Der aus Frankfurt stammende deutsche Sänger Julian Prégardien nimmt in einem ‘Offenen Brief’ an die Jury des Frankfurter Musikpreises Stellung zur Vergabe des Preises an den deutschen Geiger David Garrett. Es stimme ihn « nachdenklich, dass ein Musikpreis, dessen erster Preisträger Gidon Kremer war, heute an einen Geiger geht, dessen aktuelle ‘corporate identity’ den Inhalt um ein vielfaches überstrahlt », schreibt der Sänger in seinem Brief, den wir nachfolgend integral veröffentlichen.
Ein starkes Stück!
David Garrett erhält den Frankfurter Musikpreis. Ich gratuliere ihm dazu aus der Ferne.
Die Entscheidung der Stiftung « Frankfurter Musikpreis zur Internationalen Musikmesse Frankfurt » muss ich jedoch ernsthaft bedenken. In der Begründung heißt es:
Das Kuratorium des Frankfurter Musikpreises lobt David Garrett als Künstler, dem es gelingt, durch seine Crossover-Projekte zahllose Menschen an die klassische Musik heranzuführen und gleichzeitig die Neugier für klassische Musik mit seinen Kammermusikabenden und Orchesterkonzerten zu wecken.
Ich möchte bezweifeln dürfen, dass durch Crossover-Projekte das Verständnis für klassische Musik vertieft würde, oder dass auch nur ein Besucher einer Show von David Garrett ein Violinkonzert im traditionellen Rahmen wertschätzen lernt. Natürlich: wenn David Garrett beispielsweise das Tschaikowsky-Violinkonzert mit dem Frankfurter Museumsorchester in der Alten Oper Frankfurt spielt, dann kommen seine Fans auch ins « Museum ». Aber eben seinetwegen, nicht wegen des Inhalts.
Ist das noch Klassik? Was ist denn das überhaupt – Klassik? Für mich ist ein wichtiger Parameter der Inhalt, der gesendet und empfangen wird. Und der Inhalt ist niemals nur die eingängige Melodie oder der Name des Komponisten, oder die Aura des Interpreten heute, sondern unbedingt auch die Wirkungsgeschichte eines « klassischen Musikwerkes ».
Ein Paganini-Auftritt hat vor 200 Jahren Ohnmacht und Gekreische verursacht, also kann und soll er das auch heute, aber ist das « Klassik »?
Goethe meinte 1831: Der Mephistopheles ist ein viel zu negatives Wesen, das Dämonische aber äußert sich in einer durchaus positiven Tatkraft. Unter den Künstlern findet es sich mehr bei Musikern, weniger bei Malern. Bei Paganini zeigt es sich im hohen Grade, wodurch er denn auch so große Wirkungen hervorbringt.
Ich möchte David Garrett nicht verteufeln, habe keine persönlichen Aversionen gegen Crossover-Projekte, die viele Menschen unterhalten können. Aber mich stimmt es nachdenklich, dass ein Musikpreis, dessen erster Preisträger Gidon Kremer war, heute an einen Geiger geht, dessen aktuelle « corporate identity » den Inhalt um ein vielfaches überstrahlt. Ein Plattenpreis in der Kategorie « Crossover » ist meiner Meinung nach 100% angemessen, auch ein Publikumspreis, aber ein Musikpreis, der in den vergangenen 35 Jahren « Musikerpersönlichkeiten für besondere Leistungen in der Interpretation und Komposition, in Musikwissenschaft und Lehre » verliehen wurde?
Tempora mutantur, nosque mutamur in illis?
Julian Prégardien, Sänger, geboren 1984 in Frankfurt