oder will gar von allem etwas? Für mich ist das ausgleichende Element in der Mitte vielleicht das wichtigste. Und dann wähle ich, je nach Werk, welchen Klang ich dazu haben möchte. Die Bratsche hat da sehr viele Möglichkeiten.
Die Bratsche ist ja wahrscheinlich auch deshalb ein nicht so gesuchtes Instrument, auch von den Komponisten, weil die meisten Komponisten eher brillante Musik schrieben, und die Bratsche diese Brillanz nicht bringen konnte.
Sicherlich ist dies eine Begründung, aber eine andere könnte auch sein, dass die Musiker sich vielleicht auch nicht so festgelegt haben, und wenn jemand Geiger war, hat er eben für die Kammermusik auch mal zur Bratsche gegriffen. Das Spezialisieren auf ein bestimmtes Instrument ist ja auch relativ neu, und dass man da die Tür ganz fest zumacht und sagt: Hier werden nur Geigen unterrichtet und hier halt nur Bratschen, ist eigentlich nicht so gut.
Spielen Sie eigentlich immer noch die Vatelot-Bratsche, die Sie als Preis erhielten?
Ich spiele ausschließlich die Bratsche von Etienne Vatelot. Das Instrument hat sich weiterhin fantastisch entwickelt, macht alles, was ich von ihm verlange und das bei einer, sagen wir mal, einfachen Bedienung. Diese Viola ist nicht sehr wetterempfindlich, macht leicht auch viele Reisen, ist stabil gebaut und hat gleichzeitig doch einen großen Farbenreichtum entwickelt. Sie hat vor allem die eine Stärke, die sie für mich anderen Instrumenten gegenüber auszeichnet, nämlich, dass ich nicht unbedingt auf das Mitleid der Dirigenten angewiesen bin… Mitleid ist etwas, das mag ich einfach nicht, und daher habe ich mir ein Instrument gesucht, das eine positive Penetranz hat und damit komme ich nach wie vor ganz gut zurecht. Ich liebe dieses Instrument und ich möchte wirklich keine Veränderung.
Das Repertoire für die Bratsche ist nun einmal begrenzt. Wird das nicht auf Dauer eintönig, immer dieselben Werke zu spielen?
Ich habe inzwischen auch manchmal das Gefühl, ich müsste neue Wege und Grenzen suchen, um eben auf gar keinen Fall eine Routine zu erleben, denn das Wort Routine ist für mich ein Schimpfwort und ist in der Musik einfach etwas sehr, sehr Schlechtes. Ich habe angefangen, mehr Transkriptionen zu spielen und natürlich ist die zeitgenössische Musik auch ein Feld, wo es doch sehr viele neue Werke für die Viola gibt. Leider ist es oft so, dass man mit größtem Aufwand ein neues Werk erarbeitet und nach der Uraufführung kaum noch die Gelegenheit erhält, es zu spielen.
Was war denn die größte Herausforderung unter den Stücken, die für Sie geschrieben wurden?
Das bleibt nach wie vor die Solosonate von György Ligeti! 1994 habe ich die Uraufführung gespielt, leider mit sehr wenig Vorbereitungszeit, denn etwa sechs Wochen vor der Uraufführung kamen die einzelnen Sätze aus meinen Faxgerät gequollen. Beim ersten Anlauf war es sehr schwierig, bleibt es aber auch nach wie vor. Ligeti stellt Herausforderungen an die Bratsche, die sonst nirgendwo vorkommen, und ich denke, es wird wohl noch zwei Generationen von sehr gut ausgebildeten Bratschern brauchen, bis es ein bisschen verständlicher wird, weil jeder einzelne Satz Höchstanforderungen beinhaltet, etwa ein ganz kompliziertes Akkordspiel, wofür man z.B. eine weniger starke Stegkrümmung braucht – mit einem normal gekrümmten Steg so wie die meisten spielen, kann man diese Akkorde in ihrer Masse und Fülle nicht wirklich machen -, dann geht er in endlos hohe Lagen, nimmt enorme Geschwindigkeiten, verlangt Kraftaufwand und Emotionalität,… also das alles bleibt auch für mich heute noch schwierig.
