Eine der Großen im deutschen Musikgeschäft wird 65: Günter Hänssler, Chef von Hänssler Classic und Profil Edition Gunter Hänssler. René Brinckmann hat sich mit ihm unterhalten. Von der Redaktion kommt dazu ein herzliches Happy Birthday!

Günter Hänssler (c) Felix Broede

65 Jahre – davon bisher 45 ‘im Auftrag der klassischen Musik’ in verschiedenen Funktionen bei Labels, die stets auch den eigenen Familiennamen trugen: Das hört sich nicht nur nach Beruf, sondern nach Berufung an, oder?
Das ist eindeutig Berufung. Ich habe die Leidenschaft zum Beruf gemacht.

Was waren die besten Dinge/Zufälle, die Ihnen in Ihrem Leben bislang passiert sind?
Vor allem, dass ich in eine Familie geboren wurde, die hochgradig musikaffin ist. Ich habe viele Musikwissenschaftler und Verleger schon als kleiner Bub kennengelernt. Mein Name war schon durch meinen Großvater und Vater eingeführt.

Lassen Sie uns doch einmal eine Zeitreise machen: Wie ist der junge Günter Hänssler aufgewachsen, wie haben Sie vor allem zur Musik gefunden? Oder wurden Sie vielmehr an die Musik herangeführt?
Meine Eltern haben mir erfreulicherweise Musikalität vererbt. Großgeworden bin ich sowohl mit den Aufnahmen von Keith Jarrett als auch Karl Richter. Und ich durfte schon im Alter von fünf Jahren Flöte lernen. Außerdem war mein glasklarer Knabensopran früh vielfältig gefragt: In der Schule, der Kirche und der Gemeinde. Der Pfarrer wollte unbedingt, dass ich bei den Stuttgarter Hymnus-Chorknaben mitsinge. Weil wir sechs Kinder waren, hat meine Mutter verständlicherweise den logistischen Aufwand gescheut. Mein Vater war in den 60er- und 70er-Jahren stark im klassischen Notengeschäft engagiert, also durfte ich Bestellungen kommissionieren. Manchmal bekam ich dafür sogar ein wenig Geld. So lernt man Musik ‘en passant’ kennen.

Nun ist es eine Sache, Musik zu mögen, aber eine andere, Musik zum Beruf zu machen. Warum haben Sie sich zum Beispiel nicht selbst für eine Laufbahn als Musiker entschieden? Sie spielen selbst ein Instrument und die Voraussetzungen schienen ja gut zu sein, wenn man in einer Familie aufwächst, in der Musik eine zentrale Rolle spielt?
Das habe ich mich manchmal auch schon gefragt, aber ich denke, mit dem, was ich jetzt mache, liege ich richtig. Viele Musiker, die ich kenne, sind exzellent, weil sie unter anderem hochsensibel sind und alles sehr intensiv erleben. Wer auf Tour ist, der leidet oft an sich selbst, mit dem lauten Leben und den intensiven Eindrücken. Es sind nicht nur beglückende Momente, wenn man auf der Bühne gefeiert wird, es ist auch Stress. Ich kann in meinem Beruf viel besser steuern, was ich zulasse.

Günter Hänssler
(c) Felix Broede

Wie kam es dann dazu, dass Sie 1985 die Leitung der Schallplattenabteilung im Hänssler-Verlag übernommen haben, der ja damals auch noch sehr viel mit Büchern und Noten zu tun hatte.
Mein Vater hatte einen Marketingleiter, der mir Aufgaben im Schallplattenbereich gab, die sich exzellent verkauften. Dann wurde es zum Selbstläufer: ich wurde ständig von Künstlerinnen und Künstlern wegen Aufnahmeprojekten gefragt, und das war der Beginn des Hänssler Classic-Kataloges.

