Ivan Boumans, Deconstructing Love ist ein Auftragswerk des Kulturministeriums. Was können Sie zu diesem neuen Werk sagen?
Es ist die Umsetzung eines Projektes, das ich eigentlich schon jahrelang mit mir herumtrage. Nämlich das universelle Thema der Liebe zu analysieren. Deconstructing ist also nicht als zerstören zu deuten, sondern eher als mikroskopische Analyse von ‘Was ist Liebe?’ Es ist meine eigene, ganz persönliche Auseinandersetzung mit dem Thema und meinen Erfahrungen.
Sie haben die Form des Klavierkonzertes gewählt und bleiben damit in einer gewissen musikalischen Tradition.
Das hat verschiedene Gründe. Zum einen wollte ich unbedingt mit dem Pianisten Jean Muller zusammenarbeiten, der das Werk auch spielen wird. Zudem ist das Klavier mein Lieblingsinstrument und somit für mich bestens geeignet, meine Gefühle und meine musikalische Analyse auszudrücken. Hinzu kommt, dass ich den Auftrag vom Kulturministerium erhalten hatte und dass auch die Solistes Européens Luxembourg und ihr Dirigent Christoph König stark daran interessiert waren, Deconstructing Love aufzuführen. Liebe ist ein sehr universelles Thema, das schwer zu greifen ist. Auch musikalisch. Deshalb habe ich mich für die konkrete Form des Klavierkonzertes entschieden. Es ist das erste Mal, dass ich in Sonatenform komponiere und somit auf die klassische Form zurückgreife. Deconstructing Love dauert rund 25 Minuten und ist dreisätzig angelegt. Der 1. Satz ist in Sonatenform komponiert, der zweite ist ein Thema-und-Variationssatz und der dritte ein Rondo.
Sie haben unter anderem bei Claude Lenners studiert, gehen aber einen ganz anderen, eher tonalen Weg.
Ein Journalist hat meine Musik einmal als neo-impressionistisch bezeichnet. Und ich glaube, diese Beschreibung trifft am besten zu. Bei Claude Lenners habe ich vor allem das technische Knowhow gelernt, musikalisch bin ich aber eher der französischen Tradition der Impressionisten verbunden: Ravel, Debussy, Dutilleux oder Messiaen. Sehr wichtig ist es, dass meine Musik Emotionen und eine Botschaft transportiert. An einer rein mathematischen Auslegung bin ich nicht interessiert. Ich muss einfach Lust haben, meine Gefühle auszudrücken und dich nehme mir dabei die Freiheit, zwischen den Stilen hin- und herzuwechseln. In meinem neuen Klavierkonzert finden sich deshalb sowohl Einflüsse der Impressionisten, wie auch Anklänge an Rachmaninov und Shostakovich.
Immer mehr zeitgenössische Komponisten finden den Weg zu einer Tonalität und sagen, dass Darmstadt mit seiner mathematisch-wissenschaftlichen Herangehensweise zwar wichtig aber dennoch eine Sackgasse war.
Ein Komponist sollte das komponieren, was er fühlt und was er für richtig hält. Und dennoch darf er das Publikum nicht vergessen. Ich habe den starken Eindruck, dass wir uns musikalisch in einer Phase des Übergangs befinden. Wohin uns diese Entwicklung führen wird, weiß ich nicht, aber es scheint als gäbe es diesen starken Drang, wieder tonaler und melodischer zu komponieren. Das Abstrakte aber ist trotzdem eine sehr wichtige und berechtigte Alternative, wenn auch hier die Vermittlung innerer Welten und Visionen schwieriger ist.
Sie haben Deconstructing Love als Auftragswerk komponiert. Ist es gerade bei einem Auftragswerk für einen Komponisten nicht schwer, auf den Punkt die Emotionen und Visionen abzurufen?
Ich hatte bisher das große Glück, bei Auftragswerken immer frei im Stil komponieren zu dürfen. Nur die instrumentale Besetzung und die Tatsache für wen ich das Werk komponiere oder wo es aufgeführt werden soll geben mir den Rahmen an. Ein Auftragswerk zu schreiben ist immer ein gesunder Kompromiss von dem, was ich will und was das Publikum mag. Wir dürfen auf keinen Fall das Publikum vergessen, müssen uns aber auch selber treu bleiben.
