Das von Lars Vogt geleitete Festival ‘Spannungen’ in Heimbach/Eifel versteht sich als publikumsnah, und mit seinen Konzerten im Kraftwerk der RWE und den öffentlichen Proben ist es auch genau das. Seit 1998 hat es eine treue Besuchergemeinde, die sich jeweils Anfang Juni eine Woche lang die von vielen namhaften und auch jungen Künstlern vor Ort erarbeiteten Kammermusikkonzerte anhören kommt. Auch dieses Jahr waren quasi alle Konzerte ausverkauft.
Zum Erfolg des Festivals trägt auch das ganz besondere Ambiente bei. Das 1904 erbaute Wasserkraftwerk Heimbach ist ein schöner Jugendstilbau, idyllisch am Wasser gelegen. Die Konzerte finden im großen Maschinensaal statt, wo zwischen mächtigen, schwarzen Turbinen über 500 Musikliebhaber Platz finden. Die Akustik in diesem Raum ist hervorragend.
An zwei Abenden konnte ich in Heimbach hochkarätige Aufführungen erleben, deren Programm und Qualität wohl stellvertretend stehen können für dieses ganz besondere Festival.
Isabelle Faust und Gustav Rivinius oblag es, das etwa dreistündige Konzert mit Maurice Ravels Sonate für Violine und Violoncello zu eröffnen. In totaler Kommunikation unter sich und mit dem Publikum spielten sie das 1922 beendete, dem Ravel-Rivalen Claude Debussy posthum gewidmete Werk ganz so zukunftsweisend, wie es der wagemutige Komponist konzipiert hatte, mit seinen spannungsvollen ungeraden und seinen schrägen geraden Sätzen.
In Peter Eötvös’ ‘Psy’ für Flöte, Violoncello und Cimbalom ließen Marie-Christine Zupancic, Tanja Tetzlaff und Hans-Kristian Kjos Sørensen den Kontrast zwischen neuen Tendenzen und traditioneller Musik aufregend deutlich werden.
Viel Wetterleuchten gab es in Robert Schumanns Streichquartett a-Moll op. 41 Nr. 1, wo Gustav Rivinius die emotionale Steuerung übernahm. Bar jeder musikalischen Gefälligkeit erklangen die schnellen Sätze leidenschaftlich glühend, schwüle Süße prägte das Adagio. Eine gefährliche Schönheit, in der es nicht selten blitzte wie an einem schönen, warmen Sommerabend. Hier wurde jeder Ton Teil von Schumanns Seelensprache, von jener Romantik, die ohne seinen Wahnsinn wohl nie hätte zustande kommen können. Interessant war der klangliche Kontrast zwischen Isabelle Fausts silbrig-kräftigem Geigenklang und der viel weicheren Tongebung des jungen Amerikaners Benjamin Beilman, der mir sehr imponierte.
Nach der Pause traten der Geiger Christian Tetzlaff, die Cellistin Tanja Tetzlaff, und der Pianist Artur Pizarro an, um Rachmaninovs dreisätziges ‘Trio élégiaque’ op. 9 zu spielen. Der Komponist schrieb es 1893 unter dem Eindruck des Todes von Piotr Tchaikovsky. In diesem Werk mit seinem Überschwang an Melodien und Themen lieferten sich Pianist und Streicher einen kontrastreichen Kampf mit viel Ausdrucksintensität. Es war, als wollten die drei Musiker die sonst von den nun stillstehenden Turbinen erzeugte Spannung mit hochvoltiger Musik ersetzen.
Ein sehr gemischtes Programm erwartete uns am zweiten Abend. Zunächst spielten die Violinistinnen Isabelle Faust und Caroline Goulding Georg Philipp Telemann ‘Gulliver Suite’, inspiriert von ‘Gulliver’s Travels’ des irischen Schriftstellers Jonathan Swift. Die sehr gestische Tanzsuite wurde recht spritzig und humorvoll dargeboten.
Rachel Roberts und Lars Vogt spielten anschließend Rebecca Clarkes Sonate für Viola und Klavier. Die Musik der britischen Bratschistin und Komponistin (1886-1979) wirkte in dieser Interpretation weniger feminin als ich sie in Erinnerung hatte, und das Duo Vogt-Roberts schaffte es, die sonst liebliche Atmosphäre recht konfliktreich zu gestalten. Vogt gab sich zwar am Klavier recht zurückhaltend, um die Viola nicht zu verdecken, aber der Zauber der Musik entwickelte sich weniger aus Innigkeit, denn aus innerer Spannungskraft.
Das facettenreiche Streichquartett ‘Ungemalte Bilder’ der russischen Komponistin Tatjana Komarova – ‘Composer in residence’ von ‘Spannungen 2014’ – hatte in Elisabeth Kufferath, Sarah Christian, Tatjana Masurenko, und Anastasia Kobekina ein rhetorisch agierendes Quartett, das die zehn Bilder stimmungsvoll in Musik malte. Weniger angetan war ich von ‘Umhüllt von Licht und Nebel’, einer Auftragskomposition des Festivals, die von der Geigerin Antje Weithaas und von Lars Vogt uraufgeführt wurde. Für mein Empfinden mangelt es dem Werk an inneren Zusammenhängen.
Franz Schuberts Forellenquintett A-Dur D 667 wurde von Lars Vogt, Isabelle Faust, Rachel Roberts, Gustav Rivinius und Alois Posch sehr transparent und sehr flüssig gespielt. Dennoch habe ich immer wieder Probleme mit Interpretationen dieses Quintetts, die zwar lebendig und temperamentvoll sind, denen es aber an Lyrik, an Warmherzigkeit und Verinnerlichung fehlt. Das Publikum ließ sich dennoch von der Virtuosität mitreißen und applaudierte begeistert.