Der Geiger Julian Rachlin wechselt manchmal und liebend gerne von der Geige zur Bratsche. Würde es Sie reizen, hin und wieder von der Bratsche zur Geige zu wechseln?
Ich liebe die Violine bei anderen, aber nicht, wenn ich sie selber spielen soll. Ich fühle mich der Bratsche näher verbunden. Auf der Geige kommt bei mir kein schöner Ton zustande, denn als Instrument ist es mir einfach zu klein. Es gibt ganz wenige Werke, wo ich traurig bin, dass ich die nicht spielen kann – dazu gehören beide Klaviertrios von Schubert -, aber das ist wirklich die Ausnahmesituation. Ich habe auf meiner Bratsche genügend zu tun und überlasse die Geige sehr gerne den Kollegen.
Sie haben 2004 das Arcanto Quartett gegründet. Warum?
Unter anderem auch wegen des Repertoires! Ich habe wohl Arbeit genug als Solistin, aber es fehlt mir in diesem Bereich etwas geistige Nahrung. Sich an Meisterwerken zu messen und einfach daran zu wachsen, das bedeutet mir sehr viel. Gerade das Streichquartett kann dahingehend sehr viel bieten. Ich hatte bisher sehr viel Kammermusikerfahrung in gemischten Besetzungen, aber kein festes Ensemble. Wir wollen nicht in erster Linie ganz viele Konzerte spielen, sondern wir wollen ganz viele Werke erarbeiten und haben daran unglaublich viel Spaß. Es ist trotzdem harte Arbeit!
Sie haben einmal gesagt: « Neben so wichtigen Einflüssen, wie dem Elternhaus, zählen für mich die Arbeitsphasen im Landesjugendorchester Baden-Württemberg zwischen 1977 und 1981 mit zu den entscheidenden Anstößen, die mich dazu gebracht haben, Musik als meine Berufung zu verstehen. … » Es ist also auch für einen Solisten sehr wichtig, in der Jugend in einem Orchester zu spielen?
Unbedingt! Man kann Musik nicht auf ein Instrument reduzieren und auch nicht auf die Karriere, die man später damit macht, sondern es geht, glaube ich, erst einmal darum, eine ganz weit gefächerte musikalische Ausbildung zu genießen und erst später werden sich die Wege in verschiedene Richtungen entwickeln. Ich glaube, es wäre ein großer Fehler, wenn man einem Kind gleich sagt: Du wirst Solist und deshalb klammern wir alle anderen möglichen Dinge aus. Also wenn ich Kammermusik-Erfahrung habe und mein Ohr bereit ist, Dinge aus dem Orchester aufzunehmen, bin ich als Solistin sicherlich besser vorbereitet, als wenn ich nur meine Stimme erarbeite und die vielleicht brillant spiele aber ganz gewiss nur ein schmales Ergebnis erziele.
Das ist ja dann auch wohl ein Rat, den Sie Ihren Schülern geben. Was bedeutet Ihnen das Unterrichten?
Ich mache es leidenschaftlich gerne und ich finde es einfach wunderbar. Zunächst war es ein jahrelanges Selber-weiter-in-die-Noten-hinein-wühlen und viele Fragen gemeinsam stellen und heute ist es einfach ein anderer Arbeitsbereich, heute kann ich besser zwischen Schülern und meinen Konzerten trennen, aber ich finde es wunderbar, wenn man Menschen über Jahre begleiten kann. Ich glaube daher mehr an die Regelmäßigkeit, an die kontinuierliche Arbeit als an das System der Meisterklassen, wo man jemanden kurz kennen lernt und ihm sagen kann, wo seine Fehler sind und was er besser machen kann, aber es ihm nicht ermöglicht, zu zeigen, wie es anders geht, denn das braucht Zeit. Es kommt auch selten bei uns an der Hochschule vor, dass jemand so fantastisch ausgebildet ist, um mit ihm wirklich nur über Musik zu reden. In den meisten Fällen geht es um eine sehr tiefschürfende Arbeit, es geht darum, musikalische Ideen mit einer technischen Verwirklichung zusammen zu bringen, und eben das kostet viel Zeit und Arbeit.
