Mit dem Russischen National Orchester (RNO) pflegt der Geiger Ivan Pochekin eine langjährige künstlerische Beziehung. Diesmal stand der Gründungsdirigent Mikhail Pletnev bereit, um zusammen mit Pochekin als Solist zwei Schlüsselwerke der russischen Romantik aufzunehmen: Eine neue Aufnahme bei Hänssler Classics präsentiert die beiden, jeweils einzigen Violinkonzerten von Piotr Tchaikovsky und Alexander Glazunov. Darüber unterhielt sich Stefan Pieper mit dem Geiger.

Ivan Pochekin

Herr Pochekin, haben Sie diese beiden Werke zum ersten Mal eingespielt?
Ja, ich habe sie zum ersten Mal aufgenommen, aber natürlich habe ich sie schon viele Male mit verschiedenen Orchestern aufgeführt. Die Aufnahme fand in der Tchaikovsky-Konzerthalle der Moskauer Philharmonischen Gesellschaft statt.

Dieses Album lebt von der Gegenüberstellung. Welchen Kontrast sehen Sie zwischen den Werken von Tchaikovsky und Glazunov?
Der Kontrast ist ziemlich auffällig: Glazunovs Musik ist konfliktfrei und sehr künstlerisch, während Tchaikovskys Musik lyrischer und romantischer ist, weil er ein Dichter der russischen Seele ist.

Erzählen Sie mir etwas mehr über die Einflüsse, die hier zusammen kommen!
Sowohl Tchaikovsky als auch Glazunov studierten am St. Petersburger Konservatorium, aber Tchaikovsky passte nicht in den kreativen Rahmen und teilte auch nicht die Ansichten des ‘Mächtigen Häufleins’, bestehend aus Balakirev, Mussorgsky, Borodin, Rimsky-Korsakov und César Cui und er stand abseits von ihnen. Glazunov hingegen ist ein Anhänger seines Lehrers Rimsky-Korsakov. Sowohl das Moskauer als auch das St. Petersburger Konservatorium wurden von den Brüdern Rubinstein gegründet, und natürlich war es zunächst eine einzige Schule. Um die Jahrhundertwende begannen sie aber, ihre eigenen Charakteristika zu entwickeln.

Viele Stilelemente vor allem bei Tschaikowsky deuten ja darauf hin – würden Sie sagen, dass Russland vor der Revolution stärker in einer zentraleuropäischen Kultur verwurzelt war?
Ausgehend von Glinka wurde die russische Musikkultur stark von der westeuropäischen Kultur beeinflusst. Der andere Teil war die russische Folklore, das Epos.

Nach der Uraufführung hat Tchaikovskys Violinkonzert den Kritikerpapst Eduard Hanslick zu einer polemischen Reaktion provoziert….
Hanslick war berüchtigt für seine unverschämten Kommentare über Tchaikovskys Konzert. Heute wirkt so etwas eher absurd und komisch, um es vorsichtig auszudrücken. Während der gesamten Existenz dieser Musik haben sich viele Aufführungstraditionen herausgebildet, die man nicht ignorieren kann.

Wie entwickeln Sie Ihr Repertoire? Wenn ich an Ihre Shostakovich-Aufnahme aus dem Jahr 2020 denke, haben Sie sich ja jetzt gewissermaßen rückwärts ins 19. Jahrhundert bewegt.
Mein Repertoire umfasst viele Stücke. Es gibt über 30 Konzerte allein mit Orchester. Die russische Musik hat zusammen mit der virtuosen Geigenmusik einen besonderen Platz darin.

Was bedeutet es Ihnen, mit diesem berühmten Orchester arbeiten zu können?
Ich arbeite seit über zehn Jahren mit dem RNO zusammen und es war immer eine großartige Erfahrung. Diese Musiker agieren sehr sensibel. Zusammen mit meinen Freunden Valentin Uryupin und Alexander Buzlov haben wir auch eine Weltpremiere von Vyacheslav Artemovs Symphonie  In Spe für das Label Divine Art aufgenommen. Es war eine interessante Erfahrung, solch ein modernes Stück von extremer Komplexität aufzuführen.

Der Dirigent der Aufnahme ist ja der Gründer dieses Orchesters. Können Sie ihn als Musiker und als Mensch charakterisieren?
Ich betrachte Mikhael Pletnev als echten Nachfolger der großen russischen Komponisten. Er ist ein einfühlsamer Dirigent/Co-Autor, der sehr genau auf das Konzept des Autors eingeht. Schon lange wollte ich diese Stücke mit ihm aufnehmen, weil ich seine Interpretation russischer Musik für beispielhaft halte.

Ivan Pochekin, Mikhail Pletnev
(c) Evgeny Evtyukhov

Das Russische National Orchester (RNO) entstand als rein privates, nur von Sponsoren finanziertes Kollektiv. Was ergibt sich künstlerisch aus so einer unabhängigen Struktur?
Das RNO wurde 1990 zwar als privates Orchester gegründet, aber in den letzten 10 Jahren ist es ein staatliches Orchester geworden. Dennoch ist es ihm gelungen, den Geist der künstlerischen Freiheit, der diesem Umstand zu verdanken ist, zu bewahren.

Wie sieht Ihr künstlerischer Alltag aus? Wie haben Sie die letzten fast zwei Jahre erlebt und was hat sich für Sie verändert?
Wie viele andere Musiker habe auch ich viele Konzerte abgesagt oder verschoben. Es verursacht immer ein gewisses inneres Unbehagen, wenn ein Konzert in letzter Minute abgesagt wird, aber man gewöhnt sich an alles. Aber das ist natürlich überhaupt nicht gut für die Kunst.

Anders gefragt: Wofür haben Sie sich während der Covid-Zeit mehr Zeit nehmen können?
Ich habe zwei CDs aufgenommen, mich sehr entspannt, viele neue Bücher gelesen und viele Autofahrten in entfernte Gebiete Russlands unternommen, denn Autoreisen sind mein Lieblingshobby.

Wie haben Sie die letzten Konzerte in Deutschland erlebt und was sind Ihre nächsten Projekte?
Meine Pläne umfassen viele Projekte in Russland und Europa. Aufgrund von Covid ist es in Russland populär geworden, Kammermusik in großen Sälen aufzuführen und ich muss sagen, ich mag diesen Trend sehr. Es ist eine Möglichkeit, mit meinen Freunden und Kollegen in Kontakt zu bleiben.

Beseelt gespielte Violinkonzerte

 

 

 

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