« Zu einer Zeit, als sein jüngerer Schulkamerad Mahler seine erste Symphonie noch nicht geschrieben hatte und sein Mentor Bruckner sich durch seine mittlere Schaffensperiode quälte, konnte Rott unglaublich bahnbrechende musikalische Ideen entwickeln und erkennen, wie sich eine Symphonie auf eine Weise ausdehnen konnte, wie kaum jemand vor ihm. » Das schreibt Dirigent Jakub Hrusa im Bocklet dieser CD. Und seine Liebe zu Rotts Werk ist in der Aufnahme nicht zu überhören.
Hans Rott (1858-1884) erlitt ein äußerst tragisches Schicksal. Er begann seine Symphonie in E-Dur als er gerade zwanzig Jahre alt war. 1880 hatte er sie vollendet und unterbreitete sie Hans Richter und Johannes Brahms, die beide das Werk ablehnten. Kurz darauf verlor Rott den Verstand, fühlte sich von Brahms verfolgt, wurde in ein psychiatrisches Krankenhaus eingeliefert, unternahm einen Selbstmordversuch und kam danach in die Niederösterreichische Landes-Irrenanstalt, wo er am 25. Juni 1884 im Alter von 25 Jahren an Tuberkulose starb.
Die Symphonie, die der Musikwissenschaftler Paul Banks gegen Ende der Achtzigerjahre des vergangenen Jahrhunderts in der Österreichischen Nationalbibliothek wieder entdeckt hatte, wurde seither schon mehrmals aufgenommen.
Segerstam (BIS) dirigierte sie mit breitem Tempo und blieb so etwas schwerfällig. Paavo Järvis Einspielung aus Frankfurt (RCA) hat die kürzeste Spieldauer und es ist eine geschmeidige, orchestral ausgefeilte sowie inspirierte Interpretation. Jakub Hrusa ist, wie Sebastian Weigle, etwas langsamer, aber er ist, wenn ich mit die anderen Aufnahmen anhöre, der, der am besten mit der gesamten Struktur und der orchestralen Textur umgeht. Sein untrüglicher Sinn für die Steigerungen, die nie schwerfällig oder pathetisch-bombastisch werden, ist beeindruckend.
Wo Dennis Russell Davies (RSO Wien, cpo) vor allem auf laut und kraftvoll macht, ist Hrusas Umgang mit der Musik weitaus nuancierter sowie dynamisch feingliedriger und wird der Beweglichkeit der Themen so gut gerecht, dass der Ablauf – endlich einmal, muss ich sagen – logisch und komplett natürlich klingt.
Nach dem fein angelegten ersten Satz ist das Adagio großartig gelungen und frei von jedem Pathos. Das Scherzo dirigiert Hrusa zunächst als großes Volksfest, tänzerisch und wirbelig, ehe er den Komponisten wie ungläubig und fast ängstlich auf diesen Ausbruch von Volkstümlichkeit zurückblicken lässt. Sehr spannungsvoll wird der Übergang zu einem erneuten Ausdruck der Volksfeststimmung, die aber diesmal verzerrt wird und groteske Züge annimmt, wie sie später Mahler in seiner Musik einbringen wird. Und dann kippt das Ganze, scheint den chaotischen Schluss von Ravels La Valse vorwegzunehmen.
Nicht weniger bedeutsam wird der 23 Minuten lange Finalsatz mit einer durchdacht inszenierten Einleitung und einer bewegungsreichen, immer wieder aufrauschenden Entwicklung, der Hrusa ihren jubilierenden Charakter nicht vorenthält. Die Bamberger Symphoniker spielen brillant, transparent und mit den nötigen Farben, und Hrusa fügt den sicherlich für eine gute Gestaltung nicht unproblematischen Satz zu einem kohärenten Ganzen.
Es folgt dann eine sehr gute Einspielung des originalen zweiten Satzes aus der Ersten Symphonie von Gustav Mahler, dem sogenannten Blumine-Satz. Er wird sehr stimmungsvoll und mit einer guten Portion Misterioso gespielt.
