Alfred Huber, Sie untersuchen mit Studierenden des Studiengangs Medientechnik und Design Bachelor der FH Oberösterreich in Hagenberg die Frage, ob nicht-vokale klassische Musik eine politische Botschaft vermitteln kann. Gleichzeitig schreiben Sie an einer Symphonie zum Thema Widerstand gegen den Faschismus. Damit haben Sie die Frage ja eigentlich schon beantwortet. Oder ist die Sache nicht so einfach?
Die Frage ist zu allererst, was ich grundsätzlich übermitteln will und was ich übermitteln kann. Kunst kann ja keine Fragen beantworten, sondern bestenfalls stellen. Was kann Musik im Wesentlichen aussagen? Wir denken, dass eine explizite Aussage mittels Musik gar nicht möglich ist. Und hier kommt die FH Oberösterreich, an welcher mein Sohn Johannes studiert, ins Spiel. Zur Symphonie entsteht gleichzeitig auch ein Film, sozusagen die Illustration des Inhalts. Die visuelle Kunst soll also Informationen liefern, welche die Musik nicht übermitteln kann. Dies führt auch zu ständigen Diskussionen im Team und mit den begleitenden Professoren der FH. Wir sind ursprünglich vom Postulat ‘Prima la musica’ ausgegangen. Mittlerweile wird dies aber eher in Frage gestellt, weil der Film möglicherweise ohne Musik nicht allein stehen kann, was aber zuerst gar nicht geplant war.
Dadurch muss aber auch die politische Aussage von Film und Musik neu diskutiert werden. Wenn die visuellen Informationen politisch auch nicht mehr explizit sind, dann liegen wir ganz schnell bei den verschlüsselten Botschaften von Shostakovich. Wir befinden uns also mitten in einer regen Debatte zu dem Thema.
Nun hat es politisch motivierte Instrumentalmusik ja schon öfter gegeben, und das lange, ehe Schulhoff seine kommunistische Agitationsmusik komponierte oder Shostakovich in seinen Werken, wie Sie gerade sagten, verschlüsselte Botschaften inkludierte. Für wie relevant halten sie solche Musik?
Wenn Sie die politische Relevanz meinen, halte ich diese in den genannten Fällen für eher gering. Wie ich auf unserer Homepage schreibe, glaube ich, dass zumindest in unserem Fall ein gehäuftes Maß an Psychohygiene zum Tragen kommt. Wir wollen uns zuallererst einmal klar werden, was Faschismus, auch in seiner neuen Form, für uns bedeutet. Um das Jetzt zu verstehen, muss man aber in die Vergangenheit gehen. Vielleicht finden sich ja dort einige Ansätze für ein tieferes Durchdringen des Problems. Inspiration findet man auf jeden Fall. Aber ob sich dabei schon grundsätzlich politische Relevanz ergibt, bleibt dahingestellt.
Wie legen Sie sich als Komponist an, dass die politischen Inhalte auch wahrgenommen werden? Oder anders gefragt: Welche Mittel benutzen sie, um eine politische Botschaft musikalisch auszudrücken?
Zunächst gehe ich von meiner Rolle als Komponist aus. Ich bin kein Sozialkritiker, der Antrieb für meine Musik liegt eher in meinen tief verwurzelten Ängsten. Ich versuche, mir darüber Rechenschaft zu geben, indem ich mir grundsätzliches menschliches Fehlverhalten vorstelle und dann danach frage, ob ich in bestimmten Situationen nicht auch dazu neigen würde. Die Angst davor ist der eigentliche Trigger für meine Musik. Ich tu mir aus diesem Grund auch schwer damit, entspannte Musik zu schreiben.
Man hat gesagt, Shostakovich habe mit dem 2. Satz seiner 10. Symphonie Stalin porträtiert. Wie würden Sie denn Putin musikalisch darstellen?
Shostakovich hat Stalin ja persönlich gekannt. Aber ganz ehrlich, eine so mittelmäßige Persönlichkeit wie Putin interessiert mich absolut nicht. Wenn ich allein sein Interview mit Tucker Carlson hernehme, hab ich nach 15 Minuten abgeschaltet. Seine historischen Einlassungen sind so unterirdisch, dass sie eigentlich keines Streiches wert sind. Die können maximal ein armes Mütterchen im hinteren Ural beeindrucken. Da könnte ich ja gleich ‘Mein Kampf’ vertonen, das ist ebenso lächerlich.
Inwieweit ist ein Lamento über einen gewissen Tatbestand, beispielsweise das Leid und die Zerstörung, die ein Krieg bringt, auch eine politische Aussage?
Viel interessanter ist, warum es dazu kommt. Über Krieg und Zerstörung wurde schon so viel geschrieben. Die Conditio Humana, die alles erst möglich macht, ist viel beunruhigender, weil sie Krieg und Zerstörung immer wieder triggert.
Beneiden Sie eigentlich Opernkomponisten, die viel leichter politische Botschaften in ihre Werke einbringen können?
In gewisser Weise schon, weil die Übermittlung von politischen Botschaften soviel leichter funktioniert. Auf der anderen Seite ist die Gefahr natürlich viel größer, banal zu werden. Vielleicht haben wir ja gerade deshalb den Ansatz mit dem Film gewählt. Es ist schon eine Herkulesaufgabe, absolute Musik in einen expliziten Inhalt zu verwandeln.
Verdi war in Italien als Opernkomponist und als Mensch eine wichtige Figur des Risorgimento. Glauben Sie, dass ein Komponist heute eine derartige Rolle spielen kann?
Zum Schluss war er ja sogar Politiker. Es wäre schon schön, hätten wir eine derartige Integrationsfigur. Ein allseits geachteter Künstler, der auch politische klare Ideen hat.
Wie weit darf ein Musiker sich überhaupt politisch engagieren? Oft wird gesagt, Kunst und Politik sollten getrennt bleiben.
Ist nicht alle Kunst auch politisch? Schon indem sie die Grundsätze menschlichen Handelns thematisiert und das tut sie zwangsläufig, äußert sich Kunst politisch.
Sie untersuchen auch die Frage der Vermittlung klassischer und insbesondere moderner klassischer) Musik an die Jugend. Man könnte meinen, rhythmische und laute Musik seien dazu am besten geeignet. Ich selbst habe in Kinder- und Jugendkonzerten (die ich von 1971 bis 2010 veranstaltet habe) oft bemerkt, dass gerade langsame und gefühlvolle Musik das junge Publikum besonders ansprach. Auf der andern Seite ist ‘schnell und laut’ heute ein Erfolgsrezept für Dirigenten, um ein Publikum aus den Stühlen zu reißen. Was sagen Ihre Erfahrungen?
Ich denke, dass weder laute noch langsame, gefühlvolle Musik per se Aufmerksamkeit geriert. Entscheidend ist, dass die jungen Zuhörer durch außermusikalische Faktoren lernen, Interesse für innermusikalische Vorgänge zu entwickeln. Nehmen Sie das einfache Beispiel von Beethovens 5. Symphonie. Wer von uns hat als Kind nicht den Begriff ‘Schicksalssymphonie’ gehört. Allein die Namensgebung, ob berechtigt oder nicht, schafft eine gewisse Erwartungshaltung. Das ist ein klassischer außermusikalischer Faktor. Wenn die Symphonie ‘uns dann hat’, folgen Interesse an innenmusikalischen Dingen, wie Motiv, Form, Harmonik etc. Ganz ähnlich möchten wir den Weg vom außermusikalischen zum innenmusikalischen Faktor über den Film abkürzen. Wir werden ja sehen, ob uns das gelingt.