Wo nehmen Sie denn Ihre Inspirationen her?
Ich komponiere eine Musik, die sehr stark an meine Emotionen gebunden ist. Auch alles, was mit Natur zusammenhängt, inspiriert mich. Ich muss beim Komponieren im Kontakt mit mir selber stehen. Außermusikalische Einflüsse wie soziale oder politische Elemente interessieren mich weniger. Mein Klavierkonzert ist ein sehr introspektives Stück und ich musste lernen, meine Emotionen zu organisieren, sie in einen klaren Kontext zu bringen. Und da kam mir eben die klassische Form sehr gelegen.
Wie ist es denn um die zeitgenössische Musik hier in Luxemburg bestellt?
Zeitgenössische Musik sollte man in einen globalen Kontext setzen. Zeitgenössische Musik war nie einfach und wir Komponisten, die jetzt nicht gerade zu den ganz bekannten gehören, müssen uns schon mit finanziellen Problemen herumplagen. Aber in Luxemburg wird die Situation immer besser. Das Kulturministerium vergibt viele Auftragswerke und es gibt immer mehr lokale Musiker und Ensembles, die unsere Werke spielen. Auch sind die jungen Musiker, die heute im Konservatorium ausgebildet werden, der zeitgenössischen Musik viel aufgeschlossener als das noch vor Jahren der Fall war. Wir bräuchten nur etwas mehr Unterstützung vom Publikum, von privaten Geldgebern und Mäzenen.
Sie selbst komponieren genreübergreifend und für diverse Formationen. Wo fühlen Sie sich denn am ehesten Zuhause?
Ich liebe die Vielseitigkeit. Zwischen Stilen und Genres zu wechseln macht mir unheimlichen Spaß. Aber egal ob ich jetzt ein Klavierwerk, Filmmusik, Kammermusik oder ein symphonisches Werk komponiere, es ist immer eine besondere Herausforderung. Luxemburg hat eine große Tradition in der Blasmusik, weshalb ich mich auch bei den Blasinstrumenten sehr wohl fühle. Aber auch zu dem Klavier und zum Streichorchester habe ich eine sehr natürliche Bindung, was mich aber nicht hindert, auch für Instrumente zu schreiben, die mir nicht so geläufig sind, wie Orgel, Gitarre oder Harfe. Dann ist es für mich als Komponisten schon wichtig, mich regelmäßig mit dem Instrumentalisten auszutauschen. Musikmachen hat auch immer etwas Kompromissbereitschaft zu tun.
Sie sind aber nicht nur als Komponist tätig, sondern ebenfalls als Dirigent und Pädagoge.
Ja, und das ist als Künstler sehr wichtig für mich, weil alle drei Bereiche eng miteinander verbunden sind. Wenn ich unterrichte, werde ich von meinen Schülern mit Fragen konfrontiert, die ich mir vielleicht selbst gar nicht gestellt hätte. Aber gerade durch diese Fragen eröffnen sich mir neue Perspektiven und ich finde oft Antworten, die ich ohne die Fragen meiner Schüler nicht gefunden hätte. Als Dirigent bin ich mitten im Geschehen und Teile das musikalische Erleben direkt mit den Musikern und dem Publikum. Durch das Dirigieren erlerne ich eine Technik, die mir wiederum beim Komponieren hilft. Ich sehe sofort, ob das, was ich komponiert habe, auch so umgesetzt werden kann.
2020/21 wurden Sie von den ICMA mit dem Composer Award ausgezeichnet. Ist ein solcher Preis hilfreich und fördert er die Karriere?
Auf jeden Fall, denn man wird als Preisträger anders wahrgenommen, obwohl ich den Preis erhielt, als wir mitten in der Corona-Krise waren und die Wahrnehmung damals somit ein wenig in den Hintergrund gerückt war. Er bringt vielleicht etwas mehr Respekt. Vor allem aber ist ein solcher Preis wichtig für mich persönlich. Ich bin ein Perfektionist und Zweifler und gerade solch eine Auszeichnung bestätigt, dass ich auf dem richtigen Weg bin und dass das, was ich mache, doch nicht so schlecht ist.