Hatten Sie 1985 schon mit dem Thema CD zu tun oder war das noch ‘Zukunftsmusik’?
Es ging zunächst im Wesentlichen um Vinyl-LPs, auch wenn es schon eine Handvoll CDs am Markt gab. Der Umstieg wurde tatsächlich von mir begleitet. Was bereits auf Vinyl vorlag, waren alle Bach-Kantaten und die geistliche Musik der Bachfamilie mit Helmuth Rilling. Die haben wir zuerst auf CD ausgewertet. Außerdem habe ich im Keller meiner Eltern mit einem Freund Aufnahmen mit christlichen Kinderliedern produziert, die sich super verkauft haben. Die erste Platte, die ich selbst kommerziell verantwortet habe, war mit dem Stuttgarter Hymnus – ‚Der Tag bricht an‘, Morgen- und Abendlieder. Der damalige Chorleiter Gerhard Wilhelm war ein Freund meines Großvaters, und entsprechend hoch waren die Erwartungen an mich. Kurz darauf machten wir mit dem Hymnus-Chor Bachs Johannes Passion mit Christine Schäfer als Solistin, die damals noch relativ unbekannt war.
Der christliche Liedermacher Manfred Siebald hatte meinem Vater zum 60. Geburtstag ein Lied geschrieben, das später auch Einzug in den Lokalteil des Gesangbuches von Württemberg gefunden hat: ‚Geh unter der Gnade‘. Bei der Aufnahme dieses Albums war ich dann über zwei oder drei Wochen in Los Angeles mit dabei. Das war die erste Studioproduktion, bei der ich vom ersten bis zum letzten Ton alles mitbekommen habe.
Die Veröffentlichungen ab 1987 waren dann immer schon auf Vinyl, CD und Musicassette gleichzeitig. Richtig kommerziell wurde es 1989 mit dem Exklusivvertrag mit Helmuth Rilling. Das erste Projekt war die Messa per Rossini, kurioserweise eine Uraufführung eines Werkes, das Verdi initiierte, als Rossini verstarb. Die zeitgenössischen Komponisten sollten je einen Requiem-Satz zu Ehren Rossinis komponieren. Sie bekamen sich in die Haare, und so war die Uraufführung erst 1988 in der Stuttgarter Liederhalle. Verdi hat seinen Beitrag Libera me dann für das eigene Requiem verwendet. Der Verkaufserfolg war so immens: wir verkauften 35.000 Platten, CDs, Musicassetten. Helmuth und Martina luden mich zu sich nach Hause ein und bekochten mich lecker. Ein weiterer Erfolg in ähnlicher Dimension war der Messiasin de r Mozart-Bearbeitung im Jahr 1991, aufgeführt in der Felsenreitschule in Salzburg. Der Fortgang ist bekannt und gipfelte in der großen Bach-Edition auf 172 CDs.

Hand auf’s Herz: Hat man sich als Vorbild für das Hänssler Classic-Logo damals an der Deutsche Grammophon orientiert? Oder was war sonst die Motivation für das gelbe Logo und die auch sonst relative gelb lastige Optik der Hänssler-Releases?
Als ich angefangen habe, erschienen die klassischen Veröffentlichungen alle noch unter dem Laudate-Label. Das habe ich ziemlich schnell geändert, weil der Name Hänssler durch die Notenausgaben bereits eingeführt war. Damals war die Marke erstmal rot.
Neben der Musik habe ich mich aber auch für Marketing interessiert. Tatsächlich ist gelb eine Farbe, die heraussticht und mit vielen anderen Farben gut kombinierbar ist.
Wir bekamen Post von der Deutschen Grammophon, die unsere Marke beanstandete. Ich beriet mich mit meinem Bruder, der Anwalt ist. Der meinte, dass er gelb per se nicht für schutzfähig hielte, nur in der Kombination mit dem Viereck wäre es möglicherweise problematisch. Also haben wir aus dem Viereck eine Raute gemacht. So haben wir also der Deutschen Grammophon mittelbar die jetzige Form unseres Logos zu verdanken.

Lief die Zusammenarbeit im Hause Hänssler zwischen Vater und Sohn eigentlich immer harmonisch ab oder gab es auch mal unterschiedliche Meinungen? Und falls Letzteres der Fall war, wie haben Sie sich dann letztlich doch geeinigt?
Wir hatten eine Dreiteilung: mein Vater betreute den Buch-Bereich, mein Bruder die Logistik und ich die Musik. Ohne meinen Vater hätte Helmuth Rilling keinen Exklusivvertrag mit uns unterschrieben, ohne die Rilling-Produktionen hätte wahrscheinlich Sir Neville Marriner mit der Academy of St. Martin-in-the-Fields nicht für uns aufgenommen. Mein Vater war ganz begeistert, was da entstand, das war sehr harmonisch. Ich bin ihm heute noch sehr dankbar. Ich hatte wirklich durch ihn wunderbare Möglichkeiten. Nur einmal war er etwas unzufrieden mit mir: er wollte, dass ich mit Christine Schäfer, Thomas Quasthoff und Matthias Görne Liedplatten aufnehme. Damals hatte ich noch nicht diese Erfahrung, und es passierte, was passieren musste, sie wurden von den Konzernen abgeworben.

