Man könnte es recht kurz machen und sagen: Besser kann man Mozarts Requiem nicht musizieren. Aber das wäre dann doch zu kurz gegriffen, denn zum einen verdient diese grandiose Interpretation durch den Gutenberg-Kammerchor und das Neumeyer Consort sowie die Solisten Chisa Tanigaki (Sopran), Rebekka Stolz (Alt), Fabian Kelly (Tenor), Christian Wagner (Bass) unter der Leitung von Felix Koch schon allein deswegen eine nähere Betrachtung. Und zum anderen hat Mozarts Requiem durch die kluge Ergänzung des Lacrimosa mit einer stimmigen Amen-Fuge durch Birger Petersen eine schlüssige und vor allem überzeugende Form gefunden. Außerdem sind auf dieser Rondeau-Produktion noch zwei weitere Stücke zu hören: Im Anschluss an das Mozart-Requiem erklingen Georg Joseph Voglers Begräbnismusik für Louis XVI. sowie ein De Profundis von Antonio Salieri.
Aber der Reihe nach: Das Hauptwerk ist Mozarts Requiem, für das Dirigent Koch mit seinem Gutenberg-Kammerchor ein semiprofessionelles Ensemble aufbietet, das den Vergleich mit den besten Profis hier keinen Augenblick zu scheuen braucht. Wie bereits mit seiner ebenfalls bei Rondeau erschienenen Debüt-CD mit Bachs Himmelfahrtsoratorium besticht der Chor durch eine in allen Registern ausgewogene Besetzung, genaue Diktion sowie klangliche Transparenz, die nie bemüht klingt. Im Gegenteil: Selbst in Kräfte zehrenden Fortissimo-Passagen hört man einen gesunden wie entspannten Chorton. Das Dies irae treibt den Puls in die Höhe genauso wie die Männerstimmen im Confutatis, worauf die Damen des Chores so engelsgleich entrückt antworten, dass es einen zutiefst berührt. Vor allem der Sopran klingt knabenhaft-silbrig und damit bei aller Präsenz stets angenehm flexibel.
Das Solistenquartett ist nicht nur ebenfalls perfekt austariert, sondern auch gleich ein beruhigendes Versprechen – sowohl ihnen als auch dem Publikum gegenüber: Sämtliche Künstlerinnen und Künstler sind noch jung an Jahren und stehen mithin am Beginn einer vielversprechenden Karriere. Alle vier Stimmen legen eine faszinierende Nähe an den Tag, ihr individueller Brillanz-Klang ist sowohl im Solopart als auch im durchhörbaren Quartett ausgezeichnet: Tanigakis leuchtender Sopran, Stolz‘ gehaltvoller Alt, Kellys elektrisierender Tenor und Wagners kerniger Bass sind wahre Glücksgriffe für diesen Mozart.
Mit dem Neumeyer Consort haben Solisten und Chor dabei einen Partner, der an Wohlklang kaum zu überbieten ist. Wenn man es etwas blumig formulieren möchte: Dieser Ton erinnert an das Streicheln eines weichen Katzenfells oder den Geschmack kühler, süßer Schlagsahne. Allein schon, wie samtig die Bassett-Hörner den Beginn gestalten, nimmt einen sofort gefangen – und Streicher sowie Holz- und Blechbläser tun ihr Übriges, damit sich dieser packende Griff bis zum Schlussakkord nicht lockert. Wie gesagt: Besser kann man Mozarts Requiem nicht musizieren.
Dass es hier nun in einer komplettierten Form zu hören ist, die mehr als überzeugt, gerät dabei fast zur Nebensache: Die kluge Ergänzung der fehlenden Amenfuge im Lacrimosa klingt derart schlüssig und à la Mozart, dass sie sich wie selbstverständlich in das Gesamtwerk einfügt. Hierfür bediente sich der Musikwissenschaftler Birger Petersen eines 1960 aufgetauchten Skizzenblatts von der Hand Mozarts, das in seinen Augen eindeutig dem Requiem und dem fehlenden Amen zuzuordnen war und alle nötigen Informationen für die Anlage einer polyphonen Komposition enthält, wie sie Mozart in seinen großen kirchenmusikalischen Werken projektiert hatte: Das hier notierte Material entspricht trotz einiger Unterschiede in Metrum und Tempo der Basis für die Kyrie-Fuge, so dass sich Petersen in der Architektur ‘seiner’ Fuge in der Kombination der Themen oder in der Tonartenabfolge an Mozarts Vorlage orientieren konnte. Für die Instrumentation diente dabei die Arbeit Süßmayrs als Leitfaden, herausgekommen ist eine stabile, tragende Mittelsäule, ja: ein Schlussstein.
