Welche Energie hat Ihnen dieser Aufnahmeort gegeben?
Dieser fabelhafte Ort vermittelte eine tiefe Ruhe. Auch die unmittelbare Nähe zu den Bergen gibt ein erhebendes Gefühl. Viele Faktoren spielen bei einer Musikaufnahme eine Rolle. Es ist gut, wenn man sich dafür an einen Kraftort begibt. Und natürlich war im Sommer 2020 eine große Erleichterung, nach dem ersten Lockdown überhaupt wieder spielen zu können. Die wunderbare Partnerschaft im Trio und mit dem Aufnahmeleiter Frédéric Angleraux kamen als weiterer Glücksfall dazu.
Wie empfinden Sie die schwierige Situation im Moment?
Ich bin moralisch schon durch die Talsohle durchgegangen und hoffe nun auf bessere Nachrichten.
Gibt es noch Konzerte in der Schweiz?
Nein, im Moment eigentlich nicht. Auch das macht bewusst, was es für ein Unterschied ist, live vor einem Publikum zu spielen oder nicht.
Was halten Sie von Streaming-Konzerten?
Es kostet unheimlich viel Kraft, ein Konzert ohne Publikum zu spielen. Das ganze Streaming ist eine notwendige Dokumentation, um uns als Kultur zu definieren und zu verteidigen. Aber rein gefühlt habe ich im Moment genug davon.
Ist es da nicht eine nachhaltigere Investition, sofort eine gute CD aufzunehmen?
Eine CD-Aufnahme ist etwas ganz wertvolles – da gibt man 100 Prozent für ein Programm. Auch ein Film von einem Konzert ist sehr wertvoll, aber er sollte schon unheimlich gut sein. Große Festivals haben natürlich viel Budget dafür. Wenn man im Kleinen etwas bastelt, muss man schauen, für wen man das tut. Es ist durchaus wichtig, so etwas zu tun, um den Kontakt zum Stammpublikum aufrecht zu erhalten. Ich denke hier zum Beispiel an mein Sinfonie Orchester Biel Solothurn. Aber auch bei unserer CD (Pizzicato-Rezension) war es das wichtigste Anliegen, etwas für unser Publikum zu tun. Sie hat einen reißenden Absatz innerhalb unseres direkten näheren Umfeldes gefunden. Die Leute haben sie zu Weihnachten verschenkt und durch den Verkauf haben sich unsere Produktionskosten schon amortisiert. Ein Bach-Programm – gerade mit diesen optimistischen Stücken – hat den Leuten gerade jetzt sehr gut getan.
Die Sonaten strahlen gerade in dieser Instrumentierung viel Leichtigkeit aus. Welchen Bezug haben Sie und Ihre Partnerin Ana Oltean zur Musik Johann Sebastian Bachs?
Ich war traditionell in eine protestantische Familie hinein geboren. Seit ich Kind bin, waren diese Bachkantaten und Passionen ständig präsent. Ich habe schon immer wahnsinnig gerne Bach gespielt. Mein großer Lehrer Aurèle Nicolet hat schon gesagt: Du kannst das, Du hat dieses Gen. Dann kam meine Frau dazu, eine Rumänin, sie kommt aus der orthodoxen Kultur. Sie ist viel mehr als ich in die echte, alte Musikpflege eingetaucht und hat viel alte Musik auf alten Instrumenten gespielt. Wir musizieren auf Holzflöten und mit denen haben wir uns künstlerisch in der Mitte getroffen. Ich habe mich seitdem mit vielem auf neue Weise auseinander gesetzt und auch mit meinem Orchester immer eine engagierte Bach-Pflege betrieben, natürlich vor allem mit Weihnachtsoratorium und Matthäus-Passion. Unser Cembalist auf der neuen Aufnahme ist Vital Julian Frey, der ist zugleich mein langjähriger Continuo-Spieler im Orchester. Auf ihn kann ich mich hundertprozentig verlassen, wenn ich Fragen habe.
Was für eine Stellung haben Bachs Triosonaten in Ihrem gesamten Spektrum?
Meine eigene Bach-Wahrnehmung hat sich durch diese Stücke stark gewandelt. Schon früh gab es den Wunsch, diese Sonaten aufzunehmen. Für uns drei war es wichtig, dass die Werke einen Bogen bekamen, der nicht unbedingt chronologisch sein muss, sondern einen Zusammenhang zwischen den Tonarten herstellt. Deswegen haben wir kleine Intermezzi eingeführt, damit nahtlose Übergänge entstehen. Die erste G-Dur-Sonate ist original für zwei Flöten und Basso Continuo, sie existiert auch als Gambensonate. Nach diesem Modell sind die beiden weiteren Gambensonaten für unsere Besetzung rekonstruiert worden. Dann gibt es noch zwei Sonaten, die zwar auch eine BWV-Nummer haben, die aber heute eindeutig Bach-Schülern zugeschrieben sind: Die C-Dur Sonate stammt von Johann Gottlieb Goldberg. Die d-Moll-Sonate ist auch nicht original Bach, aber man nimmt hier eine Zusammenarbeit Bachs mit seinen Söhnen an, vermutlich mit Friedemann Bach.
Würden Sie Bachs Söhne nicht als seine Schüler bezeichnen?
Doch, aber Bach war niemals so ein Lehrmeister, zu dem alle hin gepilgert sind. Dafür hatte er vermutlich keine Zeit.
Und trotzdem hat er wie kein andere die ganze Musik beeinflusst….
