Frau Christians, Ihre erste CD mit dem Württembergischen Kammerorchester Heilbronn unter Ruben Gazarian überrascht mit einem sehr ungewöhnlichen Programm. Dort gibt es Werke von Jindrich Feld, Mikis Theodorakis und Mieczyslaw Weinberg zu entdecken. Wie kam es zu dieser Werkzusammenstellung?
Ich bin von Natur aus ein neugieriger Mensch und liebe das seltene Repertoire. Es gibt so viel gute Musik, die vergessen oder aus irgendwelchen Gründen nicht gespielt wird. Bei meinen Recherchen bin ich dann auf diese Werke hier gestoßen, obwohl ich das Konzert für Flöte und Orchester von Feld bereits vor sieben Jahren kennengelernt und erarbeitet habe. Ich denke, was die drei hier eingespielten Werke verbindet, oder vielmehr die Komponisten, das ist ein gewisser politischer Kontext. Alle waren oder sind sie politisch involviert und haben aufgrund ihrer Geburtsjahre zur gleichen Zeit Dinge erlebt, die niemand erleben sollte. Feld war beispielweise Stasi-Mitglied, Weinberg wurde verfolgt und war im Konzentrationslager, genauso wie Mikis Theodorakis, der darüber hinaus auch heute noch politisch sehr engagiert ist.
Mich hat besonders das Konzert von Feld begeistert, was tatsächlich ungemein starke Musik ist. Und vieles erinnert mich dabei an Brahms.
Das Problem mit Jindrich Feld ist, dass eigentlich sehr wenig über ihn bekannt ist. Für mich sind der historische Hintergrund und auch der Inhalt der Werke immer sehr wichtig, bei Feld hat man allerdings sehr wenige Hintergrundinformationen. Da muss ich mich dem Werk dann sehr von der musikalischen und nicht von der intellektuellen Ebene her nähern. Felds Schaffen kann man in drei große Perioden einteilen. Das Frühwerk der Fünfzigerjahre mit einem sehr expressiven Ton. Aus dieser Zeit stammt auch das Flötenkonzert. Dann gab es bei ihm in den Sechzigerjahren einen sehr modernen Kompositionsstil und in den Siebzigern kann man die Musik eines sowohl kompositionstechnisch, wie auch expressiv sehr gereiften Komponisten erkennen. Mir war es jedenfalls sehr wichtig, gerade dieses wunderbare Konzert mit seinen herrlichen Dialogen dem Hörer zugänglich zu machen. Denn ich bin der Meinung, dass dieses Werk das Potenzial hat, viel öfter aufgeführt zu werden.
Das kurze Adagio für Flöte und Orchester stammt von dem griechischen Komponisten Mikis Theodorakis, einem Komponisten, der vielen durch seine Filmmusik und seine politischen Lieder bekannt ist. Aber wie ist Theodorakis als sogenannter klassischer Komponist einzuschätzen?
Ich bin der Meinung, dass Theodorakis, wie übrigens auch Ennio Morricone, als klassischer Komponist sehr stark unterschätzt wird. Wenn ein Komponist einmal den Stempel ‘Filmmusik’ oder ‘Unterhaltungsmusik’ hat, dann gehört er in eine bestimmte Schublade und sein Wert wird gerne unterschätzt oder gar nicht wahrgenommen. Theodorakis hat Kammermusik, Symphonien, Rhapsodien, Kantaten, Ballette und Opern geschrieben. Leider werden diese Werke in unseren Gegenden kaum gespielt, genauso wenig wie seine politischen Lieder. Zu Unrecht, denn Theodorakis’ Musik ist phantastisch.
Von Weinberg hören wir sein 2. Konzert für Flöte und Orchester aus dem Jahre 1987. Was hat es mit seinem Werk auf sich?
Für Weinberg war Komponieren eine Therapie. Das merkt man einfach in der Musik. Die geht so tief. Und man spürt, dass er so all seine traumatischen Erlebnisse verarbeitet und überwindet. So traurig seine Musik auch manchmal sein mag, sie stimmt mich glücklich. Alles andere was in diesem Moment um einen herum passiert verliert an Dramatik; man fühlt sich mit seinen – im Vergleich – Problemchen, gleich wieder fast versöhnt. Oder aber verstanden, was auch hilft. Denn es ist diesem Komponisten gelungen, sein Innerstes nach außen zu kehren, den Damm der Gefühle aufbrechen zu lassen und sich somit seelisch selbst zu befreien.
Ist das denn nicht auch bei anderen großen Werken so?
Natürlich. Aber das ist Musik. Das ist die Kraft der großen Werke. Und deshalb macht mich traurige Musik fröhlich. Weil sie von der Überwindung des Leidens erzählt und es am Ende immer doch Hoffnung gibt. Und wenn nicht auch für das Werk selbst oder den Komponisten, dann doch sicherlich für den Hörer.
Sie haben vorhin das Schubladendenken angesprochen. Was kann man denn dagegen tun?
Ja, dieses Schubladendenken finde ich sehr schade, denn dadurch entsteht ein großes, schwarzes Loch des Unbekannten, Andersartigen. Es gibt im Allgemeinen eher wenig Experimentierfreude. Und es ist ein Teufelskreis. Ein großer Teil des Publikums will einfach immer nur die gleichen Werke hören, und wenn die Organisatoren auch manchmal Wagnisse eingehen, bleiben die Säle manchmal halbleer. Aber das Interessante darin ist die Feststellung, dass gerade die unbekannten resp. modernen Werke das Publikum, besonders das junge, im Nachhinein oft am besten gefallen haben. Ich denke, wir Musiker müssen unseren Weg konsequent gehen und auch Werke aufführen, die eben nicht so bekannt und bequem sind wie die Symphonien von Beethoven oder die Konzerte von Brahms. In diesem Sinne sehe ich auch diese CD.
