Christoph Ehrenfellner

Was war deine erste Komposition?
Mein Opus 1 war Amores, Ovids Liebesgedichte für Streichquartett und Stimme. Die Uraufführung 2005 habe ich selbst gesungen und spontan improvisiert und meine eigenen Bühnenbilder gemalt. Meine Mutter ist damals an einem Lichthebel gesessen und wir haben das sozusagen voll szenisch aufgeführt. Die Leute waren begeistert. Ein erster Versuch und gleich ein Kick mitten hinein in die Welt des Schöpfens und der Kreation!

Du hast als 25-jähriger gleich zu Ovid gegriffen. Steckt in Dir ein Humanist?
Ja, in mir steckt ein Humanist, ganz dezidiert. Ein wirklicher Philanthrop und ein Kunstliebender. Latein war im katholisches Privatgymnasium wichtig und hat mich fasziniert. Die Rückgriffe auf die Antike und auch auf die Renaissance bedeuten für mich ganz, ganz fruchtbare Quellen. Verrückterweise glaube ich, dass ich wirklich der fleischgewordene Beweis dafür bin, dass die Narrative des 20. Jahrhunderts, was die Kunst- und Musikgeschichte notorisch betrifft, dass man die einfach hinterfragen und überdenken muss.

Höre ich da Skepsis gegenüber einer ‘Neue Musik-Polizei’?
Das hat im Kirchenchor meiner Mutter, im Salzburger Hennndorf am Wallersee begonnen – mit fünf Jahren, bei Begräbnissen und Hochzeiten. Bei den Wiener Sängerknaben ist es weitergegangen, in der Wiener Staatsoper mit Plácido Domingo und Luciano Pavarotti in den größten, herrlichsten Zeiten. Als gewachsener Musiker bin ich irgendwann ins Kreative, also ins Schreiben hineingekommen. Durch diese Andersartigkeit in meiner Biografie bin ich automatisch prädestiniert zum Brückenbauer zwischen der traditionellen Welt und der Avantgarde.
Und jetzt ist es natürlich komisch, wenn man sowas sagt, 2025, wo es seit mehr als 100 Jahren eine Avantgarde gibt, die von sich sagt, sie ist Avantgarde. Und man fragt sich, wo ist diese Trennung passiert? Und es gibt ja auch diese wilden Rebellen, die irgendwas aufgebrochen haben, was Neues erfinden mussten und so weiter. Es geht nicht um Ideologie, sondern es geht um Effizienz. Und ich bin nicht umhingekommen, von diesem Punkt der ideologischen Trennung mit der Tonalität, noch einmal neu nachzudenken und zu probieren. Ich bin sicher nicht am Ende. Das ist meine Reise. Und das ist auch eines meiner wirklich herauskristallisierten Credos, wo die Musik dazu da ist zu trösten, aufzurichten, zusammenzuführen, Freude und Kraft zu spenden. Ich bin absolut überzeugt, dass die Musik essentiell dazu da ist.

Das klingt jetzt natürlich so ein bisschen nach ‘Gesunder Musik’. Ist sie das?
Ich glaube einfach, dass wir ein Kapitel weiter sind in der Menschheits- und Kunstgeschichte. Die meisten von uns haben eine geregelte Arbeit und ein geregeltes Einkommen und eine Kranken- und eine Pensionsversicherung. Dass sie deswegen glücklich sind rundum, dass alle Themen erledigt sind, keinen Trost und keine Freude und keine Inspiration brauchen, glaube ich nicht. Im Gegenteil! Es ist in unseren saturierten Gesellschaften noch wichtiger, die Dürre der Seele wirklich mit frischem Wasser zu erfüllen. Und da muss man schon einmal sagen, wie wirkt Musik und was ist Wasser? Und das kann ich relativ genau und treffsicher definieren. Nach 30 Jahren auf der Bühne und mit der gesamten Musikgeschichte in meinen Fingern und in meiner Stimme weiß ich gut genug, was ist Wasser und was ist Staub.

