Joseph Moog, dessen Laufbahn wir genau verfolgen, seit er auf Vorschlag u.a. von ‘Pizzicato’ zum ‘Young Artist of the Year 2012’ bei den ‘International Classical Music Awards’ (ICMA) gekürt wurde, hat schon eine ganze Reihe von CDs aufgenommen, spielt aber nun zum ersten Mal auf einem Tonträger Chopin. Nicht kleine Stücke hat er dafür ausgewählt oder mit einer Sonate gekoppelt, sondern ein eher ungewöhnliches CD-Programm mit den drei Sonaten.
Es gibt eine Tendenz, Chopin so zu spielen, dass ihn auch Leute mögen, die sonst mit Chopin nichts anfangen können. In diesem Interpretationsbereich gibt es den herben, den männlichen Chopin und den völlig nüchternen, vielleicht auch ernsten Chopin, dessen Musik sich auf natürliche Weise entwickelt. Joseph Moogs Chopin passt in keine dieser Kategorien, obwohl er einen sehr virilen, unsentimentalen, aber durchaus nicht gefühllosen Chopin spielt, der aber auch weit entfernt ist von der eleganten Sachlichkeit eines Arthur Rubinstein. Er setzt auf Kontraste, auf Dramatik und will offenbar immer spürbar machen, dass Chopin durchaus aufgewühlte und sogar unbequeme Musik schreiben konnte. Nicht das Bild eines schwächlichen Salonkomponisten entwirft er, sondern eines Komponisten, der seelische Zustände in leidenschaftlicher und spannungsvoller Äußerung in Musik setzte.
Dunkles gibt es in der jugendlichen 1. Sonate, dem Opus 4, noch nicht wirklich (obwohl Chopin damals bereits kränkelte und « nur Haferschleim futterte wie quasi ein Pferd ») – aber den inneren Trieb bringt Moog sehr wohl zum Ausdruck, und so manche ungestüme Geste überrascht in einem wenig gespielten Werk, dem manche gerade seine Armut an Kontrasten und rhetorischer Attraktivität vorwerfen. Dabei geht die Anmut des Menuetts (dem einzigen, das Chopin schrieb) nicht verloren, und die Brillanz des Presto-Satzes ist atemberaubend: Moog ist in einem Spektrum, das von 5’36 (Mursky) bis über acht Minuten dauert, einer der schnellsten, aber er präsentiert sich nicht als Langstreckenläufer, sondern fährt sehr differenzierend auf der kurvenreichen Strecke, die Chopin vorgegeben hat.
Die ungewöhnlichste, kontrastreichste und sicher auch in ihrer Eigenwilligkeit mutigste Interpretation der CD ist die der Zweiten Sonate. Im ersten Satz sind die Tempounterschiede schon extrem, sie zeigen, wie Moog mir in einem Gespräch über seine Interpretationen sagte, den getriebenen, den gejagten Chopin, der zwischendurch immer wieder zusammenbricht und Blumiges zum Ausdruck bringt, wenn auch bloß in einem wieder rasch zerstörten Charme. Das Konzept ist schlüssig, und wer George Sands autobiographischen Roman ‘Lucrezia Floriani’ gelesen hat, wird sich bei Moogs erstem Satz des Opus 35 an jenen Passus erinnern, wo steht: « Er lebte in der Einbildung seines tagtäglich zu erwartenden Todes ». Die ungezügelte Dramatik des stürmischen Scherzos kontrastiert mit dem notturnohaften Mittelteil des Satzes, in dem aber auch untergründig unruhige Phrasen betont werden. Die Melodien scheinen hier wie gebrochen, und am Ende scheint das Herz still zu stehen. Daran fügt sich in logischster Weise der unerbittlich formulierte Trauermarsch an. Über 10 Minuten nimmt sich der Pianist dafür, « um das quälende Tempo » (Moog) wirksam werden zu lassen, mit dramatischen Akzenten, die einem wie ein Auflehnen vorkommen, während der schlicht gesungene Mittelteil symbolisch weniger für Trost als für Erlösung steht.
Das anderthalbminütige Finale dreht Moog so durch die Mangel, dass es zum Ausdruck geistiger Verwirrung und Haltlosigkeit wird. Der Todesgedanke bekommt so direkt mahlerianische Züge.
Die dritte Sonate spielt der Pianist mit viel rhythmischer Energie und einer Sensibilität, der jede Sentimentalität abhold ist, ergo mit einer Klarheit und Sachlichkeit, die zusammen mit einem sicheren Stilgefühl ungemein beeindrucken. Kaum ist eher dunkle Largo verklungen, reißt uns das Finale energievoll mit. Mit einer erstaunlichen Farbpalette und einer reichen linken Hand, die in der Klangformung sehr wichtig ist, gibt er seinem Spiel eine Klangkonzentration, die den Hörer überrascht
und letztlich für den in seinem Wesen zutiefst destabilisierten Chopin steht.
Und so ist denn diese Neuvermessung von Chopins Klangräumen durch Joseph Moog ein hoch interessanter Vorgang, der, so persönlich er auch sein mag, uns in die Realität führt, zum Blut spuckenden Chopin, der seit jungen Jahren einen Überlebenskampf führte.