Am Freitag dirigiert Kazuki Yamada, Chefdirigent des City of Birmingham Symphony Orchestra und des Orchestre Philharmonique de Monte Carlo das Orchestre Philharmonique du Luxembourg in Werken von Gabriel Fauré und Maurice Ravel. Alain Steffen hat sich mit dem japanischen Dirigenten unterhalten.

Kazuki Yamada
(c) Marco Borggreve

Sie dirigieren das Luxemburg Philharmonic jetzt bereits zum dritten Mal. Und haben für dieses Konzert mit Gabriel Faurés Requiem und dem kompletten Ballett Daphnis et Chloé von Maurice Ravel ein ziemlich ungewöhnliches Programm zusammengestellt. Ein Requiem und ein Ballett, funktioniert das in ein und demselben Konzert?
Natürlich, es mag auf den ersten Blick nicht so scheinen, aber ich habe diese Konstellation schon in Genf mit dem Orchestre de la Suisse Romande ausprobiert und es hat geklappt. Ich muss natürlich auch sagen, dass es eine ideale Gelegenheit ist, um meinen Chor, den Philharmonic Chorus of Tokyo, vorzustellen, dessen Chefdirigent ich bin. Er macht seit dem 2. Oktober eine Tournee in Europa, die am Freitag mit diesem Konzert zu Ende geht.

Wie erleben Sie denn das Orchester, die Proben scheinen ja jedenfalls sehr entspannt abzulaufen.
Als Gastdirigent hat man ja nie so viel Zeit, um ein Werk bis ins kleinste Detail zu erarbeiten, insbesondere, wenn man ein Programm spielt, was nicht unbedingt zum großen Repertoire gehört, wie eben jetzt Fauré und das komplette Ravel-Ballett. Ich muss aber sagen, dass mir die Arbeit mit dem Luxemburg Philharmonic sehr viel Freude bereitet, besonders, weil die Musiker alle sehr aufmerksam sind und sich hundertprozentig auf die Arbeit einlassen. Man spürt in jedem Moment, dass sie ihr Bestes geben und ein hundertprozentiges Konzert spielen wollen. Und das funktioniert so gut, dass ich sogar an den Details und Feinheiten arbeiten kann, was normalerweise bei einem Gastdirigat nicht möglich ist. Ich fühle mich auch hier sehr willkommen, was ungemein förderlich für die Zusammenarbeit ist. Ich habe auch schon Orchester dirigiert, die keinen Hehl aus ihrer Langeweile gemacht haben und nur business as usual angeboten haben. Da ist natürlich ein wirklich gutes Konzert nicht möglich. Aber nicht mit diesen luxemburgischen Musikern! Ich glaube, die haben sich viel vorgenommen, um weiterzukommen.

Sie sind ja zugleich Chefdirigent  des City of Birmingham Symphony Orchestra und des Orchestre Philharmonique de Monte Carlo. Wenn Sie mit beiden dieselben Werke spielen, merken Sie da einen großen Unterschied im Klang?
Nein, mit diesen Orchestern kann ich ja intensiver arbeiten, wir kennen uns und die Musiker wissen ganz genau, welchen Klang ich will. Natürlich hat jedes dieser Orchester seine eigene Persönlichkeit, aber die Unterschiede im Klangbild sind eher minim. Worin sie sich allerdings unterscheiden, ist die Mentalität und die Herangehensweise an die Musik. Wenn ich jetzt das Luxemburg Philharmonic nehme, so bin ich überzeugt, dass wir ein erstklassiges Resultat haben werden, weil die Mentalität stimmt. Und wenn alle am gleichen Strang ziehen und wissen, wo die Reise hingehen soll, dann bekommt man eigentlich sehr schnell den gewünschten Klang.