Doch nach Mozart ist auf dieser CD noch nicht Schluss: Der (vom Komponisten des Requiems einst gering geschätzte) Georg Joseph Vogler schrieb eine Begräbnismusik für Louis XVI., bei der das Neumeyer Consort in reiner Bläserbesetzung zu hören ist – natürlich durchgehend auf alten Instrumenten. Das ruhige Zusammenspiel von Holz und Blech klingt vielschichtig und kommt im Marche funèbre vornehm als würdevolles Geleit daher, während das Adagio mit gefühlvoller Zurückhaltung punktet. Wie dieses Stück ist auch das De Profundis von Antonio Salieri eine Weltersteinspielung, in der der Gutenberg-Kammerchor nochmals sein Können unter Beweis stellt. Der kurze Salieri ist dabei weit mehr als eine Ergänzung: nämlich ein feierlicher Abschluss des schon durch Voglers Begräbnismusik weitergedachten Requiems Mozarts.
One could make it quite short and say: Mozart’s Requiem cannot be performed better. But that would be too short, because on the one hand this grandiose interpretation by the Gutenberg Chamber Choir and the Neumeyer Consort as well as the soloists Chisa Tanigaki (soprano), Rebekka Stolz (alto), Fabian Kelly (tenor), Christian Wagner (bass) under the direction of Felix Koch deserves a closer look for that reason alone. And secondly, Mozart’s Requiem has found a coherent and, above all, convincing form through Birger Petersen’s clever addition of a coherent Amen fugue to the Lacrimosa. There are also two other pieces on this Rondeau production: Georg Joseph Vogler’s funeral music for Louis XVI and a De Profundis by Antonio Salieri.
But in order: The main work is Mozart’s Requiem, for which conductor Koch, with his Gutenberg Chamber Choir, musters a semi-professional ensemble that need not fear comparison with the best professionals here for a moment. As with his debut CD with Bach’s Ascension Oratorio, also released by Rondeau, the choir impresses with its well-balanced instrumentation in all registers, precise diction and tonal transparency that never sounds strained. On the contrary: even in power-sapping fortissimo passages, one hears a healthy and relaxed choral singing. The Dies irae raises the pulse just as much as the male voices in the Confutatis, to which the ladies of the choir respond in such an angelically enraptured manner that it touches one deeply. The soprano in particular sounds boyishly silvery and thus, for all its presence, always pleasantly flexible.
The quartet of soloists is not only also perfectly balanced, but also immediately a reassuring promise – both to them and to the audience: All of the artists are still young in years and are thus at the beginning of a promising career. All four voices display a fascinating closeness, their individual brilliance sounding excellent in the solo part as well as in the audible quartet: Tanigaki’s luminous soprano, Stolz’s substantial alto, Kelly’s electrifying tenor, and Wagner’s pithy bass are true godsends for this Mozart.
In the Neumeyer Consort, soloists and choir have a partner that can hardly be surpassed in euphony. If one wants to put it in flowery terms: this sound is reminiscent of the caressing of a soft cat’s fur or the taste of cool, sweet whipped cream. The velvety way in which the basset horns open immediately captivates the listener – and the strings, woodwinds and brass do their part to ensure that this gripping grip does not loosen until the final chord. As I said: Mozart’s Requiem cannot be performed any better.
The fact that it can now be heard here in a completed form that is more than convincing almost becomes a secondary matter: the clever addition of the missing Amen fugue in the Lacrimosa sounds so conclusive and à la Mozart that it fits into the overall work as a matter of course. For this, the musicologist Birger Petersen made use of a sketch sheet by Mozart’s hand that came to light in 1960, which in his eyes could clearly be assigned to the Requiem and the missing Amen, and which contains all the necessary information for the layout of a polyphonic composition as Mozart had projected it in his great church music works: Despite some differences in meter and tempo, the material notated here corresponds to the basis for the Kyrie fugue, so that Petersen was able to follow Mozart’s model in the architecture of ‘his’ fugue in the combination of themes or in the sequence of keys. For the instrumentation, Süßmayr’s work served as a guideline; the result is a stable, supporting central pillar, indeed: a keystone.
But this CD does not end after Mozart: Georg Joseph Vogler (once held in low esteem by the composer of the Requiem) wrote funeral music for Louis XVI, in which the Neumeyer Consort can be heard in pure wind instrumentation – naturally on old instruments throughout. The quiet interplay of woodwind and brass sounds multi-layered and comes across as a dignified escort in the Marche funèbre, while the Adagio scores with soulful restraint. Like this piece, Antonio Salieri’s De Profundis is a world premiere recording in which the Gutenberg Chamber Choir once again demonstrates its skills. The short Salieri is far more than an addition here: it is a solemn conclusion to Mozart’s Requiem, which has already been taken further by Vogler’s funeral music.