Joseph Moog, auf dem Cover-Bild Ihrer Debussy-Ravel-CD ist der Hintergrund eher verschwommen, ‘sfumato’ sozusagen. In Ihren Interpretationen finden sich solche Werte nicht, die sind von erstaunlicher Klarheit und Spontaneität…
Es sind sicherlich zwei Dinge, die dazu beigetragen haben, und das ist zum einen die Tatsache, dass impressionistische Musik die Interpreten durch ihren Wohlklang und ihre Anziehungskraft von den akribisch genau notierten Partituren ablenken kann, sozusagen hypnotisch vernebelt wie die legendäre Loreley die Schiffskapitäne. Zum anderen stechen für mein Empfinden gerade Debussy‘s ‘Douze Etudes’ samt ‘Etude retrouvée‘ aus dem musikalischen Kernimpressionismus bereits hervor und weisen mit ihrer Harmonik, den asymmetrischen Rhythmen und ungewöhnlichen Melodien eindeutig in die Moderne.
Aus diesen Gründen war es mir besonders wichtig, den Partituren so detailliert und kompromisslos wie möglich zu folgen, während ich mich aber gleichzeitig von den außergewöhnlichen Klängen dieser Musik treiben ließ.
Auch bei Ravel‘s ‘Gaspard de la nuit‘ verblüfft mich bis heute die unglaubliche Perfektion, mit der diese schillernde Musik notiert ist. Meine Motivation ist daher nicht, besonders textgetreu als Selbstzweck zu sein, oder etwa meinem Interpretationsansatz eine ‘übergeordnete Wertigkeit‘ zu verleihen, es geht mir darum die Werke so umzusetzen, wie sie von der Notation aus gedacht sind, denn schon früh war mir klar, dass gerade in diesen beiden Fällen die Schöpfer selbst die besten Leitfiguren sind.
Die Dringlichkeit, mit der Sie hier spielen, hat mich überrascht, ich habe Sie immer als einen bedächtiger vorgehenden, aus der inneren Ruhe heraus Kraft aufbauenden Pianisten angesehen… Hier spüre ich eine große innere Erregung…
Diese Aufnahme ist ein Projekt das mir schon lange am Herzen lag und dessen Umsetzung ich kaum erwarten konnte. ‘Gaspard de la nuit‘ habe ich mit 16 Jahren zum ersten Mal gespielt und hatte seither immer den Wunsch, den Zyklus eines Tages aufzunehmen.
Die Etüden von Debussy habe ich deutlich später entdeckt und bin nach wie vor von der Progressivität dieser Musik beeindruckt. Vieles wurde später wieder aufgegriffen von Dutilleux, von Stravinsky, ja sogar von Messiaen. Die Musik ist von einer fast abstrakten Schönheit und wirkt gerade als Ganzes mit den vielen abwechslungsreichen Etüden wie ein Gang durch einen exotischen botanischen Garten, bei dem der Betrachter mal fasziniert, mal hingerissen aber immer wieder auch schockiert von den befremdlichen Exponaten ist.
So deutlich der Kontrast zwischen Ravel und Debussy auf dieser CD ist, gemeinsam haben beide Werke diese ungemein vielschichtige, lebendige und magnetisch-anziehende Tonsprache und es sind genau diese Haupt- und Nebengeschichten, die ich so lebendig wie möglich, fast wie im Sog erzählen wollte.
Was fasziniert Sie an Debussy?
Debussy ist für mich ein geborener Orchestrator. Nicht nur harmonisch gesehen ist er ein Genie, sondern auch in seiner Fähigkeit das Klavier wie ein Orchester zu verwenden. Seine Neuerungen auf dem Sektor der pianistischen Spieltechnik mögen nicht so revolutionär wie die von Franz Liszt sein, aber gerade in Bezug auf die Pedalisierung dringt er in neue Sphären vor.