Wenn Sie jetzt als Gastdirigent zu einem Orchester kommen, das Sie nicht unbedingt kennen und wo Sie nur bedingt Zeit zum Proben haben, wo setzen Sie da Ihre Arbeit an?
Was jetzt dieses Konzert mit französischen Werken angeht, so ist es für mich enorm wichtig, die richtige Atmosphäre und die richtigen Farben zu finden. Und das geht nur, wenn die Musiker sehr fein und ohne Druck spielen. Der Bogen muss leicht geführt werden, die Bläser müssen die Töne quasi hauchen. Französische Musik  ist ganz anders als deutsche. Hier muss markanter, akzentreicher und vor allem kräftiger gespielt werden. Wenn man als französische Werke mit einem Orchester probt, muss man auf diese Feinheiten achten und auch den Musikern sagen, wie sie diesen schwebenden, kaum greifbaren Klang erzeugen können. Französische Musik entsteht aus der Atmosphäre heraus. Erst dann kann sie ihre ganze Farbenpracht entwickeln. Das hat auch sehr viel Ähnlichkeit mit der französischen Sprache, wo die meisten Wörter ganz anders ausgesprochen werden, als sie geschrieben werden. Nämlich sehr weich, sehr schwebend, ohne Härte und Akzent, selbst wenn die Buchstaben es an sich fordern. Wie das Wort Champs-Elysées, was ohne die Betonung des harten p sehr weich und atmosphärisch klingt. Und diese kaum zu fassende Atmosphäre findet im Impressionismus seinen Höhepunkt.

Kazuki_Yamada
(c) Zuzanna Specjal

Wenn wir etwas weiter in der Zeit zurückgehen, dann stellen wir fest, dass es japanische Künstler wie Hokusai oder Hiroshige gewesen sind, die die französischen Impressionisten doch sehr stark beeinflusst haben. Fast kann man sagen, dass es ohne diese Meiser der Edo-Zeit den französischen Impressionismus so nicht geben würde.
Ja, diese Ukyio-e haben die Franzosen sehr beeinflusst. Als ich nach Europa kam, war ich überrascht festzustellen, dass ich einen sehr leichten Zugang zu der französischen Kunst und Musik und auch zu der französischen Lebensweise fand. Ich denke, das ist auf das große Interesse zurückzuführen, das die Franzosen Mitte des letzten Jahrhunderts der japanischen Kultur entgegenbrachten. Und vieles davon fand dann seinen Weg in die französische Kultur. Als Japaner merke ich das sehr schnell. Da ist die gleiche DNA. Zwischen der französischen und der japanischen Kultur gibt es eine sehr starke Verbindung, auch wenn man das auf den ersten Blick gar nicht so merkt. Diese, sagen wir, japanische Atmosphäre mit all ihren wunderschönen Farben und ihrer Sanftheit finde ich in der französischen Musik wieder. Das gilt übrigens nicht nur für die japanische und französische Kultur. Kulturen vermischen sich, schauen Sie Dvoraks 9. Symphonie, wo sich amerikanische Volksweisen mit tschechischer Atmosphäre vermischen. Und in wie vielen europäischen Werken findet man Jazz-Einflüsse.

Bereits 1930 wurde in Tokyo die allererste Aufnahme der 4. Symphonie von Gustav Mahler gemacht. Wann hat die klassische Musik Europas denn Japan erobert, ein Land, das ja eine komplett andere Musikkultur hat?
Eigentlich mit dem Beginn der Meiji-Ära um 1870. Damals begann Japan, das ja vorher quasi von der Welt abgeschnitten war, sich zu öffnen, und fremde Kultureinflüsse aufzusaugen. So auch die Musik. Man merkte, dass man in Sachen Musik weit hinterherhinkte und verbannte irgendwann die eigene Kultur. Die europäische klassische Musik wurde hochgepriesen und seither hat sie ihren festen Platz in der japanischen Kultur. Aber schauen Sie, selbst unsere eigene Kleidung und so vieles, was das japanische Volk ausmacht, wurde zugunsten westlicher Einflüsse aufgegeben. Erst jetzt besinnt man sich wieder nach und nach auf die eigenen Wurzeln und beginnt, das japanische Kulturgut zu schätzen. Auf der anderen Seite wiederum ist Japan sehr stark in anderen Kulturen präsent, wie eben in Frankreich.