Ich möchte einmal auf einige Künstler zu sprechen kommen, die über die Jahre zu Aushängeschildern der Hänssler-Labels geworden sind. Ein echter Klassiker ist da natürlich der Name Helmuth Rilling. Wie kam es zum Erstkontakt und wie ergab sich daraus letzten Endes eines der größten Aufnahmeprojekte in der Geschichte der klassischen Musik?
Den Erstkontakt hatte mein Vater: Da kam ein Student, der in Gächingen gerade einen Chor gegründet hatte, in den Hänssler‘schen Notenladen. Der Student hieß Helmuth Rilling und hatte leider nur wenig Geld. Da hat ihm mein Vater kurzerhand einen Chorsatz Noten geschenkt. 1976 haben sie eine Box mit der geistlichen Musik der Bach-Familie gemacht und erfolgreich verkauft. Und nachdem Rillings Kantatenprojekt beim Münchner Claudius-Verlag aus finanziellen Gründen ins Stocken geriet, hat Rilling meinen Vater besucht. Das war wohl der teuerste Waldspaziergang meines Vaters, denn mein Vater ist eingesprungen. Das war vor meiner Zeit.

Eine andere Zusammenarbeit, die über viele Jahre lief, war die mit der Academy of St. Martin-in-the-Fields. Zunächst mit Sir Neville Marriner, später mit seiner leider früh verstorbenen Nachfolgerin als Chefin der Academy, Iona Brown. Aus heutiger Sicht eine sehr mutige Personalie: Eine Dirigentin als Chefin eines der wohl bekanntesten Orchester seiner Zeit. Erzählen Sie doch mal: wie kam auch hier der Kontakt zustande, warum wollte Hänssler die Academy und warum wollte die Academy zu Hänssler?
Im positiven Sinne hatte Hänssler ein sehr klares Profil mit der geistlichen Chormusik. Wir belieferten damals große Kunden wie BMG direkt in New York, den Bertelsmann Club oder den Bücherbund. Die waren glücklich über die unkomplizierte Zusammenarbeit mit uns. Und sie fragten, ob wir nicht auch Symphonien und Konzerte liefern könnten. Also bin ich nach England geflogen und habe Sir Neville zu Hause besucht. Er war offen für eine Zusammenarbeit. Und er war offen für Vorschläge. Z.B. hat ihn mein Vater gefragt, ob er nicht das Violinkonzert von Bruch aufnehmen wollte. Ja, er wollte. Ich habe ihn gefragt, ob er die Orchester-Fassung von Edvard Griegs Hochzeit auf Troldhaugen aufnehmen würde. Es war nicht sein Herzenswunsch, und er musste erstmal das Notenmaterial organisieren lassen, aber er machte es. Sir Neville war ein sehr demütiger, freundlicher, bescheidener Mensch. Iona Brown war seine Konzertmeisterin, die er als Nachfolgerin aufbauen wollte.

Etwas enttäuschend finde ich ehrlich gesagt, dass der Katalog der Academy bei Hänssler vor allem eine Wiederholung von Repertoire darstellte, was das Orchester bei anderen Labels schon eingespielt hatte. War es der Plan, Repertoireklassiker, die bei den sogenannten Major Labels analog vorlagen, mit der Academy für Hänssler nun digital aufzunehmen?
Nein, das hatte in erster Linie mit unseren Repertoire-Lücken und unseren Kunden zu tun. Diese Werke sind aber seit Jahren unsere Umsatztreiber unter anderem bei den Streamingdiensten. Ja, Sir Neville hatte dieses Repertoire besonders mit der Academy sehr gut drauf, entsprechend war auch die Qualität. Und wie die Hochzeit auf Troldhaugen dokumentiert, waren es auch nicht nur Wiederholungen.

Anders als manch andere Labels scheint Hänssler nie feste Kooperationen mit bestimmten Toningenieuren eingegangen zu sein. Deswegen gibt es auch keinen spezifischen Hänssler-Sound, im Gegensatz zum Beispiel zu Labels wie Chandos, Telarc oder BIS, die ja gerade dadurch eine bestimmte Marktlücke besetzen konnten. Warum stand das für Hänssler offenbar weniger im Fokus?
Das hing und hängt wesentlich an den Künstlern, mit denen wir arbeiteten bzw. noch immer arbeiten. Helmuth Rilling, Sir Neville Marriner, Hans-Christoph Rademann, Christian Thielemann, Reinhard Goebel, Frieder Bernius, Gerd Schaller, Johannes Klumpp und Constantin Trinks – die wollen i.d.R. ihre eigenen Tonmeister, weil ihnen das viel Arbeit erspart. Die Tonmeister wissen, was diese Dirigenten anstreben und sie setzen es um. Das heißt sie müssen nicht selbst zum Beispiel ein Drei-Stunden-Werk mit Partitur abhören. In der Kammermusik bringen die Musiker Ihre Tonmeister sowieso meist selbst mit. Wir hatten nie eigene Tonmeister angestellt und konnten uns auch deswegen flexibel auf die Wünsche der Künstler einlassen. Bei einem Tonmeister-Label passt entweder die aufnehmende Person, oder der Künstler schaut sich anderweitig um.