Sind denn nicht gerade junge Musiker heute gezwungen, sich nach einem alternativen Repertoire umzusehen?
Ich denke, da muss jeder Musiker für sich entscheiden. Es ist natürlich schwierig, sich als unbekannter, junger Interpret hinsichtlich der riesigen Menge an guten Aufnahmen der besten Musiker heute mit einem Beethoven-Konzert international durchzusetzen. Auf der anderen Seite ist es auch nicht einfach, den Hörer für ein unbekanntes Programm aus der Reserve zu locken. Ich sehe die Auswahl dieser drei Werke jedenfalls nicht als Verlegenheitslösung oder Zwang an. Ich habe mich bewusst und mit Überzeugung für Feld, Theodorakis und Weinberg entschieden. Zum einen, weil ich die Musik überragend finde und zum zweiten weil es mir einfach Spaß macht, solche Werke zu entdecken und sie an das Publikum weiterzureichen. Wobei ich aber sagen muss, dass es für mich persönlich sehr wichtig ist, dass die Werke tonal sind. Wobei – viele Werke werden auch erst durch ihre Erarbeitung und Interpretation tonal. Eine seelenlose Interpretation von Brahms hat für mich sehr schnell auch etwas Atonales. Ich bemerke ebenfalls bei mir eine Entwicklung über die Jahre, wofür ich mich neu begeistern kann. Und da ist durchaus atonales dabei – besonders als Herausforderung mit der Technik und Interpretation über sich selbst hinauszuwachsen.
Aber wenn ich die Möglichkeit hätte, mich zwischen einem Flötenkonzert von Mozart und dem von Jindrich Feld zu entscheiden, würde ich mich ohne zu Zögern für das von Feld entscheiden.
Warum denn?
Weil die Musik von Feld näher an unserer Gegenwart ist. Wir können uns als Hörer und Interpreten besser mit einer Musik von Feld identifizieren, als mit der von Mozart. Mozarts Konzerte sind natürlich wunderschön, aber Felds Musik berührt mich als Mensch und Musiker des 21. Jahrhunderts einfach mehr.
Liegt das denn auch vielleicht nicht daran, dass die Flöte als Instrument im 20. Jahrhundert eine andere Bedeutung bekommen hat?
Ganz sicher. Früher waren die Flöten klanglich nicht sehr gut und kaum mit denen von heute zu vergleichen. Das Instrument hat sich erst sehr spät entwickelt, weshalb die Komponisten des 20. Jahrhunderts auch viel mehr Möglichkeiten in ihm sahen.
Die Flöte spielte ja im Mittelalter, in der Renaissance und im Barock eine wichtige Rolle. Im 19. Jahrhundert verschwand sie fast ganz um dann, wie Sie sagen, im 20. Jahrhundert insbesondere in Frankreich durch Debussy, Ibert und Varèse wiederentdeckt zu werden.
Was man heute weiß, das ist, dass die Intonation bei den alten Instrumenten miserabel war, da man auf eine möglichst bequeme Handhaltung erpicht war. Bei den sogenannten Salonkonzerten haben sie allerdings eine wichtige Rolle gespielt. Beides wurde der Flöte aber dann schließlich zum Verhängnis. Die Instrumente, außer der Flöte, wurden im 19. Jahrhundert allgemein qualitativ besser und die Orchester größer. Da konnte sich die Flöte als Soloinstrument nicht mehr durchsetzen. Zudem war sie in dieser Zeit als Instrument für Salonmusik verpönt. Nach Haydn und Mozart kam nun die große Zeit des Streichquartetts. Allerdings, und das ist der musikalischen Entwicklung zuzuschreiben, bot der französische Impressionismus zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit seinen antiken Themen eine ideale Ausgangsbasis für die Wiederentdeckung der Flöte. Die ja ebenfalls ein Instrument der Antike war. Sicherlich teilen diese Meinung nicht alle Kollegen an der Flöte.
Wenn wir heute von der Flöte reden, so reden wir von der Querflöte. Was ist denn mit den anderen Gattungen?
Ja, im Laufe der Zeit hat sich die Querflöte als Soloinstrument durchgesetzt. Vermutlich, weil sie den runderen Ton und die größeren Möglichkeiten hat. Man muss ja dazu sagen, dass man das Ausdrucksspektrum einer Flöte nicht mit dem einer Violine, eines Cellos, oder eines Klaviers vergleichen kann. Die Blockflöte findet ihren Einsatz heute fast nur noch im Barock- und Renaissancerepertoire, oder in der Neuen Musik. Für die Piccolo-Flöte ist der Einsatz noch eingeschränkter. Liebermann hat zwar ein Konzert für Piccolo-Flöte geschrieben, aber ihr Einsatz ist ansonsten doch sehr spärlich gesät. Und somit bleibt die Querflöte die Königin der Flöten. Ich muss dazusagen, dass gerade in der zeitgenössischen Musik momentan sehr starke Impulse aus Amerika kommen. Für die Querflöte wird in Europa eher wenig geschrieben.