Bei der Interpretation von Debussy habe ich daher immer seine Orchesterwerke im inneren Ohr und versuche die Balance der einzelnen Stimmen wie ein Dirigent auszuloten. Ganz entscheidend ist es die richtige ‘Farbe’ zu finden, was die Abhängigkeit von einem guten Instrument enorm erhöht. Durch die Komplexität der Klavierpartituren muss man gerade bei Debussy darauf achten, dass die entscheidenden Stimmen von den oft betörend schönen Begleitfiguren nicht verdeckt werden.
Wie französisch oder andersrum wie international ist denn Debussy für Sie?
Natürlich ist Debussy schon sehr französisch, besonders in seinen manchmal ironischen Anmerkungen. Ich denke da vor allem an den Titel des dritten Image oubliée ‘Quelques aspects de nous n’irons plus au bois parce qu’il fait un temps insupportable’. Übersetzt etwa so viel wie: ‘Einige Aspekte darüber, warum wir nicht mehr in den Wald gehen weil das Wetter schlecht ist‘.
Die Geschichte dahinter zielt satirisch auf seinen Freund Erik Satie und seine ewigen Spaziergänge zwecks Inspirationsfindung ab. Auch im Vorwort zu den ‘Douze Etudes’ lässt sich Debussy übrigens darüber aus, warum er keine Fingersätze mitgeliefert habe, wo doch die heutigen Virtuosen in ihrer ‘Unfehlbarkeit‘ sicherlich ihre eigenen finden würden.
Abgesehen davon ist Debussy aber ausgesprochen international. Schon allein aufgrund der Verwendung fernöstlicher Skalen und dem unstillbaren Drang zur Entdeckung neuer, fremder Klangwelten. Die regelmäßig wiederkehrenden Elemente der spanischen oder maurischen Musik (Gitarrenimitate, Dur-Moll-Wechsel) waren wohl ein Phänomen dieser Zeit, denn auch bei Ravel und sogar früher bei Fauré sind sie zu finden.
Welche Überlegungen führten zu der Programmgestaltung der neuen CD?
Der berühmte Dirigent und Komponist Hans Zender – den ich übrigens sehr verehre – hat nie einen Hehl aus seiner großen Bewunderung für Debussy und seiner großen Abneigung für Ravel gemacht. Für jemanden wie ihn wäre die Kombination dieser beiden auf einer CD absolut undenkbar gewesen. Tatsächlich gibt es hier ein ähnliches Problem wie bei Mahler und Bruckner, oder Bach und Händel. Es gibt gewisse Verwandtschaften und doch sind die Unterschiede so groß, dass man von zwei verschiedenen Universen sprechen könnte.
Demnach habe ich für meine Aufnahme zwei Zyklen gewählt, die sowohl formal als auch inhaltlich kontrastieren. Da haben wir auf der einen Seite einen Zyklus aus musikalisch absoluten Etüden, zum anderen drei der wohl programmatischsten Stücke die bisher geschrieben wurden. Interessanterweise funktionieren in dieser Kombination beide Blöcke so gut, dass die Gegenwart des jeweils anderen Meisters die Werke des Ersteren neu reflektiert und umgekehrt.
Sie präsentieren quasi jedes Jahr eine CD und haben bislang ein sehr breites Repertoire bedient. Was weitgehend fehlt, ist die Klassik, Mozart, Beethoven…
Das ist richtig und bis auf eine frühe CD aus dem Jahre 2004 mit Beethoven‘s ‘Waldsteinsonate‘ und seinem 2. Klavierkonzert beim mittlerweile nicht mehr existenten Label Animato gibt es von mir noch keinerlei Produktionen mit Werken der Klassik.
Dahinter steckt allerdings nicht – wie man vermuten könnte – eine besondere Absicht, denn sowohl zu meinen Soloprogrammen als auch zu meinem Klavierkonzertrepertoire zählen zahlreiche Werke von Haydn, Mozart und Beethoven.
Tatsächlich befinde ich mich gerade sogar in der Planung für neue Aufnahmen zum Beethoven-Jubiläum 2020/2021, kann aber dazu zum jetzigen Zeitpunkt noch nichts verraten.
