Der 24-jährige deutsche Pianist Joseph Moog gehört zu den interessantesten jungen Pianisten unserer Zeit, ein Musiker, der seine Karriere ohne Hast, dafür aber mit umso mehr Intelligenz steuert und jedem seiner Schritte den Stempel seiner starken Persönlichkeit aufdrückt. Er war ‘Young Artist of the Year’ der ‘International Classical Music Awards’ 2012.
Man wird nicht einfach Pianist, man entscheidet irgendwann, dass man Pianist werden will, wann fiel diese Entscheidung bei Ihnen?
Ich glaube, das hat sich tatsächlich so entwickelt, und es gab keinen bestimmten Tag, an dem ich diesen Entschluss gefasst habe. Die Beschäftigung mit der Musik und mit dem Klavier nahm einfach stetig zu und irgendwann war klar: es kann nur das sein! Ich denke, ich wusste das mit 14 oder 15. Ich wusste, dass ich es zumindest versuchen musste und vor allen Dingen auch wollte. Es hat sich dann recht gut entwickelt und darüber bin ich sehr froh!
Wie kamen Sie überhaupt zum Klavier?
Als ich 4 oder 5 Jahre alt war! Meine Eltern sind beide auch Musiker, Orchestermusiker, haben jedoch auch in verschiedenen Kammermusikensembles gespielt. Sie kauften einen Flügel, um bei uns proben zu können, und dieser Flügel, ein Blüthner von 1920, faszinierte mich. Ich habe viel darauf gespielt, frei improvisierend. Nach etwa einem Jahr entschieden meine Eltern, dass es vielleicht an der Zeit wäre, mir das Notenlesen beizubringen.
Wann spielten Sie Ihr erstes Konzert?
Das erste Konzert war mit acht, das war ein gemischtes Programm, ein Klavierabend mit ganz verrückten Sachen: Bernd Alois Zimmermann mit ‘Enchiridion’, es war Liszt dabei, ‘Harmonies du soir’, Prokofiev und Chopin… also schon sehr bunt und ungewöhnlich.
Sie haben dann natürlich weiter studiert…
Ich war zuerst Jungstudent in Karlsruhe. Dort habe ich die Grundlagen gelernt, aber auch, selber zu arbeiten mit dem Instrument. Von 2001 bis 2006 war ich bei Bernd Glemser in Würzburg. Das war eine lange Zeit, die aber sehr produktiv war. Ich habe sehr vieles gelernt und sehr viele Erfahrungen gesammelt. 2007 wechselte ich zu Arie Vardi nach Hannover. Zwischen uns hat sich ein sehr freundschaftliches und fruchtbares Verhältnis entwickelt. Ich fühle mich sehr wohl dort.
Sie gehen also noch zu ihm und finden es wichtig, jemanden zu haben, der Ihnen genau und kritisch zuhört?
Ja, wir sehen uns regelmäßig, und es ist absolut wichtig, so ein Verhältnis aufrecht zu halten. Es geht ja nicht darum, einzelne Fingersätze zu finden, das ist nicht der Inhalt des Unterrichts, es geht einfach darum, über die Komponisten und ihre Werke zu sprechen. Es ist mehr Austausch als Unterricht.
Ihrer Biographie nach haben Sie viele Förderpreise bekommen, aber eigentlich an keinem Wettbewerb teilgenommen. Sind Sie gegen Wettbewerbe?
Ich denke – und ich habe dies auch mit meinen Lehrern besprochen -, Wettbewerbe muss man hundertprozentig wollen, man muss überzeugt sein, gewinnen zu können, man muss diese Konkurrenzsituation mögen, und das war bei mir bisher nie der Fall. Deswegen habe ich nie an großen Wettbewerben teilgenommen. Auch das Repertoire, das meistens verlangt wird, hat mich nicht unbedingt interessiert.
