Aus dem Fundus des Pianisten Michael Korstick übernimmt Gramola dieses konzeptuell intelligent zusammengestellte Programm, das 1999 bei Ars Musici erschien. Generell zeigt diese CD, dass Michael Korsticks Anschlagskultur nicht genug gerühmt werden kann. Allerdings verdient die Anschlagsintelligenz genau so viel Lob. Jede Note ist hier sicherlich in ihrer Bedeutung präzise vorausberechnet und in Färbung und dynamischen Werten genau geplant. Dennoch wirkt Korsticks Spiel nie steril oder akademisch. Seine Planungen enthalten nämlich so viel Sinn für den Klang, dass man diese Platte als ein einziges großes Klangfest bezeichnen muss. Das pure Hörvergnügen und die Erlebniskraft der Musik werden nicht durch die Planungsarbeit eingeschränkt, ganz im Gegenteil.
Was Korstick durch Akzentverschiebungen, durch Ab- und Aufwertung, durch Umgewichtungen, aber auch durch eine bestechende Klarheit an Stimmung und Bildhaftigkeit erreicht, ist phänomenal. Korstick kann sanft und zart spielen, und genau so wuchtig und stählern. Er setzt das Pedal in einem von den meisten Pianisten gar nicht erreichten Maße in der Farbsteuerung ein und erzielt damit Effekte, die einen an Verlauftechnik in der Malerei erinnern. Auch in der Verdichtung oder der Auflösung von Klängen zeigt er sich als absoluter Meister. So viel Relief wie bei Korstick hatte 1999 keine von uns im Vergleich gehörte Aufnahme der ‘Bilder einer Ausstellung’, und es ist auch seither keine solche hinzugekommen.
Das genial eigenwillige und von der ersten bis zur letzten Minute spannende Spiel des Pianisten wird natürlich Puristen zu Kritik reizen. Es wird diese Leute auch ärgern, dass er (wie Ravel in der Orchesterfassung) die Promenade zwischen den Bildern ‘Samuel Goldenberg und Schmuyle’ und dem ‘Marktplatz von Limoges’ weglässt, um den Spannungsbogen, wie der Interpret sagt, nicht zu unterbrechen.
Heikler ist vielleicht seine Textänderung am Schluss von ‘Der Gnom’. Heikel, weil Textänderungen gerne als Sakrileg angesehen werden, auch wenn die Wirkung phänomenal ist, so wie in dem hier produzierten, von Mussorgsky nicht komponierten, aber von Korstick hinzu geschriebenen Klangrausch, der die diesem Bild so tatsächlich den richtigen musikalischen Schluss zu geben scheint. Korstick rechtfertigt das mit Freiheiten, die die Pianisten des ausgehenden 19. Jahrhunderts von den Komponisten verlangten und die ihnen auch zugestanden wurden, nicht zuletzt in der Schule Franz Liszts (so wie es die Komponisten schon weitaus früher mit den Verzierungen im vokalen Bereich handhabten). Dass Korstick es damit ernst meint, zeigt seine Bilder-Interpretation, die uns die ‘Bilder’ nicht oberflächlich zu hören gibt, nicht wie in einer Illustrierten, sondern vertiefend, als Panoptikum im ursprünglichen Sinne der Gesamtschau.
In den Werken, die dann folgen, in der ‘Doumka’ (Scène rustique russe) von Piotr I. Tchaikovsky, der Etüde Nr. 10 (Lesghinka) von Sergei Liapunov und der 8. Klaviersonate von Sergei Prokofiev ist blendende Virtuosität ebenso angesagt wie rührende Schlichtheit. Korstick fasziniert auch hier pianistisch in höchstem Maß.
Though very carefully thought, Michael Korstick’s performances are spontaneous and gripping by their phenomenal pianism.