Es sind jetzt gut sechs Jahre her, dass die von den ‘International Classical Music Awards zum Young Artist of the Year’ gewählt wurden. Ihrer Karriere hat sich mittlerweile prächtig entwickelt. Sie spielen in ganz Europa, in Japan, stehen vor Ihrem Debüt beim Chicago Symphony. Sind Sie zufrieden, wie es läuft?
Wenn ich zurückblicke bin ich sehr dankbar und erfreue mich an dieser wundervollen Entwicklung, denn es war immer mein Wunsch Entdeckungen und Werke die mir am Herzen liegen mit dem Publikum zu teilen und in neuem Licht zu präsentieren.
Da ich schon als Kind für mein Leben gerne Schallplatten und CDs hörte, empfinde ich es als großes Glück heute selber regelmäßig produzieren zu können und ich glaube nach wie vor daran, das gut durchdachte und faszinierende Programme die Menschen unabhängig von der vielbeklagten Lage am ‘Musikmarkt’ begeistern werden.
Die beiden Preise der ICMA, der ‘Gramophone Award’ und auch die Grammy-Nominierung der vergangenen Jahre haben mich auf meinem Weg bestärkt und mir den Mut gegeben, noch mehr meinen Instinkten zu folgen und extreme Ansätze bei der Gestaltung nicht abzurunden, sondern ungefiltert so zu spielen wie ich sie empfinde. Ich glaube auf diese Art ist meine Kommunikation durch die Musik klarer, freier und authentischer geworden und das halte ich für eine wichtige Voraussetzung sich immer weiter zu entwickeln.
Sie scheinen aber mehrheitlich mit Orchester aufzutreten. Ist das gewollt oder Karrierenzufall?
Das mag von Saison zu Saison unterschiedlich sein und es stimmt, dass ich heute mehr denn je mit Orchester auftrete. Das liegt sicherlich auch daran, dass ich aufgrund meines Profils mittlerweile für zahlreiche Klavierkonzerte des erweiterten Repertoires engagiert werde, so auch in dieser Saison beispielsweise mit Bernstein’s Symphonie Nr. 2, Ernst von Dohnanyi‘s 2. Klavierkonzert sowie Skrjabin‘s Prometheus.
Dennoch genieße ich den klassischen Klavierabend sehr und beschäftige mich ungebrochen gern mit der Konzeption des Programms, oder des ‚’Menüs für die Ohren‘, wie ich es nenne.
Da die Szene sehr lebendig ist, fällt die Verteilung der Auftritte je nach Genre in jeder Spielzeit unterschiedlich aus und die Anteile Klavierkonzert, Klavierrecital und Kammermusik stehen in jedem Jahr in einem anderen Verhältnis zueinander.
Gibt es etwas, das Ihnen fehlt in dem Leben, das Sie als Pianist führen?
Es wäre vermessen sich zu beklagen, denn es gibt so vieles was mir im Leben nicht fehlt. Ich denke fast jeder Mensch hat das Gefühl, ein kleines bisschen mehr Zeit gut gebrauchen zu können und wenn ich einen Wunsch frei hätte, würde ich ab und an von diesem Zeitbonus Gebrauch machen.
Ich glaube in unserer heutigen Ära sind wir alle immer und überall erreichbar, versuchen effizient zu sein, um Zeit einzusparen, wo immer es möglich ist und haben letztlich genau deshalb immer weniger Zeit.
Mir hilft es, nicht immer alles auf die Goldwaage zu legen und ich kann nur empfehlen, die eigene Person mit all ihren Befindlichkeiten ab und an nicht ganz so ernst zu nehmen. Mir zumindest gibt das immer wieder eine Perspektive mit mehr Übersicht und daraus entsteht Ruhe und das Gefühl, für einen kurzen Augenblick dann doch wirklich nur im Moment zu leben.
Zur Rezension der neuen CD geht es hier.