Sie haben für einen jungen Künstler in den vergangenen Jahren schon eine ganz beachtliche, sich kontinuierlich, aber ruhig entwickelnde Karriere gemacht, die einem künstlerischen Lebenslauf nützlich sein kann. Ist diese Karriere, wie Sie sie jetzt machen, wirklich das, was Sie sich vorgestellt haben, gefällt das Ihnen, auch der damit verbundene Lebensstil?
Ich muss sagen, dass ich gerade diese kontinuierliche und etwas ruhigere Entwicklung sehr gut finde für mich, als Mensch und als Künstler. Ich hatte viele Chancen, die andere junge Künstler nicht haben. Ich konnte bei meinen CD-Aufnahmen selbst größtenteils entscheiden, welches Repertoire ich aufnehmen wollte, ich hatte immer Zeit, mitzuwachsen mit der Entwicklung, und das ist etwas, was mir jetzt, wo es immer mehr wird, sehr hilft und sehr viel Ruhe gibt , sehr viel Fundament – und ich bin glaube, ich auch ein sehr ruhiger Mensch als Privatperson. Ja, ich bin ich sehr zufrieden!
Ein Pianist ist jemand, der oft alleine ist, alleine auf der Bühne, alleine beim Proben. Ist das etwas, was Sie belastet, oder mögen Sie diese Einsamkeit?
Ich glaube, ich brauche sie sogar. Ich bin immer schon jemand gewesen, der sich gut mit sich alleine beschäftigen konnte, was aber nicht heißt, dass ich immer allein sein möchte. Es stimmt, manchmal ist es schon hart ,wenn man allein in der Welt unterwegs ist. Umso schöner ist es, mit Orchestern zu spielen, mit Dirigenten aufzutreten. So lernt man ja auch viele Menschen kennen. Kammermusik ist auch etwas sehr Schönes und ein toller Kontrast zum Alleinsein, zum Alleinekonzertieren, und deswegen freue ich mich immer, wenn ich z.B. mit Julian Steckel spielen kann oder mit der Geigerin Vilde Frang.
Haben Sie eine Vorliebe: Soloabende, Kammermusik oder vielleicht die Konzerte?
Das ist schwer zu sagen, alles hat Vor- und Nachteile. Es kommt sehr auf das Programm an.
Der Pianist ist abhängig von dem Instrument, das er auf der Bühne vorfindet, und das mag nicht immer das optimale sein.
Eine der großen Herausforderungen für uns Pianisten ist das Instrument, aber man lernt viele Instrumente kennen und man lernt auch dadurch, verschiedene Instrumente, verschiedene Fabrikate zu spielen und zu beherrschen. Mich interessiert das alles sehr, auch z.B. der Unterschied zwischen den europäischen und den amerikanischen Steinways. Ich glaube, wenn ich nur auf meinem eigenen Instrument spielen würde – und einige wenige tun das ja – dann würde mir diese Vielfalt und die Abwechslung auch wieder fehlen.
Rudolf Buchbinder hat kürzlich in einem Interview gesagt, seines Erachtens bringe das zu lange Üben nichts, von einem gewissen Punkt an sei es Zeitverlust und er ziehe es dann vor, andere Sachen machen.
Das ist natürlich sehr individuell. Ich denke, gerade, wenn man viele verschiedene Programme spielt, so wie ich das tue, erfordert das doch eine lange Beschäftigung mit der Materie. Das Repertoire für Pianisten ist enorm, wir sind reich beschenkt worden von den Komponisten. Und das will ich auch ausnutzen und dafür den nötigen Zeitaufwand erbringen. Normalerweise ist das reine Üben eine sehr anstrengende Aktivität. Man muss hoch konzentriert sein, sehr kritisch und nichts durchgehen lassen. Wenn ich einen Klavierabend vorbereite, muss ich nicht nur die Stücke einzeln gestalten, sondern einen Zusammenhang finden, sie als Programm sehen. Und das ist besonders anstrengend. Aber wenn man morgens übt, 5 oder 6 Stunden, und dann abends das ganze Programm quasi wie im Konzert, spielt, ist das für mich der wirkliche gute Weg, das Programm bis zum Konzert reifen zu lassen.