Wir müssen auch auf das problematische Kapitel in der Firmengeschichte zu sprechen kommen: Das ursprüngliche Hänssler Classic-Label ging in den 2000er-Jahren Konkurs. Wie kam es dazu und wie kann man die Stimmung im Unternehmen zu der Zeit beschreiben?
Haenssler Classic war immer profitabel, solange ich dafür verantwortlich war. Aber die GmbH, die dahinterstand, ging aus ganz anderen Gründen insolvent, und somit betraf das auch das Label Hänssler Classic. Die Stimmung war von großer existenzieller Sorge der Mitarbeitenden geprägt.

Sie starteten dann schon kurze Zeit später Ihr eigenes Label Profil Edition. Was war Ihr Antrieb dabei, es noch einmal neu zu versuchen?
Musik ist einfach meine Leidenschaft, das war damals so und ist auch heute so. Es gibt Branchen, die rentabler sind, ich bin kein Mann für einen DAX-Konzern. Ich glaube, da unterscheide ich mich an diesem Punkt nicht sehr von meinen Kollegen der unabhängigen Labels. Da kann ich die eingangs gestellte Frage noch erweitert beantworten: Dass 2003 ehemalige Kunden von Bertelsmann kamen und mir den Neustart finanziell ermöglicht haben, das war für mich genauso ein Wunder wie der Rückkauf der Marke Hänssler Classic in den 2010er-Jahren.

Nun stelle ich mir vor: da gehen Sie mit Ihrem neuen Label auf die Suche nach Künstlerinnen und Künstlern mit denen Sie zusammenarbeiten können. Wahrscheinlich werden viele alte Kontakte abgeklappert, doch die Ausgangsbedingungen haben sich grundlegend geändert. Wahrscheinlich ist das so eine Situation, in der sich die Spreu vom Weizen trennt und wo man erst einmal merkt, welche Freunde man in den letzten Jahren wirklich hatte und welche anderen Kontakte sich als weniger zuverlässig entpuppten, als man gedacht hatte?
Da könnte ich in der Tat sehr viel erzählen, es gab Exitplanungen, bevor ich den Verlag in Holzgerlingen verlassen habe, die sich alle pulverisiert haben. Dann stand ich im Regen.
Es gab viele, die ich für einen Freund bzw. eine Freundin hielt, die dann öffentlich oder persönlich auf Distanz gingen. Das ist eine bittere Erfahrung. Ja, plötzlich wusste ich, wer mein Freund ist und wer davor meine Funktion nur genutzt hat. Die andere Wahrheit ist, dass es einen an Reife gewinnen lässt. Man schätzt die Höhe viel mehr, weil man zuvor das Tal erlebt hat.

Gerd Schaller
© Axel Bahr

Unter den wesentlichen Projekten für das damals neue Label Profil Edition gab es dann (aus meiner Wahrnehmung) vor allem zwei sehr wesentliche und langanhaltende Kooperationen: Die mit der Staatskapelle Dresden und die mit Gerd Schaller und der Philharmonie Festiva. Beschreiben Sie doch einmal, wie beides zustande kam!
Ein Lizenzgeber meinte, ich müsste unbedingt mal den Klassikchef vom MDR, Dr. Steffen Lieberwirth kennen lernen. Das Treffen kam zustande und ich wurde auf Herz und Nieren geprüft, ob der Schwabe auch würdig ist. Nicht alle aus dem Westen, die sich im Osten engagierten, sind durch besondere Integrität aufgefallen. Diese Prüfung habe ich anscheinend bestanden. Anschließend machten wir einen Termin mit der Staatskapelle Dresden. Das war 2004. Natürlich wusste ich um die grandiose (Uraufführungs-)Tradition dieses Orchesters.
Gerd Schaller habe ich tatsächlich auch zum ersten Mal in Dresden getroffen, kurioserweise wurden wir zu diesem Zeitpunkt beide vom selben Anwalt (der uns zusammenbrachte) vertreten. Chris Schmökel, den ich Jahre zuvor in ganz anderem Zusammenhang mit der Markenauseinandersetzung als Vizepräsident der Deutschen Grammophon kennengelernt hatte, war das. Wir haben dann mit der Goldmark Oper Merlin gleich auf Anhieb einen ECHO Klassik gewonnen, das hat zu weiteren Taten animiert. Dass wir zusammen mal diesen kompletten, symphonischen Bruckner-Zyklus machen würden, war damals noch gar nicht abzusehen.

