Arien gibt es keine. Das Orchester ist groß besetzt, elektronische Klänge werden zugespielt. Und trotzdem handelt es sich um eine Oper? Zumindest sagt der Komponist Andrea Lorenzo Scartazzini sein Stück mit dem Titel ‘Edward II’ sei eine Oper in zehn Szenen. Ja, trotz dieser Abweichungen ist es eine Oper und was für eine!
Das Sujet ist ein altes, bisher nie verwendetes und trotzdem auch aktuell. Die Oper stellt das Geschehen als real dar, obwohl es partiell historisch nicht gesichert ist. Es geht um den englischen König Edward II., der zwar verheiratet war und einen Sohn hatte, den späteren König Edward III., aber ein Leben führte, das privat wie öffentlich, durch seine enge Beziehung zu Piers de Gaveston geprägt war. In der Oper ist sie eindeutig sexueller Natur. Edwards Frau war jedenfalls nur Staffage, die aber niemanden täuschte. Sie wiederum hatte ein Verhältnis mit Roger Mortimer. Diese beiden erwirkten die Abdankung des Königs und in der Oper seine Tötung.
In dieser Gemengelage beleuchtet das Stück sowohl reale Situationen als auch auf einer Traumebene die Kämpfe und Gedanken. Am Ende, als Edward im Kerker sitzt, geht eine heutige Touristengruppe, sozusagen auf einer anderen Zeitschiene, durch den Kerker und gruselt sich ob der mittelalterlichen Umstände, ohne die damals Anwesenden wahrzunehmen.
Das Sujet und die durchaus derbe sexuell erregte Sprache sind in der heutigen Zeit an und für sich keine Überraschung, für eine Oper aber vielleicht doch. Damit gelingt jedoch die Bezugnahme auf unsere Zeit, in der dieses Thema in einigen Staaten akzeptiert ist und in anderen nicht.
Wenn auch keine Arien komponiert wurden, so hat doch das Werk die Struktur einer Nummernoper klassischer Prägung. Und es bietet den Sängern neben den gesprochenen Passagen auch kantable Momente, in denen sie sich entfalten können. Eine wesentliche Bedeutung kommt dem Chor zu, der in verschiedenen Rollen auftritt.
Obwohl das Orchester groß besetzt ist und noch Geräusche und elektronische Klänge zugespielt werden, ist die Komposition so durchsichtig gestaltet, dass die Sänger, abgesehen von wenigen Augenblicken klanglicher Ballung, leicht durchdringen. Erleichtert wird ihr Singen auch dadurch, dass sich die Musik an und aus der Sprache entwickelt.
Der Schweizer Scartazzini hat eine eigene Musiksprache entwickelt, die viele Komponenten verbindet. Er setzt neben den Zuspielungen Aleatorik, Cluster und Vierteltöne ein, aber im Großen und Ganzen nutzt er tonale Bezüge hat und schafft somit trotz der modernen und teilweise heftigen Klänge eine dem breiteren Publikum zugängliche Musiksprache.
Die Aufnahme wurde mit der Uraufführungsbesetzung bei zwei Aufführungen gemacht. Sie lässt die große Qualität und Intensität erahnen. Das Orchester der Deutschen Oper Berlin, die Elektronik und die Sänger inklusive dem Chor werden von Thomas Sondergard nicht nur großartig zusammen gehalten, sondern präzise und transparent geführt und die Musik wird klangschön formuliert. Der Chor, der nicht nur singen, sondern auch zischeln und tuscheln muss, bewältigt diese Aufgabe bewundernswert.
Die Sänger und die eine Sängerin haben sich die Rollen erhörbar zu eigen gemacht und glänzen mit klarer und ausdrucksstarker verständlicher Artikulation. Leider fehlt einer Audioproduktion natürlich die visuelle Komponente, die wohl auch für die darstellerische Leistung herausragendes Lob verdient hätte. Das uneingeschränkte Lob trifft alle Beteiligten. Die Einzelkritik wird zugunsten des fantastischen Ensembles weggelassen.
Bleibt noch die Aufnahmetechnik zu erwähnen, die nahtlos die außerordentlichen Leistungen vervollständigt.
Andrea Lorenzo Scartazzini’s opera about the homosexuality of the English King Edward II is a powerful composition. The live recording from the Deutsche Oper Berlin shows a highly committed and outstanding team.