Um was geht es Ihnen denn, wenn Sie ein Werk vorbereiten, was ist das, worauf Sie am meisten Wert legen?
Ich will ein Werk so beherrschen, dass ich frei werde für das Konzert. Das ist das Entscheidende für mich. Ich finde Spontaneität sehr wichtig im Konzert. Ich will nicht eine Version entwickeln und diese immer wieder wie von einer CD abspielen. Manche wollen das, manche können das, aber für mich ist das nicht das Ideal.
Kommt das vom Improvisieren, das Sie schon als Knabe praktizierten?
Ganz sicher ja! Es ist natürlich immer die Frage, wie frei ich sein kann, wie viel ich interpretieren darf, bei Haydn zum Beispiel, bei Bach noch viel mehr oder bei Scarlatti. Was will und darf ich mit Mozart machen? Will ich Mozart pur oder kann ich davon ausgehen, dass er ein Lebemensch war und vielleicht deshalb so wenig aufgeschrieben hat, weil er alles spontan entschied? Sagen wir es mal so: Im Konzert will ich innerhalb erlaubter Grenzen ein Maximum an Freiheit und Spontaneität. Und dafür bieten sich viele Möglichkeiten an. Es wäre schade, immer das Gleiche zu versuche
Was beeinflusst Sie denn in einem Konzert?
Sehr stark die Stimmung, die Atmosphäre im Saal, das Instrument natürlich, die Akustik… Man muss sich anpassen.
Und äußere Umstände, eine Stadt, Ereignisse des Tages?
Das kann man nicht ausschließen. Ich versuche, am Tag des Konzerts keine Auseinandersetzungen zu haben, ich möchte seelisch Frieden haben, und insofern ist es schon wichtig, sich vor dem Konzert zu isolieren, damit man sich sammeln kann.
Wir haben vorhin von Buchbinder gesprochen, er macht etwas, was Sie auch machen, er malt. Sie zeichnen und malen auch sehr gerne, ist das ein Ausgleich oder hat das eine Verbindung mit der Musik?
Ich hab immer gerne gemalt, auch als Kind, weil es mir eine Riesenfreude gemacht hat, weil ich es faszinierend fand. Meine Großväter haben wirklich gemalt, auch mit Ölfarben, und einer ist Bildhauer. Vielleicht bin ich erblich belastet. Die Verbindung zur Musik war mir nie bewusst, bis ich Scriabin kennen gelernt habe. Da wurde mir plötzlich bewusst, dass man Farben und Bilder im Kopf sehen kann, wenn man Musik hört. Ich habe zwar nie zu Scriabin selber gemalt, aber ich habe bei seiner Musik immer gewisse optische Motive im Kopf. Diese Verbindung von verschiedenen Kunstformen und von verschiedenen Sinnen ist ja das, was Scriabin eigentlich erreichen wollte.
Scriabin ist einer Ihrer Lieblingskomponisten?
Absolut richtig! Er ist der Komponist, der mich am meisten berührt und fasziniert, der mir immer wieder Gänsehaut beschert. Seine Musik hat etwas Mystisches, etwas, das man nicht greifen kann, etwas, das einen rausholt aus dem Alltag.
Es gibt bei ihm ganz sicher eine Dimension, die sehr, sehr speziell ist, und deshalb ist er ja auch so schwer zu interpretieren, daher ja auch die vielen schlechten Scriabin-Interpreten…
Das Interessante bei ihm ist das komponierte Chaos, das überhaupt kein Chaos ist. Man muss sehr gut organisiert sein und darf beim Spielen von Scriabin nicht zu sehr mit den Emotionen handeln, denn sonst verliert man sich in dieser Klangwelt.
Was sind denn weitere Lieblingskomponisten? Liszt wahrscheinlich, denn Sie haben ja schon relativ viel von ihm aufgenommen.