Sie hatten ein sehr gutes Verhältnis zu Seiji Ozawa.
Ja, er war aber nicht, wie das so oft angenommen wird, mein Lehrer. Ich habe nie bei ihm studiert, sondern bei Ken-Ichiro Kobayashi. Ozawa war eher mein Mentor. Ich habe ihn 2010 kennengelernt, als er schon Krebs hatte und sehr krank war. Er hat mir damals die Gelegenheit gegeben, sein Saito Kinen Orchestra regelmäßig zu dirigieren und stand mir auch immer mit Rat und Tat zur Seite. Natürlich habe ich versucht, ihn zu imitieren (lacht), aber das führte zu nichts. Einen Seiji Ozawa konnte man nicht imitieren. Aber er half mir, meinen eigen Stil und meinen eigenen Weg zu finden. Und er lud mich ein, bei seiner Seiji Ozawa International Academy Switzerland Kurse zu geben, was ich bis heute mache. Seiji kam dann auch oft zu meinen Konzerten und hat mir Tips gegeben. Wir hatten dann auch eher eine sehr persönliche Beziehung, weniger eine professionelle. Aber gerade der Mensch Seiji Ozawa hat mich sehr geprägt. Er war jemand, der unwahrscheinlich viel lernte. Er stand morgens schon um fünf Uhr auf, um dann während vier Stunden die Werke zu studieren, die er aufführen sollte. Er kannte alle diese Stücke nachher auswendig.

Ozawas Academy ist aber kein Trainingslager für Dirigenten.
Nein. Was eigentlich erstaunt. Er als Dirigent hat eine Academy für Streicher in Genf gegründet und nicht für Dirigenten. Denn Seiji Ozawa wollte selbst noch von der Kammermusik lernen. Das interessierte ihn sehr. Für ihn war das Streichquartett der wirkliche Kern der Musik, von dem alles ausgeht. Wenn ich dort unterrichte, bin ich ebenso Dirigent wie Student. Ich sitze oft in den Kursen und höre mir an, wie andere Kollegen mit den Streichern arbeiten. Für Ozawa war das Atmen der Musik enorm wichtig. Die Musik sollte atmen und die Musiker sollten einen gemeinsamen Atem finden.

Wie Sie schon sagten, sind Sie nicht nur Chefdirigent zweier Symphonieorchester, sondern auch Chordirigent. Beeinflusst das eine das andere?
Oh ja, und das ist für meine Arbeit sehr hilfreich. Der Chor ist eigentlich nur ein einziges Instrument und hier muss ich sehr viel mit der Atmung arbeiten und den richtigen Ton und den richtigen Klang zu erzeugen. Es geht um den natürlichen Atem. Nur wenn sie den finden, können Sie einen homogenen Chorgesang erzeugen. Und dieses natürliche Atmen versuche ich dann auch beim Orchester zu erzeugen. Die Musik muss atmen, das gelingt aber nur, wenn der Musiker natürlich und unverkrampft agiert. Und das soll sich dann bestenfalls auf das ganze Orchester übertragen. Umgekehrt muss man als Orchesterdirigent dem musikalischen Geschehen einen Rahmen geben, man muss lernen, Instrumentengruppen voneinander abzusetzen, um den richtigen Klang zu bekommen. Hier wird und dynamisch anders gearbeitet, oft klarer als beim Chor. Und diese Abstufungen, dynamischer, klanglicher oder farblicher Art kann ich als Orchesterdirigent dann vielleicht leichter auf den Chor übertragen, so dass es in diesem homogenen Gesamtklang trotzdem hörbare Abstufungen gibt. Und wenn alles optimal aufeinander abgestimmt ist, dann kann man eine wirklich gute Aufführung erleben, bei der sich Chor und Orchester auf natürliche Weise optimal ergänzen und klanglich vermischen. Musikmachen, Singen, Aufeinander hören, das hat alles sehr viel mit Natürlichkeit und Atmung zu tun.

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