Wie wird es Ihrer Meinung nach mit der Klassik weiter gehen, machen Sie sich Sorgen um die Zukunft?
Die Musik selber werden wir nicht kaputt kriegen, die ist einfach zu gut und steht für sich selber. Aber ich glaube, es gibt doch so manches zu verbessern, weil unsere Konzerte in der Form zu steif sind. Wir sind zu wenig lebendig und bewegen uns heute auf einem Interpretenmarkt, wo es gar nicht mehr so um die Stücke geht, die gespielt werden, und das finde ich sehr schade, obwohl ich als Interpretin davon profitiere, dass man mich einlädt und nicht nur die Stücke hören möchte, die für mein Instrument geschrieben wurden. Aber ich sehe es doch sehr kritisch, dass man einen Namen, den Namen des Interpreten, dreimal größer schreibt als den des Komponisten.
Aber bei den vielen Künstlern, die es heute gibt, muss doch irgendwie schon Marketing gemacht werden.
Aber die Frage ist doch ‘Was möchte ich hören?’ Gehe ich als Hörer ins Konzert, um eine perfekte Leistung – also wie auf einer CD – zu erleben oder vielmehr ein lebendiges Musizieren? Also Routine gegen Spontaneität! Mein persönliches Ziel ist es, eine Partitur immer wieder neu zu entdecken und auf diese Weise neu zum Leben erwecken, auch wenn ich sie bereits 20, 50 oder 200 Mal gespielt habe. Es gibt genügend Faktoren – Raum, Zuhörer, vielleicht auch mein persönliches Tagesgefühl -, die mit ihren jeweiligen Veränderungen genügen, um den kleinen Spielraum, der in den Partituren drin ist, auszunützen und ein Werk neu zu erleben. Wenn ich es aber heute, morgen und übermorgen immer gleich spiele, dann fühle ich mich in meiner Seele ziemlich abgestorben. Und genau da liegt meine Kritik an unserem Musikmarkt: Es sind viele Leute auf der Bühne, die eine lackierte perfekte Leistung liefern, die aber nicht unbedingt zum lebendigen Musizieren zu rechnen ist.
Spontan, das heißt doch ein Werk spielen, als sei es gerade erst geschrieben worden…
…und das ist natürlich schwierig, weil die Partitur ja schon geschrieben ist und ich versuchen muss, mich in diesem ganz kleinen Freiraum frei zu fühlen.
Ist er so klein?
Das ist Ansichtssache, mir reicht er, ich fühle mich da überhaupt nicht beklemmt oder eingeschränkt.
Als Hörer will ich, dass die Musik spontan wirkt und nicht recherchiert, denn das ist genau die Gefahr: Wenn man den Eindruck hat, einem Künstler gehe es nur um die neue Richtung, wirkt seine Interpretation nicht selten so recherchiert, dass es schon wieder manieriert ist.
Das ist die Balance, die jeder für sich selbst finden muss. Das ist ja das Schöne, dass sich jeder vom anderen unterscheidet und man als Hörer frei wählen kann, was einem besser gefällt. Jemand, der eine ausgeglichene Natur hat, musiziert auch ausgeglichener als jemand, der neurotisch veranlagt ist, denn der wird sicherlich in der Musik auch eine andere Ausdrucksform suchen. Aber beides kann interessant sein, je nachdem welche Werke man wählt. Ich zähle eher zu den ausgeglichenen Naturen, für mich ist es schon interessant, auch zeitgenössische Musik sowie hochdramatische Werke zu spielen, die durch mein ausgeglichenes Naturell eher verträglicher für den Hörer werden.
Haben Sie neben Familie, Solo und Kammermusik noch andere Interessen?
Ich lese sehr gerne, komme aber eigentlich nur im Zug dazu. Ich bin nicht so die Sportsperson, aber Natur finde ich wunderbar und hätte gerne mehr Gelegenheit, mich in der Natur zu bewegen, denn aus der Stille und Ruhe kann ich sehr viel Kraft tanken. Ansonsten bin ich jemand, der immer auch Kontakt zu Menschen sucht und in Verbindung mit anderen Menschen das Leben verbringen möchte, ich bin kein Einzelgänger.