Liszt, ja, vor allen Dingen, weil er so ein Visionär war, weil er so viel voran gebracht hat in der Musik und dem Instrument Klavier so viel Neues gebracht hat. Aber es gibt auch noch andere, wie z.B. Scarlatti, den ich sehr bewundere und gerne spiele, sowie viele einzelne Werke von Komponisten, die ich besonders schätze, aber sie aufzulisten würde jetzt zu weit führen.
Gibt es auch Musik, zu der Sie jetzt noch keinen Zugang haben?
Es gibt Werke, für die ich mich noch nicht reif fühle, und es gibt einen Komponisten, der es mir schwer macht, Zugang zu ihm zu finden: Shostakovich. Aber vielleicht hat das auch damit zu tun, dass er ein erklärter Gegner Scriabins war, etwas, was ich als Scriabin-‘Fan’ nicht verstehen kann.
Sie komponieren auch selber. In welche Richtung geht diese Musik?
Oh, das ist schwierig! Es gibt so viele verschiedene Ansätze! Aber in den letzten Jahren hat sich eine Verbindung zum Jazz heraus kristallisiert. Ich bin ein großer Bewunderer von Jazzkünstlern, von der Jazzmusik und ihren Improvisationsmöglichkeiten. Auch die Art, wie sich die Mitglieder von Jazzgruppen untereinander verständigen, finde ich faszinierend. Ich kann mich diesen Empfindungen in meinen Kompositionen nicht versperren. Generell ist Komponieren für mich schon immer ein Bedürfnis gewesen. Aber ich mache es wirklich mehr für mich, ich möchte kein großer Komponist sein und ich sehe es auch als Weiterentwicklung zur Improvisation. Je nachdem, wie ich Zeit habe oder Aufträge bekomme, findet auch die Komposition statt.
Wird man Sie wie viele andere Pianisten einmal am Dirigentenpult sehen?
Das kann ich jetzt nicht sagen, ich habe zur Zeit keinerlei Ambitionen in dieser Richtung, aber wer weiß? Man sagt viel, wenn man jung ist und später wird dann doch alles anders.
Sie sind ein junger Künstler, der auf einem Markt aktiv ist, wenn ich das mal so ausdrücken kann, der sehr stark bevölkert ist, mit vielen konkurrierenden Pianisten. Machen Sie sich Gedanken über Ihre Zukunft, über die Zukunft der Klassik?
Ja, ich mache mir viele Gedanken über die Zukunft der Klassik und über das Problem, dass junge Menschen kein Interesse haben für klassische Musik. Ich beteilige mich ‘Rhapsody in School’, das ist eine Organisation in Deutschland, die versucht ,durch Schulbesuche oder Probenbesuche von Schülern die klassische Musik zu verbreiten oder zu erklären. Das ist sicher einer der Wege, die eine positive Entwicklung in Gang setzen können. Man muss zeigen, dass die Musik lebt und nichts Artifizielles ist, was ins Museum gehört, wie alte Vasen oder Pharaonen. Wir müssen den Beweis erbringen, dass die Emotionen in der klassischen Musik die gleichen sind, die auch die Popmusik beschreibt, dass nur die Sprache etwas anders ist. Wenn wir das schaffen, dann haben wir vielleicht eine Chance.
Was bedeutet es für Sie ‘Young Artist of the Year’ der ICMA zu sein?
Ich bin sehr, sehr glücklich darüber. Ich hatte überhaupt nicht damit gerechnet, es ist eine tolle Auszeichnung, denn sie betrifft ja sicher auch meine Diskographie der vergangenen Jahre. Ich habe sehr viel riskiert mit meinen CDs, denn die Werke, die ich aufgenommen habe, sind nicht unbedingt die Megahits der Klassik. Ich bin sehr froh, dass es trotzdem möglich war, so positive Reaktionen zu erhalten, und ich bin sehr dankbar, dass mein Risiko in gewisser Weise belohnt wurde.