Pierre Cao, Sie sind relativ spät zur Musik gekommen, nachdem Sie beruflich bereits einen anderen Weg eingeschlagen hatten.
Ich war nie dazu bestimmt, Musik zu machen. Nach Schulabschluss habe ich in einer Waschmaschinenfabrik gearbeitet. Erst als ich aus gesundheitlichen Gründen eine längere Zeit in einem Sanatorium in der Schweiz verbrachte, beschloss ich, Musik zu machen. Meine Eltern waren einverstanden, obwohl es für sie nicht einfach war, weil sie nicht die finanziellen Mittel hatten. Auch ich hatte es lange Zeit schwer in dieser neuen Welt. Mir fehlte ein klassisches Studium, und ich bewegte mich in Kreisen, die nicht meine Welt waren. Darunter habe ich sehr gelitten. Als junger Dirigent vermied ich offizielle Termine so weit wie möglich. Ich merkte bald, dass nicht der Mensch, sondern der Funktionär eingeladen wurde. Erst viel später habe ich das gelassener gesehen und konnte mich damit abfinden.
Sie wurden dann schon früh Dirigent beim ehemaligen Orchester von RTL – dem heutigen Philharmonischen Orchester von Luxemburg.
Ich habe schnell gemerkt, dass dieser Posten nichts für mich war. Es fehlte mir an Repertoire und Erfahrung. Doch die Arbeitsbedingungen waren ideal. Man hatte mir einen Vertrag auf Lebenszeit gegeben – was mich im Grunde auf eine Stufe mit Herbert von Karajan stellte. Aber ich fühlte mich nicht wohl in dem, was da passierte. Und weil ich immer ehrlich zu mir selbst war, beschloss ich im Jahre 1976, zu kündigen. Das war die richtige Entscheidung. Es hat dann lange gedauert, bis ich zum Dirigieren zurückgekehrt bin.
Ich habe in meiner musikalischen Laufbahn sicherlich viele Fehler gemacht, aber ich hatte auch viel Glück.
Sie sagen, Sie waren damals als Dirigent noch nicht wirklich bereit. Wann ist man denn bereit, Dirigent zu sein?
Im Grunde genommen nie. Gott sei Dank werden irgendwann Plakate gedruckt, die das Konzert ankündigen, dann muss man mit den angesetzten Proben zu Rande kommen.
Später habe ich meinen Studenten im Dirigierkurs immer geraten, nur das Repertoire zu wählen, dem sie sich gewachsen fühlen, und sich Schritt für Schritt vorwärts zu bewegen.
Pierre Cao ist eher als Chorleiter denn als Orchesterdirigent bekannt. Woher kommt die Leidenschaft für das gemeinsame Singen?
Ich war Mitglied des Arbeitergesangvereins in meiner Heimatstadt Düdelingen und habe danach immer wieder Chöre dirigiert, obwohl ich eigentlich in Brüssel ein Diplom als Orchesterdirigent erworben hatte. Es macht mir einfach Spaß, Menschen zum Singen zu bringen. Ich dirigierte auch sehr große Chöre – zum Beispiel eine Carmina Burana mit 600 Sängern in Barcelona.
Sie sind der Gründer von Chören und Chorinstitutionen wie dem Institut Européen de Chant Choral.
Das erste Projekt, mit dem man an mich herantrat, war ein Centre polyphonique in Lothringen. Aber ich sah ein solches Institut zur Förderung des Chorgesangs eher auf einer breiten europäischen Basis – eine Idee, die in Frankreich auf große Begeisterung stieß, in Luxemburg einige Hürden überwinden musste und in Deutschland eher zurückhaltend aufgenommen wurde. So entstand 1992 das Institut Européen de Chant Choral (INECC).
Ich hatte bereits 1991 das Ensemble vocal du Luxembourg gegründet. In Luxemburg gab es kein professionelles Vokalensemble. Mit dieser Initiative wollte ich diese Lücke schließen. Am Anfang lief das Projekt sehr gut. Da ich zu dieser Zeit auch die Psallette de Lorraine und den Choeur de Chambre de Namur dirigierte, konnten wir sogar gemeinsame Konzerte veranstalten.
Dann kam Arsys Bourgogne.
Arsys Bourgogne war ein fantastisches Abenteuer. Alles begann mit einem Telefonanruf aus der Bourgogne. Sie wollten ein Orchester oder einen Chor in der Region gründen und suchten – aus welchen Gründen auch immer – meinen Rat.
Irgendwann war ich davon überzeugt, dass dies ein sehr spannendes Projekt sein könnte – unter zwei Bedingungen: Ich würde gute Sängerinnen und Sänger nehmen, wo ich sie finden würde, also nicht ausschließlich aus der Region; die Entscheidung über Repertoire und Programme würde allein bei mir liegen. Das funktionierte, und so ist Arsys Bourgogne entstanden. Vieles wurde möglich, weil auch das nötige Geld vorhanden war. Ähnlich war es bei der Gründung der Rencontres Musicales de Vézelay.
In diesen Jahren habe ich oft mit spezialisierten Ensembles (u.a. Concerto Köln) gearbeitet und selbst viel gelernt. Mit Renaissance- oder Barockmusik hatte ich während meines Studiums überhaupt nichts zu tun. Meine erste Johannespassion mit historischen Instrumenten habe ich im Alter von 42 Jahren dirigiert.
Hat Pierre Cao neben der Musik noch andere Leidenschaften?
Ich liebe Fußball und bin ein großer Fan von Pep Guardiola, seit ich am Katalanischen Musikkonservatorium in Barcelona Chorleitung unterrichtet habe.