Genau. Und deswegen sind auch die von uns eingespielten Sonaten Teil eines epochenübergreifenden Monuments. Die d-Moll-Sonate ist stilistisch viel progressiver, sie geht mehr in Richtung Sturm und Drang.
Sie ist ja alles andere als typischer Bach und nimmt schon den empfindsamen und galanten Stil der Frühklassik vorweg. Wie haben Sie das empfunden?
Für uns war es wichtig, dass man irgendwie versucht, die Monotonie zu vermeiden. Deswegen wollten wir mehr stilistische Variabilität zur Auflockerung bieten.
Haben Sie auf Autographe zurückgegriffen, die Sie neu übertragen haben?
Wo es möglich war ja, aber sonst haben wir uns auf Rekonstruktionen bezogen, die es schon gab. Die Gambensonaten sind bereits rekonstruiert worden. Ich bin nicht sicher, ob die nicht unterdessen vergriffen sind. Wir haben uns, soweit es geht, beim Original bedient, auch um die Phrasierungen anzupassen.
Sie haben vorhin das Wort Bach-Pflege benutzt. Was macht eine gute Bachpflege aus?
Bach ist nicht nur Musik, sondern eine spirituelle Begleitung. Mir hat Musik von Bach mehr über Religion und Spiritualität gesagt als die Bibel oder mein Pfarrer. Für mich ist in Bachs Musik mehr Verbundenheit mit dem Göttlichen vorhanden, als es eine kirchliche Institution vermag.
Was für eine Brücke zur Gegenwart ergibt sich daraus?
Je mehr man sich mit Bach befasst, desto moderner und überraschender wirkt seine Musik. Stilistisch ist er konservativ, aber harmonisch total progressiv. Es ist kein Zufall, dass sich die ganze kontrapunktische Lehre bis ins 20. Jahrhundert auf Bach bezieht. Auch Schönberg hat viel von Bach, ebenso, wie sich Bach hervorragend mit zeitgenössischer Musik verbinden lässt.
Erzählen Sie über Ihre aktuellen Gegenwartsprojekte, Sie sind ja extrem breit aufgestellt!
Ich war 22 Jahre lang Leiter des Festivals Murten Classics. Die letzte Ausgabe ist leider der Pandemie zum Opfer gefallen. Ich habe noch ganz kleines Festival in Riggisberg, ganz in der Nähe des Ortes, an dem die CD aufgenommen wurde. Im Festival Klangantrisch geht es vor allem um die Mischung von Musik mit gutem Essen, Wandern, Natur – in erster Linie um ein Programm, das Leuten zeigen soll, dass Kultur keine Eliteangelegenheit, sondern ein Menschenrecht ist. Auf dem Dorf aufgewachsen, denken viele, dass es Kultur nur in der Stadt und für die Reichen gibt. Das ist ein totaler Irrtum und mit dieser Frage müssen wir uns künftig mehr auseinander setzen. Wir wissen auch, je schlechter es einem geht, desto mehr identifiziert man sich mit der eigenen Kultur. Da gehen wir in eine Epoche, wo das wieder sehr stark verteidigt werden muss, weil sonst passiert es, dass diejenigen immer lauter werden, die sagen, dass es ja auch ohne Kultur ganz gut geht. Es geht um den Dialog, darum, miteinander zu sprechen und lachen und sich zu begeistern. Das ist für die Gesellschaft ganz wichtig im Hinblick auf die nächsten Jahrzehnte.
Als es nach dem Frühjahrs-Lockdown im letzten Jahr die ersten open-Air-Konzerte gab, wurde sichtbar, wie ausgehungert die Menschen nach Kultur sind…
Das hat mich sehr berührt und ermutigt. Ich halte es für schockierend, wie schlecht die Kulturbranche politisch vernetzt und wie wenig das Wort Kultur in der Politik existent ist.
Sie setzen sehr stark auf die Bedeutung von Kultur in der Region. Gibt es ansonsten in der Schweiz einen gewissen Zentralismus, in dem sich alles um Zürich zentriert?
Das ist Wahrnehmung von außen. Wir haben Zürich und Genf – und für alles, was progressiver ist, auch Basel. Die Schweiz ist sehr föderalistisch, jeder Ort hat seinen Stolz. Wenn wir von Provinz reden, gibt es sehr viele kreative Flecken. Zum Beispiel Graubünden ist sehr aktiv. Ich behaupte, wer von hier aus nordwärts schaut, der schaut nicht nach Zürich, sondern nach Berlin. So etwas wie Berlin, London oder München haben wir in der Schweiz nicht. Deswegen finde ich es viel spannender, an einem Ort einen Bezug der Kultur zur Landschaft herzustellen, etwa durch Festivals wie die Alpentöne oder das Musikdorf Ernen. Es geht um den Zusammenklang mit der Kraft der Natur – in dieser Hinsicht kann man wunderschöne Programme entwickeln!
Wie verhält es sich mit Ihren eigenen Festivals?
Sie meinen Murten Classics oder Klangantrisch? Letzteres ist in einem Naturpark zentriert und auch ein Schloss gehört dazu. Eine sehr besondere, aber nicht besonders touristische Gegend. Da kann man sehr viel bewegen, wo die Menschen in lokaler Hinsicht stolz drauf sind. Wir haben hier schon Mischformen produziert, etwa Pop-Sänger mit klassischen Orchestern auftreten lassen. Das war meine Bedingung, dass diese Leute nicht mit ihren Bands anreisen, sondern das Orchester als deren Band fungiert. Eine schöne Herausforderung für den Arrangeur, der dann eben schauen muss, dass