Das Symphonische Präludium, das Bruckner zugeschrieben wird, könnte eigentlich auch von Rott stammen. Hrusa benutzt die originale Orchestration, so wie sie Bruckners Schüler Krzyzanowski niedergeschrieben hatte. Jakub Hrusa hat uns dazu gesagt: « Es ist eine Orchestrierung, von der niemand mit 100%iger Sicherheit weiß, ob sie von Bruckner stammt. Sie kann sehr wohl von Bruckner sein, könnte aber auch von Krzyzanowski stammen. Das Stück selbst ist auf jeden Fall von Bruckner, die Kleidung vielleicht auch von ihm – wenn er denjenigen, der sie gemacht hat, angewiesen hat. »
Wichtig ist das insofern, als Hrusa also nicht die Bearbeitung von Gürsching benutzt, die Vladimir Jurowski aufgenommen hat und die übrigens bis heute vom Sikorski-Verlag mit Gustav Mahler als Komponist verkauft wird.
Hrusa dirigiert die Musik kraftvoll und die Bamberger bieten dazu einen schlanken und sehr engagierten Klang, der das Experimentelle dieses symphonischen Satzes unterstreicht.
« At a time when his younger schoolmate Mahler hadn’t yet written his first symphonic score, and his mentor Bruckner was struggling through his middle period, Rott was able to produce incredibly groundbreaking musical ideas, and to see how a symphony could expand in a manner unlike almost anyone before him. » So writes conductor Jakub Hrusa in this CD’s bocklet. And his love for Rott’s work cannot be overheard in the recording.
Hans Rott (1858-1884) suffered an extremely tragic fate. He began his Symphony in E major when he was just twenty years old. By 1880 he had completed it and submitted it to Hans Richter and Johannes Brahms, both of whom rejected the work. Shortly thereafter, Rott lost his mind, felt persecuted by Brahms, was admitted to a psychiatric hospital, attempted suicide, and was subsequently sent to the Lower Austrian Provincial Insane Asylum, where he died of tuberculosis on June 25, 1884, at the age of 25.
The symphony, rediscovered by musicologist Paul Banks in the Austrian National Library in the late 1980s, has been recorded several times since.
Segerstam (BIS) conducted it at a broad tempo, leaving it somewhat ponderous. Paavo Järvi’s recording from Frankfurt (RCA) has the shortest playing time and it is a supple, orchestrally polished as well as inspired interpretation. Jakub Hrusa, like Sebastian Weigle, is a bit slower, but he is, when I listen to the other recordings, the one who handles the overall structure and orchestral texture best. His unerring sense of the climaxes, which never become ponderous or pathetically bombastic, is impressive.
Where Dennis Russell Davies (RSO Vienna, cpo) goes for loud and powerful above all else, Hrusa’s handling of the music is far more nuanced as well as dynamically delicate, doing such good justice to the agility of the themes that the flow – for once, I must say – sounds logical and completely natural.
After the finely laid out first movement, the Adagio is magnificently accomplished and free of any pathos. Hrusa first conducts the Scherzo as a great folk festival, dance-like and whirling, before allowing the composer to look back on this outburst of folksiness as if in disbelief and almost fear. The transition to a renewed expression of the folk festival mood becomes very tense, but this time it is distorted and takes on grotesque features, such as Mahler will later introduce into his music. And then the whole thing tips over, seeming to anticipate the chaotic conclusion of Ravel’s La Valse.
No less significant is the 23-minute final movement, with its thoughtfully orchestrated introduction, and its agitated, ever-rushing development, which Hrusa does not deny its jubilant character. The Bamberg Symphony plays brilliantly, transparently, and with the necessary colors, and Hrusa shapes the movement, which is certainly not without problems for the performers, into a coherent whole.
There then follows a very good recording of the original second movement from Gustav Mahler’s First Symphony, the so-called Blumine movement. It is played very atmospherically and with a good dose of misterioso.
The Symphonic Prelude, attributed to Bruckner, could actually have been written by Rott. Hrusa uses the original orchestration as written down by Bruckner’s pupil Krzyzanowski. Jakub Hrusa told us: « It is an orchestration which no one knows with 100% certainty if it’s Bruckner’s. It can very well be Bruckner’s, it could also be Krzyzanowski’s. The piece itself is definitely Bruckner’s; the clothes perhaps secondarily his too – if he instructed the one who did it. » This is important because Hrusa thus does not use Gürsching’s arrangement, which Vladimir Jurowski recorded and which is still sold by the Sikorski publishing house with Gustav Mahler being identified as the composer.
Hrusa conducts the music powerfully, and the Bambergers offer a lean and very committed sound to go with it, underscoring the experimental nature of this symphonic movement.