Jetzt liegt die DVD vom offiziellen Antrittskonzert von Andris Nelsons als Kapellmeister des Gewandhausorchesters in Leipzig vor. Mit Leipzig verbindet man zwangsläufig gewisse Namen, allen voran Johann Sebastian Bach sowie ein früherer Kapellmeister, Felix Mendelssohn-Bartholdy. Beide waren im Konzert vertreten, letzterer mit seiner Schottischen Symphonie. Bach erschien verklausuliert im Violinkonzert von Alban Berg, das mit Baiba Skride eine tiefsinnig in das Werk hineinhorchende Gestalterin hatte.
Statt langer Reden direkt hinein langte Nelsons mit der Uraufführung des Stückes ‘Relief for Orchestra’ von Steffen Schleiermacher. Der mit Leipzig verbundene Komponist hat dem ihm nahestehenden Orchester ein Stück auf den Leib geschrieben, das die Instrumentalgruppen, aber auch Solisten des Orchesters wie in einem Relief aus der Gesamtheit heraushebt. Dazu gehören dann auch seltener zu hörende Bläser wie Bassklarinette und Kontrafagott. Dazu wird auch eine große Schar von Perkussionisten eingesetzt. Das Werk entwickelt sich zwischen kraftvollen und solistischen Passagen und zeigt sich eher farbig, vielschichtig und orchesteraffin als tiefsinnig. So kann sich das Ensemble von seinen besten Seiten, sowohl technisch als auch musikalisch, präsentieren.
Das vielleicht weniger an moderne Musik gewöhnte Publikum musste dann noch das Violinkonzert von Alban Berg verdauen. Das wurde ihm aber leichtgemacht, denn mit seiner lettischen Landsfrau Baiba Skride hatte Nelsons eine sensibel und einfühlsam agierende Gestalterin gefunden. Das Bonmot, das ein Werk gegen das Soloinstrument geschrieben ist, stammt schon aus früheren Zeiten, aber man kann es hier wieder oder wirklich anwenden. Denn der Solopart hat mitunter auch nur begleitenden Charakter für Solisten aus dem Orchester. Der oder hier die Solistin ist also gezwungen, sich einzugliedern oder massiv aufzutrumpfen und damit den Charakter zu missdeuten. Skride wählt und findet den dem Stück angemessenen Weg, nicht sich aufzuspielen, sondern famos aufzuspielen. Dabei klingt diese Version des Konzerts moderner und atonaler als die Uraufführung am Beginn.
Nelsons und die grandiosen Leipziger wissen mit Selbstsicherheit, die auch nicht nach vorne drängt, sich diesem Solopart anzupassen, ohne nur dabei zu sein, was sie auch gar nicht dürften.
Als Zugabe präsentiert Baiba Skride einen kurzen barocken Satz von dem allgemein wenig bekannten Johann Paul Westhoff. Dabei gelten seine Werke für Violine solo als Quellen, die mit einiger Sicherheit für Bach und seine großartigen Soloviolinwerke inspirierend waren, so dass sich hier wiederum ein Kreis schließt.
Zum früheren Kapellmeister führt dann die Aufführung der Schottischen Symphonie. Auch hier kann man die bereits tiefe Verbindung zwischen Dirigent und Orchester fühlen. Seine Zeichensprache ist eher markant unprätentiös als blumig. So kann er einerseits mit kleinster Mimik und Gestik fein steuern und gibt dem selbstbewussten Orchester gleichzeitig den Raum, den es mit eigener Erfahrung und Musikalität füllt, so dass ein Dialog zwischen den Instrumentalisten und dem Dirigenten entsteht, der sich als großes Klangerlebnis für die Zuhörer offenbart. Ihre Deutung von der von Natureindrücken geprägten Symphonie zeugt von der großen musikalischen Vertrautheit, die schon besteht. Das gesamte Konzert deutet schon an, welche Potentiale noch gehoben werden können, ohne jetzt schon alles preiszugeben.