Diogenio wer? Diogenio Bigaglia? Laut Booklet der CD aus dem Hause Rondeau ist über diesen Komponisten, der von 1676 bis 1745 lebte und im Kloster San Giorgio Maggiore nahe Venedig wirkte, wenig bekannt; seine Werke seien jedoch « in zahlreichen europäischen Musikarchiven vertreten“. Wo sie allerdings eher schlummern: Mit der Weltersteinspielung des ‘Miserere’ und der ‘Missa in F’ hebt Jörg Breiding mit seinem Knabenchor Hannover, dem ‘Ensemble la festa musicale’ und einem handverlesenen Solistenquintett nun nicht weniger als einen musikalischen Schatz.
Entdeckt und erschlossen wurde die Musik Bigaglias von Lajos Rovatkay, bis 1998 Professor für Cembalo und Orgel an der Musikhochschule Hannover, deren Studio für Alte Musik er ebenfalls lange Jahre leitete. Mitte der 1970er Jahre stieß Rovatkay eher zufällig auf das kirchenmusikalische Œuvre, das der Musikwelt auf dieser CD nun mit zwei wundervollen Werken exemplarisch vorgestellt wird. Er informiert auch im Booklet der CD umfassend über die Musik Bigaglias, die dem Barock verhaftet ist, doch stilistisch auch schon Zukünftiges erahnen lässt.
Das Miserere eröffnet das Programm: kurze Nummern, die abwechslungsreich die Qualitäten von Chor und Solisten gleichermaßen zur Geltung bringen. Die gleichermaßen konzipierte Missa in F besteht nur aus dem Kyrie und dem Credo. Ergänzt wird die Musik Bigaglias geschmackvoll durch das Credo in F von Antonio Lotti, wobei die CD mit dem achtstimmigen ‘Crucifixus’ eine vokale Auster kredenzt, in deren Glanz sich nicht nur das folgende und lebendig musizierte ‘Et resurrexit’ spiegelt.
Man staunt gleich mehrfach: Ob der Schönheit der – im Fall Bigaglias – bisher buchstäblich unerhörten Musik; und natürlich über ihre Wiedergabe vor allem durch den Knabenchor Hannover, der beweist, dass er in der ersten Liga der Ensembles seiner Art ganz oben mitspielt und fraglos zu einem der besten deutschen Knabenchöre zählt. Schlank (und mit einem kraftvollen Alt besetzt – dies ist in Knabenchören ja immer so eine Sache) begeistern die Chorstimmen durch ihren volltönenden Klang, der nicht nur in der an Fugen reichen Musik durch eine exzellente Durchhörbarkeit besticht.
Weite Bögen, dichte Klanglichkeit, genaue Diktion, knabenhaftes Timbre und juvenile Männerstimmen, kurz: ein sahniger Gesamtklang in allen dynamischen Schattierungen – Breiding und seine Jungs überzeugen auf ganzer Linie. Dass das Hören dieser CD zum echten Erlebnis wird, liegt natürlich auch am delikat-lebendigen Spiel von ‘la festa musicale’ und dem durchweg harmonischen Gesang der Solostimmen, die sich im Duett oder Quartett perfekt mischen und in ihren Solopartien glänzen – stellvertretend sei Magdalene Harer mit ihrem glockenhell tönenden Sopran hervorgehoben. All das bildet die auch technisch makellose Aufnahme in der weit tragenden Akustik der Kirche des Stephansstifts Hannover vortrefflich ab.