Juan Diego Florez ist ein Tenor, der mit einer unglaublich exquisiten Leichtigkeit, leichten und blitzenden Koloraturen singt. Neben dieser technischen Stärke zeichnet sich die Stimme durch ein recht spontanes Temperament, viel Ausdruckswärme und bestes Stilempfinden aus. Als Spezialist des Belcanto-Repertoires kann er die Vögel von den Bäumen locken, so wie es Pavarotti in den Sechziger- und Siebzigerjahren konnte. Anders als die so genannten « urlatore » – singt Florez nicht ständig zu laut und mit einem uneinheitlichen Ton: Florez’ Gesang ist weich, flüssig, edel in der Breite der Phrase und der Konzentration des Tons. Er singt die hohen Cs leicht und genau und behält auch dort einen goldenen Ton. Andererseits ist seine Mezza voce nicht weniger schön. Außerdem beeindrucken die Intensität des Ausdrucks und die Individualität des Timbres.
Florez wurde 1973 in Lima, Peru, geboren – sein Vater, Ruben, war ein peruanischer Sänger – und nach ersten Studien am ‘Conservatorio Nacional de Lima’ wurde Juan Diego 1993 am Curtis Institute in Philadelphia aufgenommen. Im August 1996 war er in Pesaro, um im Rahmen des jährlichen Rossini-Festivals die kleine Rolle des Ernesto in Ricciardo e Zoraide zu singen. Der Tenor Bruce Ford, der die Rolle des Corradino in Matilde di Shabran singen sollte, war erkrankt und Florez lernte innerhalb weniger Stunden. Er wurde sofort als eine große Neuentdeckung gefeiert.
Florez ist « mehr als ein tenore di grazia », sagt Paul Moseley, ehemaliger Direktor für Marketing und Künstlerentwicklung bei Decca. « Es gibt viele Rossini-Tenöre, die alle hohen Ds mit einem leichten, strangulierten und eher körperlosen Ton treffen können, aber bei Florez gibt es Körper, Eleganz und einen Stil, der ihn zum perfekten Belcanto-Tenor macht. »
Ich habe Florez in einigen Konerten gehört und immer wieder fragte ich mich: Wie macht er das? Wie kommt diese unerhörte Leichtigkeit in Verbindung mit dem geschmeidigen Strahlen in schwindelnder Höhe zustande, ohne angestrengt zu klingen?
Dabei hatte sich in der Kindheit überhaupt keine Opernkarriere abgezeichnet, wie er mir einmal erzählte: « Mein Vater war ein Pop-Sänger. Ich erlebte ihn zuhause immer mit der Gitarre. Klassische Musik wurde bei uns keine gehört. Klassische Musik entdeckte ich erst am Konservatorium. Die Musik kam gewissermaßen zu mir, nicht ich zu ihr. Ich hatte nicht im geringsten Musik studieren wollen, um Tenor, um Opernsänger zu werden. Mit 14 und 15 sang ich in Cafés. Ich erkundete meine Stimme und begann erst nach und nach Technik zu lernen. Mit 17 begann der richtige Unterricht. Meine Lehrer machten mich mit der Oper vertraut. »
Als Florez 21 war, nahm er Unterricht bei dem peruanischen Sänger Ernesto Palacio (neben Luigi Alva einer der bekanntesten peruanischen Opernsänger). Er war lange Zeit sein Mentor und sein Manager, « und Alfredo Kraus sowie Pavarotti sind meine Idole! ».
Die Stimme von Juan Diego Florez ist ein Juwel: sie blüht selten schön nicht nur in der Höhe, sondern auch bereits im Passagio, das bruchlos genommen wird. Aber das sind eher Merkmale, wie der Sänger sagt, und nicht das Resultat der Arbeit, auf die er viel Wert legt. « Die Arbeit liegt in der Atemtechnik. Ich musste einmal in Japan sehr früh singen. Ich konnte das nur mit Atemübungen angehen. Ich musste mit Atemübungen die Muskeln lösen. Singen ist Atmen und Muskelarbeit. Die ganzen Muskeln um das Zwerchfell herum, im Lungenbereich, im Hals, all das muss arbeiten. Schon der Erfolg der Kastraten war vor allem ein Erfolg ihrer Atemtechnik. Wie sollte ich diese ganzen unmöglich schwierigen Rossini-Arien mit ihren unmöglich langen Phrasen singen, wenn ich nicht die Atemtechnik habe, die mir dies erlaubt? »
Und die Seele, von der Carreras sagt, dass man sie zum Singen braucht? Flórez sagt es so: « Die Technik muss man lernen, die Sensibilität hat man oder man hat sie nicht. Zur Interpretation gehört beides. Die Technik ist das Werkzeug, das die Sensibilität zur Entfaltung bringt. »
Dennoch ist und bleibt die Stimme etwas sehr Empfindliches: « Es hängt alles davon ab, wie man mit ihr umgeht. Ich bin heikel bei meiner Rollenauswahl. Freilich liegt der Unterschied oft nicht in der Musik per se, sondern in der Weise, wie man sich ihr annähert. Wächst man mit dem Rossini‑Stil auf, so bedeutet das, dass man eine bestimmte Weise des Vortrags wie des Gesanges entwickelt. Ich halte es für sehr wichtig, sich mit einer Rolle physisch zu identifizieren. In diesem Sinn habe ich mich auch auf der Bühne nie mit irgendeiner der Figuren, die ich gesungen habe, unbehaglich gefühlt. Ich habe sie mit großem Vergnügen verkörpert.