Ein aufwändig gemachtes Album mit vier CDs und den ganzen Konzerten, aus denen die Aufnahmen stammen, ebenfalls auf Video-Blu-ray, einem mit vielen Fotos illustrierten Buch, sämtlichen gesungenen Texten und ausführlichen Werkeinführungen: die Berliner Philharmoniker haben keinen Euro gescheut, um ihrem ‘Composer in Residence 2016/17’ verlegerisch Ehre zu erweisen.
Die erste CD enthält das über 40 Minuten dauernde Stück ‘Harmonielehre’ von 1985, unter der Leitung des Komponisten. Der erste Satz hat keinen Titel. Man könnte ihn ‘Kräfte’ nennen, denn treibende minimalistische Motive treiben das Stück voran bis zum Klimax, wo sich die Musik brodelnd entlädt, um dann weiter zu treiben. Der zweite, langsame Satz heißt ‘The Amfortas Wound’ und staut Energie in ruhigen Klangflächen, aus denen sich zwei Höhepunkte entladen. ‘Meister Eckhardt and Quackie’ lautet der Titel des 3. Satzes und er kommt, wie Adams sagt, aus einem Traum, in dem seine kleine Tochter Quackie eine Rolle spielt. Was da genau zwischen dem Mädchen und dem deutschen Mystiker geschehen sein soll, ist aus der hitzig pulsierenden Musik nicht abzuleiten.
Wie eine Reduktion dieser ‘Harmonielehre’ auf 10% Länge hört sich danach ‘Short Ride in a Fast Machine’ an, unter der Leitung von Alan Gilbert.
Gustavo Dudamel dirigiert das von ihm 2009 in Los Angeles uraufgeführte ‘City Noir’. Das nicht bloß hektische, sondern durchaus auch sensuelle musikalische Porträt einer Großstadt lebt von vielen solistischen Interventionen und wird von den Berliner Philharmonikern effektvoll, aber auch etwas mechanisch umgesetzt.
Die zweite CD startet mit ‘Lollapalooza’, einem humoristischen musikalischen Geburtstagsgruß von John Adams zum Vierzigsten von Simon Rattle.
Es folgt das viersätzige ‘Scheherazade.2’ mit schnellen Ecksätzen, einem wohl langsamen aber auch erregten zweiten Satz sowie einem Scherzo. Ich habe dieses Stück, eine dramatische Symphonie für Violine und Orchester, das die Widmungsträgerin Leila Josefowicz allenthalben spielt, schon mehrmals gehört. Hier wird es vom Komponisten dirigiert. Das ändert nichts am Eindruck, den es immer bei mir hinterlässt. Es ist eine über weite Strecken uncharakteristische Musik, die vor sich hinplappert und weit entfernt ist von der zwingenden Gestaltungskraft, die den Komponisten in anderen Kompositionen zu wirklich interessanter Musik führte.
The elegisch-reflektive Stück ‘The Wound-Dresser’ für Kammerorchester und Bariton benutzt das gleichnamige Gedicht des amerikanischen Dichters Walt Whitman von 1865 über seine Erfahrungen als Freiwilliger in einem Spital während des amerikanischen Bürgerkriegs. Georg Nigl gelingt eine ergreifende Darstellung, während die Berliner Philharmoniker unter ihrem zukünftigen Chefdirigenten Kirill Petrenko das orchestrale Umfeld eher diskret bereitstellen.
Nachdem Deutsche Grammophon die Welt-Ersteinspielung des Oratoriums ‘The Gospel According to the Other Mary’ von John Adams mit dem ‘Los Angeles Philharmonic Orchestra’ unter der Leitung von Gustavo Dudamel veröffentlicht hat, erscheint nun unter Simon Rattles Leitung die zweite Einspielung. Diese Passion, die die Leidensgeschichte Jesu aus der Sicht von Maria, Martha und Lazarus erzählt, ist musikalisch spürbar von Johann Sebastian Bach inspiriert. Peter Sellars hat die vier Evangelien, Psalmen und Texte der Neuzeit zu einem Libretto verwoben, John Adams hat dazu eine ungemein fantasievolle, kantable Musik geschrieben, die Rattle, finde ich, etwas lyrischer dirigiert als Dudamel.