Was macht Deine Musik aus? Kannst Du das in Worte fassen?
Ich habe vor Jahren einmal augenzwinkernd gesagt, ich bin ein Klassiker in der Moderne. Betonung auf ‘in’! Das ist in jedem Takt meiner Musik spürbar, woher das kommt. Es will diese Herkunft und liebt Tradition. Es gibt überhaupt keinen Grund, diese Tradition sozusagen irgendwie zu bashen, weil für mich ist Tradition per se etwas wahnsinnig Positives. Aber in einem Umfeld, wo das als das Neue verkauft wird, die ganze Zeit, was sich eigentlich seit 100 Jahren wiederholt, ist gerade jemand wie ich ein Rebell. Es nutzt doch nichts, wenn ich als Klangkörper einen Ferrari wie beispielsweise die Wiener Philharmoniker in der Garage habe, aber ich sage, ich finde das jetzt toll, wir fahren alle nur noch mit dem Rückwärtsgang herum, weil vorwärts sind wir genug gefahren. So, und das habe ich 30 Jahre lang als Musiker erlebt und dagegen biete ich wirkliche Alternativen.

Siehst Du Dich in einer Tradition mit Alban Berg?
Ganz massiv sogar. Also so weit, dass ich jetzt meine vierte Oper, Karl und Anna op. 48, die im April 2024 am Mainfranken Theater Würzburg uraufgeführt wurde, dezidiert als eine Art – also ich habe mich von Wozzeck einfach glattweg inspirieren lassen. Nicht, dass ich irgendwas kopiert hätte draus, aber ich habe diese Art von eigentlich serialistisch, also mit Reihen zu arbeiten, zu denken, aber mit einer Freiheit und Klangsinnlichkeit, die unbedingt orientiert ist an der Effizienz, an dem, dass es musiktheatralisch wirkt. Ich benutze alles, was sich in der heimischen Opernkultur als brauchbar erwiesen hat, die Leitmotivtechnik von Wagner, die Serialität, dieses freie Poetische von Alban Berg, und baue damit weiter und mache mein eigenes. Also warum sollte ich es nicht benutzen? So kann ich meinem Publikum ein tiefes Vergnügen bescheren.

Das heißt, Du hast dein Leben noch nie für die Schublade komponiert?
Nie! Jedes Stück hat einen Auftrag. Mein erstes hat durch mich den Auftrag gekriegt. Das war aber das einzige. Alle anderen sind Aufträge.

Hattest Du klassischen Kompositionsunterricht?
Ich bin in die Klasse von Prof. Christian Minkowitsch am Konservatorium der Stadt Wien gekommen, da hatte ich mein erste Oper schon geschrieben. Er hat die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen und gesagt, « um Gottes Willen, das ist ja alles im Dreivierteltakt. Das können Sie doch nicht ernst meinen. » Und ich habe gesagt, das meine ich ganz ernst. Und Sie werden schon sehen – mein Opus 7, die Kammeroper Mae Mona war mein erster großer Opernerfolg. Das haben vier verschiedene Zeitungen als Sensation tituliert und so ist es munter weitergegangen. So war auch meine zweite ein großer Opernerfolg, meine dritte auch und meine vierte auch. Also, was soll ich sagen? Ich bin schon auf der richtigen Spur. Das zeigt das Echo.

Christoph Ehrenfellner

Richtige und falsche Musik…
Das ist etwas ganz Schwieriges für die Kunst. Ich habe mir nach Erfahrungen als Sänger, als Geiger und Dirigent den Weg bahnen müssen. Und der Weg ist halt vielleicht zu meinem Glück in die Komposition hineingegangen. Bezogen auf meine Musik: Wenn man sich für ein Thema entscheidet, hat es Konsequenzen. Manche Themen eignen sich für dies, andere für etwas anderes. Wenn man den Weg geht mit einem Thema schicksalshaft, dann kann es sein, dass man das braucht oder die Energie hat, gegen die Wand zu fahren. Anderes lässt man in einem Rosengarten für sich stehen.

