Von der ersten Minute an bewegt diese live in Berlin aufgezeichnete ‘Missa Solemnis’ den Hörer sehr. Das ‘Kyrie’ ist verhangen, matt, weich und zurückhaltend. Das ‘Gloria’ hingegen ist, und das macht Sinn, viel brillanter im Klang, zupackender, angenehm kontrastreich, aber nie wirklich laut oder grell, noch übermäßig schnell. Fließend wäre wohl das richtige Wort, um die Musik zu beschreiben.
Das ‘Credo’ baut auf große Kontraste auf: der Beginn ist virtuos, das ‘Incarnatus’ sehr verhalten und zärtlich, das ‘Homo factus’ dezidiert, das ‘Cruzifixus’ schneidend scharf: das ist eine erstaunlich präzise ‘Credo’-Dramaturgie, die hier vor unseren Ohren abläuft… Das Ohr erfreut sich zudem an einem großen Detailreichtum, im Orchestralen wie im Vokalen. Nach dem ‘Et resurrexit’ strebt die ‘Credo’-Fuge mit abwechselnd sportivem Elan und ungewöhnlichem, dynamischem wie agogischem Zurückhalten dem Ende zu. Sehr interventionistisch, sehr spontan, sehr spannend!
Ein sehr schön ausgeformtes ‘Sanctus’ und ein verinnerlichtes ‘Benedictus’ veranschaulichen Janowskis dirigistische Sensibilität und führen zum ‘Agnus Dei’, das zu einer sehr ernsthaften Angelegenheit wird, bis zu dem dramatischen Ausbruch mit regelrecht kriegerischen, ja fast brutalen Akzenten, ehe Janowski dann das Werk in einem Wechsel von pastoralem und dezidierterem Agieren dem Schluss entgegenfließen lässt, nicht ohne noch einmal im Amen mit höchst ungewöhnlichen Tempo- und Lautstärkeveränderungen dicke Fragezeichen zu setzen. Ein direkt agnostischer Schluss!
Am Ende denkt man zurück an andere Aufnahmen, an die weihevoll-würdigen, spirituellen Interpretationen von Karajans, an die theatralische Darbietung unter Barenboim, an die Güte von Eugen Jochum, an die feierliche Großartigkeit von Herreweghe, an die irritierende Nervosität von Solti, und vor allem an die ähnlich kontrastreiche Aufnahme von Harnoncourt (1992), in der die Tempi ebenfalls zwischen Klempererscher Breite und Toscaninischer Fulminanz schwanken.
Und genau wie bei Harnoncourt ist auch diese ‘Missa Solemnis’ unter Janowski eine permanente Herausforderung.
Vom transparenten Orchester war schon die Rede, die Qualität und Flexibilität des MDR Rundfunkchores muss unbedingt erwähnt werden, und das Solistenquartett überzeugt auch durchwegs mit gutem, engagiertem Gesang.
Fazit: Die lange Liste an spannenden Aufnahmen von Beethovens Meisterwerk ist um eine wichtige Einheit gewachsen.