Es war ein ereignisreiches Konzert, mit dem gestern im Bernhard Simon-Saal des Grand Resort im schweizerischen Bad Ragaz das VP Bank Classic Festival eröffnet wurde. Remy Franck berichtet vom spannenden Geschehen.
Die Geigerin nuanciert mit sorgenumwölktem Gesicht eine Passage, die Cellistin legt die Stirn in Falten, um eine Phrase nachdrücklichst zu gestalten, der Kontrabassist schaut liebevoll auf die Saiten seines Instruments, um ihm raffinierteste Klänge zu entlocken: im Ensemble Esperanza, das beim Eröffnungskonzert der 10. Ausgabe dieses unter dem Titel Next Generation gestarteten Festivals spielte, gibt es niemanden, dem man nicht absehen würde, mit welchem Engagement und mit wieviel Seele musiziert wird, und hörbar wird auch, mit welcher Präzision Konzertmeisterin Chouchane Siranossian ihre Truppe zusammengeschweißt hat. Diese jungen Musiker haben an diesem Abend einmal mehr ihr hohes Niveau bewiesen, sie haben als regelrechte Klangkultur-Aktivisten die Bühne besetzt und das Publikum im Saal anderthalb Stunden lang in Schach gehalten.
Mit Carl Philipp Emanuel Bachs Zweiter Streichersinfonie in C-Dur, Wq 182, begann das Programm. Den ersten und den letzten Satz spielten die Esperanzas gestisch und ausdrucksvoll, mit einem raffinierten Gespür für Rhythmik und Klangkohärenz. Das Besondere war wohl der zweite Satz, das Poco Adagio dieses Konzerts, das CPE Bach im Auftrag von Baron van Swieten komponierte hat. Er möge seiner Kunst freien Lauf lassen, hatte van Swieten gesagt, « ohne auf Schwierigkeiten Rücksicht zu nehmen, die daraus für die Ausübung notwendig entstehen müssen.“
Und CPE Bach schrieb einmal, weil « ein Musickus nicht anders rühren kann, er sey dann selbst gerührt, so muß er nothwendig sich selbst in alle Affeckten setzen können, welche er bey seinen Zuhörern erregen will ». Dem entsprechend kam es im Poco Adagio zu diesem affektreichen Notenmaterial, das man auch so sehen kann, wie es Esperanza gestaltete: Ein brutaler Schläger schlägt auf eine Gruppe Schwacher ein, die winselnd und sich vor Schmerzen krümmend vor ihm liegen und auf die er erbarmungslos eintritt. Brutale Bilder!
Das Cellokonzert A-Dur, mit dem sich danach Artist in Residence Christoph Heesch vorstellte, ist nicht ganz so dramatisch, aber sein zweiter Satz, das Largo, wurde in der Interpretation, die Heesch zusammen mit Esperanza erarbeitet hatte, zu einem Lamento, wie es bei vokalem Händel nicht bewegender sein könnte.
Friedrich Gottlieb Klopstock lobte CPE Bach nicht ohne Grund bei seiner Grabrede als « tiefsinnigen Harmonisten, der die Neuheit mit der Schönheit vereinte ». Gerade diese Klangkultur zeichnete auch das Musizieren von Christoph Heesch und Esperanza aus.
Ein anderes Highlight des Abends, bei dem sich Dmytro Choni als zweiter Artist in Residence mit den Klangkultur-Aktivisten von Esperanza vereinte, war Ludwig van Beethovens Drittes Klavierkonzert in der Fassung für (hier erweitertes) Streichquintett.
Choni zeigte, dass man auch ohne Klangrecherche, in einer durchaus traditionellen Sichtweise mit viel Spannung und klarem Spiel das Publikum faszinieren kann. Kein Mucks war während des fast vierzig Minuten langen Konzerts im Saal zu hören.
Lange, auf einem Atem geformte Phrasen, die der Musik ein unerhörtes Pulsieren gaben, zeichneten den ersten Satz aus, in dem die Kadenz eine brisante Dramatik erhielt, mit einem zwingenden Auf- und Abbau von Spannung.
Mit dem Ensemble Esperanza ergab sich auch im langsamen Satz ein spannender Dialog, während das Finale sich durch viel Drive und Rhetorik auszeichnete.
Kein Zweifel, wer Beethovens Musik so nuanciert und kommunikativ formulieren kann wie Choni, ist ein großer Beethoven-Interpret, und man darf auf seine Interpretationen der 32 Sonaten gespannt sein. Ich bin überzeugt, dass er diese mit markanten Interpretationen wird abliefern können, so wie ich auch davon überzeugt bin, dass in vielen Jahren einmal bei Wikipedia zu lesen sein wird, Choni sei einer der bedeutendsten Pianisten der ersten Hälfte des 21. Jahrhunderts, ein dienender Musik, der ohne Manierismen die Musik in ihrer Natürlichkeit zum Erlebnis werden lässt.
Dem begeisterten Publikum schenkte er als Bis eine fulminante Darbietung von Soirée de Vienne Alfred Grünfelds brillanter Konzertparaphrase über Die Fledermaus.