Wo siehst Du aktuell Deinen Werkkatalog?
Also ich bin jetzt gerade mit meinem Opus 63 für Düsseldorf beschäftigt. Ich habe 62 teilweise sehr umfangreiche Werke geschrieben, eben vier Opern, drei Symphonien, ein Ballett, drei Streichquartette, Kammermusik, Theatermusik, verschiedenste Dinge. Und ich habe mich immer sehr klassisch bewegt. Ein Wort ist mir dabei zur Quintessenz geworden: Effizienz. Also solange wir in einem klassischen Konzertsaal sitzen und ein klassisches Ensemble zu bedienen haben, geht’s um klassisches Erzählen. Weil da sitzt ein Publikum, das zahlt einen Eintritt und das hat jetzt eineinhalb Stunden Zeit, in denen es was hören möchte. Es zahlt dafür. Ja, wenn ich nichts sage in diesen eineinhalb Stunden oder was sage, wovon die nichts verstehen, oder wo sie nichts verstehen können, was haben die dann davon? Also da bin ich sehr streng geworden im Laufe meines Musikerlebens, zu sagen, schau her, das ist der Rahmen. Wenn ich Geräuschkombinationen mache, dann brauche ich nicht Wiener Philharmoniker da sitzen haben, die ja ihr ganzes Leben lang dafür gearbeitet haben, einen schönen Ton aus einer Geige rauszubringen, weil ein Geräusch, das kann ich in 20 Minuten jemandem erklären, wie man sowas rausbringt aus einer Geige.  Dabei geht es keineswegs nur um das, was sich traditionell als gut und schön und wahr herauskristallisiert hat.

Wo darf ich Dich künstlerisch verorten?
Ich weiß gar nicht, da gibt es kaum Worte dafür. Der musikliebende Fürst Paul Esterházy hat sich jeden Abend vorspielen lassen vom Joseph Haydn. Der konnte ihm nicht plötzlich irgendwie was dahinschaben und sagen, aber das ist jetzt Kunst. Das hat klingen müssen. Ich möchte jetzt nicht den Paul Esterházy als die Instanz für alle Kunst herausstellen, aber so hat das Spiel funktioniert, über Jahrhunderte. Es hat sich einfach nicht erübrigt, dass wir Symphonieorchester haben. Es hat sich nicht erübrigt, dass wir Opernhäuser haben. Es hat sich nicht erübrigt, dass wir Beethoven spielen. Ich behaupte, aus sehr gutem Grund.

Die Jury der ICMA hat Dich zum Komponisten des Jahres gekürt. Bei der Gala am 19. März in der Düsseldorfer Tonhalle wirst Du Dein neues Stück selbst dirigieren. Was dürfen wir erwarten?
Ich habe es Wiener Blut 200 genannt. Es ist eine Umarmung an den Johann Strauß und den 200. Geburtstag, den wir 2025 feiern. Was ich sehr gern mache, ist, Rosen aus Wien mitzubringen, wenn ich woanders hinfahre. Weil ich sehe, dass das niemand anderer macht. Eines meiner Schlüsselwerke ist Ravels La Valse – sozusagen die Apotheose des Wiener Walzers und zugleich der Untergang und Abgesang desselben. Das wird ein Rosenstrauß aus Wien, ein Bravourstück inspiriert von Ravels La Valse. Die Düsseldorfer Symphoniker werden ihre gesamte Farbpallette ausspielen können.

Wie voll ist Dein Auftragsbüchlein?
Ich bin jetzt nicht bis 2030 ausgebucht, aber was sehr interessant ist, dass ich in den fast 20 Jahren, die ich jetzt als Komponist durch die Welt gehe, noch nicht eine Woche gehabt habe, in der ich keinen Auftrag und keine Arbeit gehabt hätte. Auf ein Jahr hinaus ist es quasi schon wieder so, dass ich nicht weiß, was ich zuerst machen soll. Und es ist zugleich ein gutes Gefühl und eine Einladung diesem Weg weiter zu folgen.

Vom Komponisten zum Geiger Ehrenfellner: Mit welchen Musikern, Musikerinnen der Vergangenheit würdest Du gerne Streichquartett spielen?
Ich gäbe so viel drum, dass ich einmal mit David Oistrach hätte spielen dürfen. Sein Klang auf der Geige ist für mich etwas vom Beglückendsten und Größten. Ich hätte gerne mit Jacques Thibaud gespielt. Ich glaube, das wäre ein Musiker gewesen, mit dem ich viel teilen hätte können. Ich wäre sehr gern mit dem Sándor Végh am Pult gesessen., dessen Enkel-Schüler ich über meinen Geigenlehrer Gerhard Schulz bin. Bei der Bratsche ist es schwieriger. Wahrscheinlich mit dem Paul Hindemith. Das hätte mich unglaublich gereizt. Wir wären wahrscheinlich ein wildes Gespann gewesen.

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