Was sehen Sie im Rückblick heute als die wohl bedeutendsten oder auch schönsten Projekte, die Sie in den letzten 45 Jahren umsetzen konnten?
Das ist insofern eine ganz schwierige Frage, weil ich damit nicht drei Künstler glücklich machen würde, sondern hunderte von Künstlern unglücklich. Warum? Weil ich sie nicht erwähnt habe. Ungefährdet kann ich aber nennen: Die große J.S. Bach-Edition auf 172 CDs, die Carl Philipp Emmanuel Bach-Edition – die wird Anfang 2025 auf 70 CDs anwachsen. Einen kompletteren C.P.E. Bach wird es meiner Meinung nach nie wieder geben. Die Bach-Violinkonzerte mit den Berliner Barock Solisten und Frank-Peter Zimmermann, Die Wagner-Meistersinger unter Christian Thielemann von der Salzburger Festspielen. Und jetzt die neu erblühte Zusammenarbeit mit der Bachakademie und den Aufnahmen der Bach Kantaten von 1723 und 1724 unter Hans-Christoph Rademann. Nicht zu vergessen: Bruckners Neunte mit der grandiosen Rekonstruktion des Finalsatzes von Gerd Schaller.

Wenn Sie heute nochmal jung wären: Würden Sie wieder beim Familienunternehmen Hänssler Classic einsteigen, so, wie es heute dasteht?
Ja, das würde ich machen. Heute aber wohl wissend, dass man eine sehr lange Zeit braucht, bis man dieses über Jahrzehnte entstandene Netzwerk bespielen kann. Wie habe ich meinen Vater bewundert, wenn wir zusammen Konzerte in der Stuttgarter Liederhalle besucht haben, er konnte im Anschluss mit den jungen Solisten spannende Gespräche führen und ich habe nur gelauscht. Da wurde ich im Laufe der Jahre besser… Die Beziehung zu Künstlern steht auf einem Fundament von Vertrauen, Verlässlichkeit und Respekt. Außerdem hilft es, wenn man als Ansprechpartner erreichbar ist und weiß, dass man Ratschläge besser dann gibt, wenn man gefragt wird.

Der Markt hat sich ziemlich verändert. Streaming ist an die Stelle der CD getreten, konnte sie aber nicht vollständig verdrängen. Man hat den Eindruck, dass der Markt in den Seilen hängt: Die CD finanziert das Geschäft nicht mehr, Streaming kann mit den winzigen Margen pro Click das Geschäft aber auch nicht retten. Wie hält man sich da als Unternehmen nicht nur über Wasser, sondern schafft es zudem, immer wieder als ein Marktführer unter den Indie-Labels zu glänzen?
Der Wert einer CD hat sich insoweit verändert, dass man in den 80er- und 90er-Jahren gutes Geld damit verdienen konnte, doch heute ist die CD ein Ticket zu einer anderen Öffentlichkeit. Für den Künstler bedeutend: So bekommt er oder sie Besprechungen, wird gesendet, nimmt an Preisverleihungen teil.
Das Streaming sehe ich eher als Chance. Spotify ist unser größter Kunde. Was ich sehr kritisch sehe, ist die 1000-Stream-Regel pro Jahr unter der kein Geld mehr ausbezahlt wird. Das wird Komponisten wie zum Beispiel Bruckner nicht gerecht. Es bedeutet, dass 1000-mal 20 Minuten von einem Hundertköpfigen Orchester gespielt, mit 0,003 Cent pro Stream vergütet werden. Und das für den erfreulichen Fall, dass es sich um ein Bezahl-Abo handelt. Bei einem werbefinanzierten Abo kann man noch zwei Nullen dazwischenschieben. Das kann so nicht sein. Was ich sehr genau beobachte, ist, wie sich KI auf die Musikvermarktung auswirken wird. Das daraus Werke entstehen, die ins Musikleben Einzug halten, kann ich mir weniger vorstellen, da kommt kein ‘Elias’ dabei heraus. Streamingdienste wie Spotify könnten aber meine Musik nutzen, um ihre Software zu trainieren und die daraus neu geschaffene Musik auf die eigenen Playlisten setzen. Meine Major-Kollegen, Deutsche Grammophon, Sony/BMG und Warner, die ja Spotify-Gesellschafter sind, wissen das hoffentlich zu verhindern. Wir sehen: jede Zeit hat ihre Herausforderungen.

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