Linus Roth geht unbeirrt seinen Weg, den Weg eines verantwortungsbewussten Musikers, dem es um Klanglichkeit und Tiefenwirkung geht, nicht um Effekt. Einen starken Eindruck hinterlässt gleich das Shostakovich-Konzert: Roth spielt es hochexpressiv, den tiefen menschlichen Sinn des Werkes auslotend, wobei er die vielen ruhigen Passagen reflektiv, hier mit mysteriöser Unergründlichkeit, dort mit einem Hauch von Resignation gestaltet: da hält der Zuhörer mehr als einmal den Atem an.
Im virtuosen Allegro faszinieren die Kontraste zwischen sportiver Pointiertheit und lässigem Dahingleiten. Roth ist tatsächlich ein Phänomen, so reich ist sein Geigenspiel an Nuancen, an Farben, besonders aber an Flexibilität und an Bewegung. In Thomas Sanderling hat der Geiger einen idealen Partner gefunden, der dieses differenzierende Spiel total mitmacht.
Im Tchaikovsky-Konzert fällt bereits die konturierte und detailreiche Orchester-Einleitung auf. Sanderling führt das ‘London Symphony’ zu einer im Tempo eher zurückhaltenden, jedoch innerlich lebendigen Interpretation, die ohne Sentimentalität auskommt und doch auch gefühlsmäßig ergreift, weil hier auf Zwischentöne geachtet wird, weil die Musik nicht großflächig angelegt, sondern aus vielen kleinen Einzelteilen zusammengesetzt wird, so wie das auch bei Roth der Fall ist. Rubato, Akzente und Verzierungen konfrontieren den Hörer mit einer ungewohnten Interpretation, in der der erste Satz, ein Moderato, auch wirklich moderato bleibt und völlig natürlich klingt, weil Roth es fertigbringt, Kraft und Gefühl in optimaler Weise zu verbinden.
Die Canzonetta spielt der Geiger durchgehend mit Dämpfer, was eine sehr verhaltene und intimistische Stimmung ergibt, deren Ruhe eine probate Antwort auf die Hektik unserer Welt ist. Sanderling kleidet den zarten Geigenklang in ein stimmungsvolles Orchesterbild und huldigt mit dem Geiger dem Ideal einer Schönheit, wie sie uns fast nur noch die Musik vermitteln kann.
Umso kontrastreicher kommt das Allegro vivacissimo daher, voller Vitalität und fast burschikoser Virtuosität.
Diese CD ist empfehlenswert durch die meisterhafte, durch und durch künstlerisch anspruchsvolle Umsetzung der gespielten Konzerte Tchaikovskys und Shostakovichs, aber auch durch die interessante, kontrastreiche Koppelung der beiden so unterschiedlichen Werke. Übrigens spielt Linus Roth das Tchaikovsky-Konzert in der Henle-Urfassung, die noch andere Abweichungen von den üblicherweise gespielten Versionen enthält, und das Textheft spricht daher vorsichtig von einer Ersteinspielung dieser Version. Nicht nur dafür, sondern vor allem für den Mut, mit erfülltem Musizieren gegen den ‘Laut und schnell’-Mainstream zu schwimmen, bekommen Linus Roth und Thomas Sandelring von uns die Supersonic-Auszeichnung.