Herbert von Karajan hatte wie kein anderer Dirigent die Bedeutung der Film- und Videoproduktion für die Verbreitung von Musik erkannt. Dieser Dokumentarfilm zeigt, wie sich der Maestro die Filmsprache aneignete, wie akribisch genau Karajan das Thema Musikfilm vorbereitete, wie viel Zeit und Gedanken er darauf wendete, wie Musik im Film am besten, am eindringlichsten, am wirkungsvollsten und am nachhaltigsten herüberzubringen war, wie der Klang durch das Bild intensiviert werden konnte.
Was in Niebelings ‘Pastorale’-Film vielleicht bis zum Exzess getrieben wurde, begründete einen Stil. Obschon Karajan anfangs noch mit anderen Regisseuren zusammenarbeitete (neben Niebeling u.a auch mit Clouzot), entwickelte er letztlich ein eigenes visuelles Konzept, das Klang und Bild harmonisch aufeinander abstimmte und das der Ästhetik und Perfektion verpflichtet war, mit denen er auch seine Interpretationen umsetzte. Nicht ohne Grund gehören Karajans Konzertaufnahmen zu den besten Filmdokumenten der Gattung, nicht ohne Grund tragen einige der hinreißendsten Opernfilme (von denen hier unverständlicherweise nicht die Rede ist) seine Signatur.
Die Dokumentation enthält neben einigen floskelhaften und mitunter peinlich törichten Aussagen viele Statements, die wirklich etwas zur Sache aussagen und Karajans Arbeitsweise erklären, auch umfangreiches Archivmaterial mit Interviews, Gesprächen und Konzertaufnahmen mit Karajan, etwa Auszüge aus den ersten Fernsehaufnahme, die bei Konzerten in Japan entstanden. Das, was aber vor allem hier klar wird, das ist die technische Kompetenz des Dirigenten beim Filmen. Ihm konnte niemand etwas vormachen, er wusste von Beleuchtung, Kamerafahrten, Schnittmöglichkeiten und anderen Dingen so gut Bescheid wie über die Musik. Ein beeindruckender, mitunter sogar ergreifender Dokumentarfilm, der viel zum Verständnis Karajans und seiner Ansichten beitragen kann.
Als Zugabe zum Dokumentarfilm gibt es die Filmaufnahmen mit Bachs Zweiter Orchestersuite und dem 3. Brandenburgischen Konzert, 1967 und 1968 gefilmt von François Reichenbach und auf dem Back Cover als ‘First Ever Release ‘ angegeben.
Nun waren die Filme seinerzeit im Fernsehen zu sehen und laut der Webseite ‘Karajan.org’ gab es davon auch eine VHS-Edition. In jedem, Fall aber sind sie seit längerem im Angebot der ‘Digital Concert Hall’ der Berliner Philharmoniker. So viel zum Thema ‘First ever’.
Statt dieser falschen Angabe wäre es sinnvoller gewesen, einige Fakten zu den Filmen im Booklet oder dem Back Cover zu liefern. So hätte C-major unbedingt den Namen des Solisten in der 2. Suite abdrucken müssen. Es war Karlheinz Zöller. Interessant wäre es auch gewesen, mitzuteilen, wo die Filmaufnahmen stattfanden. In der ‘Digital Concert Hall’ steht, es sei die ‘Salle Pleyel’ in Paris, was aber aufgrund weniger ganz kurzer Momente, wo man das Umfeld sieht, eher nicht der Fall zu sein scheint. Es war wohl das ‘Théâtre des Champs-Elysées’, wo Karajan zu den Zeiten, die in der DCH als Drehtage angegeben werden, mit den Berliner Philharmonikern gastierte und eben genau diese Werke aufführte. Dass Karajan sich 1969 in Luxemburg nach der Möglichkeit umfragte, Filmaufnahmen im Stadttheater zu machen, konnten die Herausgeber natürlich nicht wissen, aber es war gerade, weil er mit dem Saal in Paris nicht zufrieden war, weswegen er in jener Zeit nach einem neuen Drehort suchte. Weil die Aufnahmen in Luxemburg aus terminlichen Gründen nicht möglich waren, verlief dieses Vorhaben im Sande.
Karajan dirigiert die beiden Bach-Werke vom Cembalo aus, und Reichenbach arbeitet kontinuierlich mit Close-Ups, weswegen man das Orchester als Ganzes quasi nicht zu sehen bekommt, dafür aber eine Fülle an sehr ungewohnten Detailaufnahmen, die die Film künstlerisch wertvoll werden lassen. Dass Karajans Bach von 1967/68 heute bei Barock-Puristen Erstaunen, wenn nicht gar Verärgerung hervorrufen wird, ist klar. Das ändert aber nichts am generellen Wert dieser beiden kurzen Filme.